Berlin. Die Opposition im Bundestag kritisiert die umfassenden Kamera-Kontrollen der Diesel-Fahrverbote. Die Städte sind bei dem Thema uneins.

Glaubt man der Bundesregierung, dann geht es nur darum, ein Verbot auch tatsächlich durchzusetzen. Glaubt man der Opposition im Bundestag, dann handelt es sich um einen Angriff auf die Bürgerrechte. Die Rede ist von den geplanten automatischen Kontrollen, mit denen bald Fahrverbote für Diesel-Pkw in einzelnen Städten durchgesetzt werden könnten.

Darum geht es: Das Bundeskabinett hat vor Kurzem eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes beschlossen. Damit soll die rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass der Verkehr in Städten, in denen Diesel-Fahrverbote gelten sollen, automatisch kontrolliert werden kann. Kameras sollen dabei alle vorbeifahrenden Fahrzeuge und ihre Insassen fotografieren.

Kennzeichen-Abgleich in Echtzeit

Die Kennzeichen werden dann mit den im Kfz-Register in Flensburg gespeicherten Fahrzeugdaten verglichen. So kann festgestellt werden, ob es sich um ein Dieselfahrzeug handelt, welche Schadstoffklasse es hat und ob es in der Fahrverbotszone unterwegs sein darf.

Dieser Abgleich soll quasi in Echtzeit stattfinden. Nur die Daten, die für ein Bußgeld benötigt werden, sollen tatsächlich gespeichert werden. Alle anderen würden „unverzüglich“ gelöscht, wie es im Gesetzentwurf heißt.

Was Diesel-Besitzer jetzt wissen müssen

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    Hofreiter: „Unverhältnismäßig und gefährlich“

    Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) und die Bundesdatenschutzbeauftragte haben keine Bedenken gegen dieses Verfahren. Ganz anders sieht das der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. Nach seiner Auffassung verstößt eine automatische Kontrolle von Diesel-Fahrverboten gegen das Grundgesetz.

    „Eine Total-Videoerfassung aller Autofahrer ins Leben zu rufen, um eine Ordnungswidrigkeit nachzuweisen, ist unverhältnismäßig, gefährlich und verfassungswidrig. Das ist, als ob man in jeder Fußgängerzone Videoüberwachung anordnen würde, um nicht abgestiegene Fahrradfahrer zu überführen“, sagte Hofreiter unserer Redaktion.

    Hofreiter: Blaue Plakette die bessere Lösung

    Die Idee von Verkehrsminister Andreas Scheuer sei „blanker Unsinn“ und das von der Bundesregierung geplante Gesetz sei ein „krasser Angriff auf die Bürgerrechte“, kritisierte der Grünen-Politiker. Er bezog sich dabei auf die Einschätzung von Datenschützern, wonach durch die Kontrollen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werde.

    Hofreiter sagte voraus, die Kontrollen der Fahrverbote mit Kameras würden „ein riesiges neues Bürokratiemonster schaffen, das viel kostet, kurzfristig nicht machbar ist und am Ende womöglich nicht einmal funktioniert“. Besser sei es, die blaue Plakette einzuführen. Dies gehe viel einfacher und schneller.

    Kosten von Kamera-System völlig unklar

    FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sagte, die Bürger hätten ein „Recht auf überwachungsfreie Fahrt“ und auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz ihrer informationellen Selbstbestimmung. Angesichts der niedrigen Bußgelder in Höhe von 20 Euro bei streckenbezogenen Fahrverboten seien die geplanten Kontrollen „völlig unverhältnismäßig“. Dies gelte auch für die Kosten und den Betrieb einer solchen technisch umfangreichen Überwachungsinfrastruktur.

    Was die Installation von Kamera-Systemen in den Städten kosten würde und wie schnell dies überhaupt machbar wäre, kann derzeit niemand beantworten. Das Bundesverkehrsministerium hat sich nach eigenen Angaben mit dieser Frage nicht befasst. Der Deutsche Städtetag und der Städte- und Gemeindebund konnten ebenfalls keine Angaben dazu machen. Auch der ADAC wusste dazu nichts.

    Städte sollen selbst über Kamera-Kontrollen entscheiden

    Ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte, die Bundesregierung wolle den Kommunen damit ein „Angebot“ machen, wie Diesel-Fahrverbote möglichst wirkungsvoll, aber mit möglichst geringem Aufwand kontrolliert und durchgesetzt werden können. Ob dieses Angebot angenommen werde, müsse jede Stadt selbst entscheiden, wenn sie ein Fahrverbot für Diesel einführen muss.

    Eine blaue Plakette, mit der saubere Diesel gekennzeichnet werden könnten, lehnt die schwarz-rote Koalition inzwischen ab.

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    , mag diese Forderung derzeit nicht wiederholen.

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      Niederlande haben automatische Kontrollen schon

      Die Haltung der Städte zur automatischen Überwachung ist uneinheitlich. Während der Städtetag nach wie vor die Einführung einer blauen Plakette befürwortet, lobt der Städte- und Gemeindebund das automatische Verfahren.

      In Deutschland wird es bisher noch nirgends angewandt. In den Niederlanden sind solche Kameras seit einiger Zeit in großen Städten installiert. In Amsterdam beispielsweise wird auf einem beleuchteten Schild sogar für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar angezeigt, ob das gerade vorbeifahrende Auto gegen ein Fahrverbot verstößt.

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      Außer in Hamburg, wo bereits seit dem Sommer auf zwei Straßenabschnitten von insgesamt zwei Kilometer Länge ein Fahrverbot gilt,

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      In Frankfurt am Main könnte es im Februar so weit sein.

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      und in Essen im Juli.

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        Betroffen sind zunächst Diesel der Schadstoffklasse Euro 4. Von September 2019 an könnte es auch Euro-5-Fahrzeuge treffen. Angeordnet wurden die Verbote von Verwaltungsgerichten nach Klagen der Deutschen Umwelthilfe. Mit den Verboten sollen die zu hohen Werte für gesundheitsschädliche Stickoxide gesenkt werden.

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