Berlin. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey will den Erzieherberuf aufwerten. Damit das gelingt, sollen die Ländern mehr Geld erhalten.

Erzieher sind Spielgefährten und Ersatzeltern, Säuglingspfleger und Benimmlehrer, fester Halt und oft auch letzte Rettung für Millionen berufstätige Eltern. Kaum eine andere Berufsgruppe in Deutschland ist so gefordert und dabei so schlecht bezahlt wie die Fachkräfte in den Kitas.

Wer die Deutschen fragt, was Erzieher heute alles leisten sollen, begreift schnell, wie wichtig diese Frauen und (wenigen) Männer für das Land sind. Und was passiert, wenn in den nächsten Jahren immer mehr Kinder betreut werden sollen – aber viel zu wenige Erzieher da sind.

Die Regierung weiß das seit Langem. Sie treibt den Kitaausbau voran, hatte aber bislang keine Antwort auf die Frage, woher das zusätzliche Personal kommen soll. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will das jetzt ändern.

Finanziell nicht attraktiv genug

Die zentrale Stellschraube: Es muss sich lohnen, Erzieher zu werden – vor allem finanziell, aber auch mit Blick auf das Image des Berufs und auf das Arbeitsklima im Alltag. Denn: Immerhin fünf Prozent der Deutschen haben schon mal ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Erzieher zu werden – haben sich dann aber anders entschieden, wie eine neue Allensbach-Umfrage zum Erzieherberuf zeigt, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

„Es gibt Interesse an diesem Beruf, aber für zu viele ist er nicht attraktiv genug“, fasst Giffey die Ergebnisse der Studie zusammen. „Solange wir keine bessere Bezahlung und Anerkennung erreichen, dürfte sich daran auch nichts ändern.“

Bis 2030 werden 200.000 Erzieher gebraucht

Eine aktuelle Prognos-Studie aus Giffeys Haus zeigt, dass bis zum Jahr 2025 rund 190.000 Erzieher fehlen werden, bis 2030 sogar knapp 200.000.

An diesem Dienstag will Giffey in Berlin eine Fachkräfteoffensive vorstellen. Kern der Initiative ist eine Finanzspritze an die Länder: Vom neuen Ausbildungsjahr 2019 bis zum Jahr 2022 sollen rund 300 Millionen Euro fließen, um den Erzieherberuf spürbar aufzuwerten. Giffey will damit unter anderem einen Systemwechsel in der Ausbildung anstoßen – sie soll in Zukunft vergütet werden.

Bisher kein Geld für Erzieher in ersten Ausbildungsjahren

Denn: Bislang bekommen angehende Erzieher in den ersten Ausbildungsjahren in Berufsfachschulen kein Geld, manche müssen sogar Schulgeld bezahlen. Im Anerkennungsjahr in den Kitas gibt es dann je nach Arbeitgeber bis zu 1500 Euro brutto im Monat. Ausgebildete Erzieher können schließlich je nach Träger mit Einstiegsgehältern von etwa 2500 Euro im Monat rechnen.

Giffey kann mit ihrem Vorstoß für eine Ausbildungsvergütung auf breiten Rückhalt bauen: Acht von zehn Deutschen finden es laut Allensbach-Umfrage falsch, dass angehende Erzieher in den ersten Ausbildungsjahren leer ausgehen.

Für Erzieher so viel Gehalt wie für Lehrer?

Zwei Drittel der Bundesbürger finden zudem, dass ausgebildete Erzieher zu wenig verdienen, immerhin fast jeder Zweite fände es richtig, dass Pädagogen in den Kitas genauso viel Gehalt bekommen sollten wie an Grundschulen. Giffey sieht das genauso.

Zumal die Anforderungen an Erzieher heute mindestens so hoch sind wie die an Grundschullehrer: 80 Prozent der Deutschen gehen davon aus, dass Erzieher „ausgleichen, was im Elternhaus vernachlässigt wird“, die „Entwicklung der Kinder“ fördern (74 Prozent), die Kinder „fit für die Schule machen“ (68 Prozent) und dafür sorgen, „dass alle Kinder gleiche Bildungschancen haben“ (44 Prozent).

