Berlin. Der Rückzug von Bundeskanzlerin Merkel vom CDU-Vorsitz entzündet bei den Sozialdemokraten die Debatte um die Regierungsbeteiligung neu.
Mittwochnachmittag, um kurz nach 17 Uhr: In ganz Deutschland brummen und klingeln Mobiltelefone. Wer auf dem Nachrichtendienst WhatsApp den „Koa-Chat“ der SPD abonniert hat, hat gerade eine Nachricht von Lars Klingbeil bekommen, dem SPD-Generalsekretär. „Moin Leute, Lars hier“, schreibt er. „Bei uns in der SPD muss sich einiges ändern – und zwar radikal.“
Klingbeil verweist dann auf einen neuen Text, den er geschrieben hat. Der Titel: „Eine neue SPD wird gebraucht“. Die Partei müsse deutlich machen, wohin sie wolle, heißt es darin unter anderem. Und dass man „nicht jede Debatte der Regierungslogik unterordnen“ müsse.
Übersetzt heißt das: Lasst uns über das Programm der SPD reden, aber lasst uns bitte in der Regierung bleiben.
Nach der Merkel-Sensation ist die SPD-Spitze hoch nervös
Am Tag drei nach dem politischen Beben, das
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ausgelöst hat, ist die SPD-Spitze hoch nervös. Um jeden Preis will sie verhindern, dass die Gegner der großen Koalition in den eigenen Reihen eine Diskussion anzetteln, die am Ende nicht mehr zu kontrollieren wäre und im Bruch des Regierungsbündnisses und in Neuwahlen enden könnte.
Auch Personaldebatten würde die SPD-Spitze jetzt gern vermeiden. Die Frage, ob
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steht dennoch im Raum. Am kommenden Sonntagabend und am Montag wollen führende Sozialdemokraten auf einer Klausurtagung darüber beraten, wie es weitergehen soll – in der Partei und in der Koalition.
Der Juso-Chef wird als Parteichef vorgeschlagen
Ausgerechnet Peer Steinbrück ist es, der diese Frage am Mittwoch aufwirft. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ überrascht der frühere Bundesfinanzminister nicht nur mit betont linken Thesen. Er verkündet auch die Überzeugung, die SPD brauche an ihrer Spitze „eine Person wie
nur 30 Jahre jünger“.
Gemeint ist damit der amerikanische Senator, der bei der Präsidentenwahl in den USA vor zwei Jahren mit explizit linken Thesen antrat, aber noch in den internen Vorwahlen der Demokraten gegen Hillary Clinton verlor. Steinbrück, der als Kanzlerkandidat mit eher konservativem Image 2013 nur 25,7 Prozent für die SPD holte, griff damit zwar nicht explizit Parteichefin Nahles an. Aber es war klar, wer gemeint ist.
Außer Steinbrück wagt sich bisher nur der neue SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Horst Arnold, auf das Feld der Personaldebatte. Nahles solle Platz machen für
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hat er dem „Münchner Merkur“ gesagt. Kühnert könne Konflikte austragen ohne zu verletzen und habe „ausgewogene Kritik an der GroKo“ geäußert. Der 29-Jährige habe das Format für einen Parteivorsitzenden. „Ein solcher Schritt wäre ein echtes Zeichen“, meint Arnold.
Mattheis macht einen Bogen um Parteichefin Nahles
Allerdings hat er dabei übersehen, dass Kühnert selbst keine Lust auf den Job hat und auch keine Notwendigkeit für einen Wechsel an der SPD-Spitze sieht: „Wir haben so viel Personal gewechselt in den letzten Jahren und das allein hat uns nicht weitergebracht“, äußerte dieser bereits bei einem Fernsehauftritt am Dienstag in der ARD. „Wir müssen jetzt erst mal ein paar inhaltliche Konflikte klar ziehen in der SPD.“
Auch andere Kritiker der Koalition mit CDU und CSU agieren derzeit vorsichtig und vermeiden noch allzu offene Kritik: „Die Frage nach neuem Personal an der Spitze ist nie die erste Frage“, sagt zum Beispiel Hilde Mattheis unserer Redaktion. Die Vorsitzende des Forums „Demokratische Linke 21“ in der SPD, die wie Kühnert gegen die GroKo kämpfte, mahnt, die SPD muss an ihren Themen und politischen Inhalten arbeiten. „Wenn das nicht mit der SPD-Spitze geht, dann muss es ohne sie gehen.“ Auch Mattheis macht – zumindest rhetorisch – noch einen Bogen um Parteichefin Nahles und ihre Mitstreiter wie Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz.
