Istanbul. Ein 29-jähriger Deutscher ist in der Türkei zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die Kurdische Gemeinde spricht von einer Demütigung.

Nach dem Urteil gegen den Gießener Patrick K. in der Türkei wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation hat sich die Kurdische Gemeinde Deutschland entsetzt geäußert. Das Urteil sei „erschütternd und demütigend“, hieß es am Freitag in einer Pressemitteilung der Organisation, die ein Dachverband deutsch-kurdischer Vereine ist.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende Mehmet Tanriverdi sagte demnach: „Der einzige Beweis für diesen Vorwurf ist, dass K. während seines Wanderurlaubs im kurdischen Grenzgebiet aufgegriffen wurde.“ Offensichtlich reiche allein der Aufenthalt in den kurdischen Gebieten, um als Terrorunterstützer verhaftet und verurteilt zu werden. Der junge Mann sei weder politisch noch pro-kurdisch gewesen, sagte Tanriverdi.

Vorwurf: Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation

Ein türkisches Gericht hatte den seit März in der Türkei inhaftierten Patrick K. aus Gießen am Freitag wegen Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Weil er ein militärisches Sperrgebiet betreten habe, solle der 29-Jährige außerdem für ein Jahr und acht Monate ins Gefängnis, sagte sein Anwalt Hüseyin Bilgi dpa. Dieser Teil der Strafe sei aber zur Bewährung ausgesetzt worden.

K. war nach türkischen Angaben im März im türkisch-syrischen Grenzgebiet aufgegriffen worden. Die Provinz ist kurdisch dominiert. Die türkische Regierung ist dort seit Jahren militärisch aktiv, um angebliche Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu bekämpfen. Die gilt in der Türkei und Europa als Terrororganisation.

Anwalt will Berufung einlegen

Die Staatsanwaltschaft wirft K. Mitgliedschaft in der in Syrien aktiven Kurdenmiliz YPG vor, die der PKK nahesteht. In Deutschland gilt die YPG nicht als Terrororganisation. Die Bundeswehr hatte die Gruppe für den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgerüstet und ausgebildet.

Diese Deutschen waren in türkischer Haft

Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation. © dpa | Soeren Stache
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte.
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte. © REUTERS | HANDOUT
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels.
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance /
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. © dpa | Lefteris Pitarakis
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt.
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. © Facebook/Mesale Tolu | Facebook/Mesale Tolu
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben.
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben. © dpa | Linda Say
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen.
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. © dpa | Emrah Gurel
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ © REUTERS | OSMAN ORSAL
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden.
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. © dpa | Privat
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören.
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. © privat | privat
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Anwalt Bilgi sagte weiter, er werde das Urteil der türkischen Richter anfechten. Die zweite Verhandlung hatte nur eine knappe Stunde gedauert. Der Prozess hatte vor rund drei Wochen begonnen.

Freundin: „Patrick wurde verurteilt für nichts“

K.s Familie sei geschockt, sagte eine Freundin am Telefon. „Patrick wurde verurteilt für nichts, das war eine üble Überraschung.“ Vor dem Gerichtstermin hatte K.s Mutter Claudia S. dpa noch gesagt, ihr Sohn habe große Angst. Sie mache sich auch Sorgen um seine Gesundheit. Er kämpfe seit Wochen mit einer Mittelohrentzündung und habe drei Zähne verloren.

Seit mehr als acht Monaten sitzt K. in einem Gefängnis in der osttürkischen Provinz Elazig. Er war der Verhandlung im südosttürkischen Sirnak per Videoleitung zugeschaltet. Patrick sei „sehr traurig“, sagte Anwalt Hüseyin Bilgi.

Bilgi zufolge hat der Richter das Urteil nicht im Detail begründet. Es ist in der Türkei allerdings durchaus üblich, dass detaillierte Urteilsbegründungen später nachgereicht werden. Der Richter habe nur gesagt, dass er „aufgrund der Vorwürfe in den Akten und den vorliegenden Beweisen“ so entschieden habe, sagte Bilgi.

Minister Altmaier: Schauen uns das Urteil genau an

Wirtschaftsminister Altmaier, der zurzeit zu einem Arbeitsbesuch in der Türkei ist, sagte am Freitag, die Bundesregierung werde die Verurteilung K.s prüfen. „Wir werden uns dieses Urteil sehr genau ansehen“, sagte Altmaier in der deutschen Botschaft in Ankara zum Abschluss seines Aufenthaltes in der Türkei. Er traf sich auch mit Vertretern türkischer Menschenrechtsorganisationen. „Der Betreffende wird von der deutschen Botschaft konsularisch betreut“, sagte Altmaier.

Auswärtiges Amt verschärfte Reisehinweise

Erst vor wenigen Tagen hatte das Auswärtige Amt in Berlin die

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Darin hieß es unter anderem, schon ein regierungskritischer Kommentar oder ein „Like“ an entsprechender Stelle in einem sozialen Netzwerk könnten zu einer Festnahme führen.

Im vergangenen Jahr hatte eine Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Nach einigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft und Ausreisen der prominentesten Fälle – darunter der „Welt“-Reporter

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der Menschenrechtler

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sowie die Journalistin

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– hatten sich die Beziehungen zu Anfang des Jahres leicht entspannt.

Weiterhin in türkischer Haft befinden sich dagegen folgende deutschen Staatsbürger:

• Dennis E. (55) aus Hamburg: Im Fall Dennis E. geht es um Facebook-Einträge und den Vorwurf der Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Die türkische Polizei nahm den 55-Jährigen Ende Juli bei einem Besuch im südtürkischen Iskenderun fest, wo er auch inhaftiert ist.

• Hozan Cane (Mitte 40) aus Köln: Polizisten hielten vor den Wahlen Ende Juni einen Bus der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP an und nahmen die kurdischstämmige Sängerin mit dem Künstlernamen Hozan Cane mit. Cane hatte im westtürkischen Edirne eine Wahlkampfveranstaltung der HDP unterstützt. Ihr wird die Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen.

• Adil Demirci (Anfang 30) aus Köln: Der Sozialarbeiter war Mitte April in Istanbul festgenommen worden. Er schrieb aus Deutschland frei für die linke Nachrichtenagentur Etha, für die auch Mesale Tolu arbeitete. Wie Tolu wird Demirci Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei vorgeworfen. Die MLKP gilt in der Türkei als Terrororganisation. Der Prozess gegen Demirci soll im November beginnen.

• Enver Altayli (73): Schon mehr als ein Jahr lang sitzt Altayli ohne Anklage in Einzelhaft – seine Familie macht sich Sorgen um seine Gesundheit. Altayli ist Jurist und Schriftsteller und arbeitete in den 60er- und 70er-Jahren für den türkischen Geheimdienst MIT. Im August 2017 war er in Antalya festgenommen worden, wo die Familie eine Ferienanlage betreibt. Ihm wird Unterstützung der Gülen-Bewegung vorgeworfen, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. (dpa/W.B./küp)