Die allermeisten ahnen zumindest, wie anstrengend das ist: 88 Prozent glauben, dass Erzieher oft überlastet sind, dass die Anforderungen immer höher werden (76 Prozent), dass zu wenig Zeit für das einzelne Kind übrig bleibt (76 Prozent), und dass es zudem auch noch häufig Ärger mit den Eltern gibt (65 Prozent).

Traumberuf, der Idealismus voraussetzt

Umgekehrt sehen aber auch viele, wie sinnvoll und erfüllend die Beschäftigung mit Kindern ist: Erzieher, so denkt die Mehrheit der Deutschen, tun etwas Nützliches, haben viel Spaß mit den Kindern, einen sicheren Arbeitsplatz, feste Arbeitszeiten und können sicher sein, dass die meisten Eltern dankbar für die Betreuung sind. Kurz: Es ist ein Traumberuf, der aber derzeit zu viel Idealismus voraussetzt.

Rein rechnerisch reicht im Moment die Zahl der Berufsanfänger aus, um die ausscheidenden Erzieher zu ersetzen. Sie reicht aber bei Weitem nicht, um zwei andere Faktoren auszugleichen. Erstens: Die Zahl der Geburten in Deutschland steigt weiter, immer mehr Eltern wollen ihre Kinder in die Kita schicken, und sie fangen damit immer früher an.

Je mehr Kinder betreut werden müssen und je jünger diese Kinder sind – desto mehr wächst der Fachkräftebedarf. Zweitens: Im Zuge des Qualitätsversprechens der Länder,

Auch interessant

ist ohnehin geplant, den Personalschlüssel zu verbessern – auch das steigert den Bedarf an ausgebildeten Erziehern.

Fachkräftelücke mit Quereinsteigern schließen

Um herauszufinden, wie sich die drohende Fachkräftelücke von bis zu 200.000 Erziehern schließen lässt, hat Giffey verschiedene Szenarien durchrechnen lassen. Mehr Quereinsteiger, Teilzeitstellen in Vollzeit umwandeln, weniger Kündigungen aus Frust und Erschöpfung – alles das könnte bis zum Jahr 2030 ein Plus von knapp 65.000 Fachkräften schaffen.

Durch die Einführung einer Ausbildungsvergütung ließen sich laut Prognos-Studie 50.000 zusätzliche Schulabgänger für eine Erzieherausbildung gewinnen. Bis zu 49.000 zusätzliche Fachkräfte ließen sich zudem rekrutieren, wenn mehr Menschen aus Zuwandererfamilien in den Kitas Arbeit fänden: Derzeit haben dort elf Prozent der Fachkräfte einen Migrationshintergrund. Insgesamt liegt der Anteil von Beschäftigten mit ausländischen Wurzeln in Deutschland aber bei 18 Prozent.

Großes Potenzial sehen die Forscher schließlich auch bei den Männern: 45 Prozent der Deutschen und immerhin 72 Prozent der aktiven Erzieherinnen und Erzieher finden es wichtig, dass in Zukunft mehr Männer in diesem Beruf arbeiten.

Nur zu sechs Prozent männliches Kitapersonal

Aktuell liegt der Anteil der Männer beim Kitapersonal bundesweit bei knapp sechs Prozent. Die skandinavischen Länder aber machen vor, dass hier noch Luft nach oben ist. Ließe sich der Anteil der männlichen Erzieher in Deutschland auf zehn Prozent steigern, hätte das knapp 30.000 zusätzliche Erzieher zur Folge.

Giffey weiß, dass es für alle vier Szenarien mehr braucht als eine Finanzspritze aus Berlin. „Klar ist, alle müssen hier ran: Bund, Länder, Gemeinden, Tarifpartner. Die Wertschätzung für diesen Beruf muss sich endlich auch ganz konkret bei den Erzieherinnen und Erziehern bemerkbar machen.“