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Ende der Koalition würde eine Neuwahl des Bundestags bedeuten
In der Sache ist auch Mattheis nach den jüngsten Wahlergebnissen überzeugt, dass die SPD ihr politisches Profil schärfen müsse. Sie geht aber noch weiter und erläutert: „Die SPD muss raus aus der großen Koalition. Die Geschäftsgrundlage für diese Koalition ist durch die
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entfallen.“ Die Parteispitze müsse nun „ein Szenario für einen Ausstieg“ aus der Koalition entwerfen.
Da ist sie also, die Debatte, die Generalsekretär Klingbeil und auch Parteichefin Nahles gern in geordnete Bahnen lenken würden – und zunächst vor allem weg von der Frage, ob die SPD in der Regierung bleiben wird. Ein Ende der Koalition würde wohl eine Neuwahl des Bundestags bedeuten, das hat CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer vor einer Woche signalisiert. Die SPD würde dabei kaum gut abschneiden. GroKo-Kritikerin Hilde Mattheis meint deshalb, ihre Partei könne die Regierung auch ohne Neuwahlen verlassen: „Länder wie Spanien und Dänemark zeigen, dass auch Minderheitsregierungen erfolgreich sein können.“
Natascha Kohnen fuhr in Bayern eine krachende Niederlage ein
„In der großen Koalition können wir keine rote Linie aufzeigen“, begründet Mattheis ihre Haltung. „Wir sind gefangen in den Kompromissen der Regierung.“ Die deutsche Gesellschaft drifte auseinander und die Wähler glaubten der SPD nach der dritten großen Koalition nicht mehr, dass die Sozialdemokraten wirklich Grundlegendes gegen die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten unternehmen würden.
Ähnlich sieht dies auch Vizeparteichefin Natascha Kohnen. Nachdem sie selbst als Spitzenkandidatin in
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eingefahren hatte und nachdem auch die Wahl in Hessen verloren ging, sagte Kohnen: „Wenn es nicht gelingt, klar zu positionieren, wer wir sind, bei Einwanderungsgesetz, Rente oder Mietenpaket, dann macht die große Koalition in meinen Augen keinen Sinn mehr.“ Wenn die Union wichtige Projekte der SPD blockiere, müsse das Bündnis beendet werden.
Die Botschaft, die Kohnen nach Berlin schickt: Die Bundes-SPD ist schuld am Ausgang der Landtagswahlen. Deren unklare Haltungen beim Thema Migration und das Mittragen des faulen
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mit der Autoindustrie habe den Wahlkämpfern im Süden geschadet. Auch die Genossen in Hessen haben erklärt, sie hätten beim Wahlkampf in ihrem Bundesland alles richtig gemacht. Schuld sei die Bundespolitik.
Wird geräuschlose Regierungsarbeit die SPD beruhigen kann?
Parteichefin Andrea Nahles wird in den nächsten Tagen alles unternehmen, um diese Angriffe abzuwehren. In der Bundestagsfraktion verweist man darauf, dass die Koalition doch reibungslos arbeite. Das sei gerade in der nächsten Woche wieder zu besichtigen, wenn jede Menge sozialdemokratische Themen auf der vollgepackten Tagesordnung des Bundestags stünden, darunter das Rentenpaket, mit dem stabile Beiträge für die nächsten Jahre beschlossen werden sollen, bis hin zum „Teilhabechancengesetz“, mit dem Langzeitarbeitslose auf dem zweiten Arbeitsmarkt eine Aufgabe finden sollen.
„Es bringt in dieser polarisierten Zeit wenig, recht zu haben oder sich im Recht zu fühlen“, ermahnt Generalsekretär Klingbeil die GroKo-Kritiker. „Es geht darum, in dieser Gesellschaft gemeinsam Fortschritt und Zusammenhalt zu organisieren.“ Offen ist, ob geräuschlose Regierungsarbeit die SPD wirklich noch beruhigen kann.