Sydney. In der Heimat wird über Berater bei der Bundeswehr und die Hessenwahl diskutiert. Ursula von der Leyen erlebt das nur aus der Ferne.

Sie sagt, „in diesem Amt kann man jede Woche aus der Kurve fliegen.“ Das sei ihr Jobrisiko. Sie mache sich deswegen nicht verrückt. Ursula von der Leyen ist überzeugt, dass die Modernisierung der Bundeswehr richtig und „allmählich unumkehrbar“ ist. Das ist, was bleibt, wenn sie nicht mehr Verteidigungsministerin ist.

Sie geht auf Distanz, buchstäblich. Das Gespräch mit ihr findet auf dem Flug nach Australien statt. 16.000 Kilometer von zu Hause entfernt, vom Kabinett, von CDU und Koalition, von der Hessenwahl.

Sie beendet diese Reise einen Tag früher als ursprünglich geplant. Sie spürt die Unruhe und wie Union und SPD „um ihre innere Balance“ ringen. „Wir machen viel“, beteuert sie, die Ergebnisse gingen aber „leider zu oft im Streit unter“. Von der Leyen wird aufatmen, wenn sich Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier im Amt halten sollte. Denn das ist alles andere als selbstverständlich.

Wenn von der Leyen noch eine Chance hat, dann auf das Kanzleramt

Scheitert Bouffier, würde sich die Lage zuspitzen. In der CDU könnten einige auf die Idee kommen, Angela Merkel den Parteivorsitz streitig zu machen. Würde sie ihn aufgeben oder darauf beharren, beides zu bleiben, Kanzlerin und Parteichefin? Für Merkel war Gerhard Schröder immer ein abschreckendes Beispiel. Als er SPD-Vorsitz aufgab, beschleunigte sich der Autoritätsverfall.

Um den Vorsitz würden wohl CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn ringen, vielleicht auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet. Wenn von der Leyen noch eine Chance hat, dann auf das Kanzleramt, und dazu müsste sich die politische Lage dramatisch zuspitzen.

Von der Leyen ist mit 60 Jahren nur unwesentlich jünger als Merkel, vier Jahre. Als Generationenwechsel könnte sie die Nachfolge nicht darstellen. Und von ihrer früheren Strahlkraft hat sie viel eingebüßt. Es kann kein Zufall sein, dass nur zwei Verteidigungsminister länger als sie im Amt waren, jeweils nur ein Jahr, Volker Rühe und Manfred Wörner. In diesem Amt wird man von Affäre zu Affäre gebleicht.

Die größten Pannen bei der Bundeswehr

weitere Videos

    Kritik an Beraterverträgen der Bundeswehr

    In Erklärungsnot ist sie, weil einige

    Auch interessant

    umstritten sind. Kritikwürdig ist schon der Umstand, dass sehr viele Berater in der Truppe unterwegs sind, vielleicht zu viele? Manche sind lange dabei und beraten nahezu ausschließlich die Bundeswehr, sodass sich die Frage stellt, ob sie scheinselbstständig sind. Laut dem Bundesrechnungshof sind einige Verträge rechtswidrig abgewickelt worden. Und dann ist da noch der Verdacht der

    Auch interessant

    , der auch die frühere Staatssekretärin Katrin Suder einholt; eine Frau, für die Ursula von der Leyen ihre Hand ins Feuer legen würde.

    Jetzt wird aufgeklärt, und zwar unter Zeitdruck. Da ist zum einen der Haushaltsausschuss mit der Etat-Bereinigungssitzung am 8. November. Da ist zum anderen der Bundesrechnungshof, der bis Mitte des Monats eine Stellungnahme erwartet.

    Das ist lästig. Damit schlägt sich Staatssekretär Gerd Hoofe herum, während von der Leyen die Mongolei, China, Australien und Bahrein besucht. An diesem Tag wird sie in Canberra erwartet. Erste Anlaufstelle ist der Geheimdienst. Begleitet wird sie von einem Fachmann: Gèza Andreas von Geyr, Abteilungsleiter Politik, nachdem er zuvor Diplomat, Referatsleiter im Kanzleramt und Vizepräsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND war.

    In China sprach von der Leyen Überwachung nicht an

    Das Briefing ist das Kontrastprogramm zu ihren Gesprächen in China. In Peking hatten ihre hochrangigen Gastgeber noch versichert, sie verfolgten eine defensive Militärpolitik, ausschließlich zu friedlichen Zwecken. In Asien und auch in Australien beobachtet man argwöhnisch, wie die Chinesen – jahrhundertelang keine Seemacht – ihre Hochseeflotte ausbauen und die Kontrolle über das Südchinesische Meer anpeilen.

    Es ist das Streben einer Supermacht, die selbstbewusster und dominanter denn je auftritt. Die Situation erinnert ein wenig an Europa, wo die Russen auftrumpfen und man sich fragt – noch eine Parallele zu Asien –, ob auf die Ordnungsmacht USA noch Verlass ist.

    Auf dem Flug nach Australien haben die Delegationsmitglieder erstmals ihre Mails aus der Heimat gecheckt. In China hatten sie sich das nicht getraut. Aus Angst vor Hackern wurde jeder angehalten, sein Diensthandy gegen ein älteres oder billiges Mobiltelefon zu tauschen und genauso mit den Laptops zu verfahren. Seltsamerweise hat von der Leyen das Thema Cyber dann in Peking nicht einmal angesprochen. Andere Reizthemen wurden nur gestreift, zum Beispiel die Menschenrechtsfrage.

    In Peking machte die Verteidigungsministerin Sightseeing

    Weil sie an einem Sonntag anreiste, machte von der Leyen an dem Ruhetag erst einmal Sightseeing. Die „verbotene Stadt“ durchquerte ihre Delegation in nur 40 Minuten, rechts und links tummelten sich die Passanten wie Bugwellen. Die chinesischen Leibwächter schoben die Menschen sanft zur Seite. Niemand protestierte – die Menschen sind es wohl gewohnt, geschubst zu werden.

    Der Anstieg zur großen Mauer war beschwerlich, die Stufen schief, unregelmäßig und abgetreten. Der Reiseführer erzählt, man könne an der Mauer ein Jahr lang wandern, er habe von drei Deutschen gehört, die so an Orte kamen, „wo noch keine Langnasen gesehen wurden“. Von der Leyen bemerkte, das wäre mal ein Projekt für die Zeit nach der Politik.

    Die Chinesen gehen auffallend herzlich mit von der Leyen um

    Deutschland genießt hohes Ansehen und hat viel dafür getan. Elf Mal war Merkel in China, nahezu in jedem Jahr ihrer Kanzlerschaft. Jetzt, da sich die Spannungen zwischen China und den USA erhöhen, gehen von der Leyens Gesprächspartner – ihr Amtskollege, der Vizechef der Militärkommission sowie der Sicherheitsexperte der KP – umso herzlicher mit dem Gast aus Europa um. Und wenn von der Leyen mal ein Thema anspricht, das ihnen nicht passt, verfallen sie einfach in ein unbehagliches Schweigen.

    Ursula von den Leyen war zum ersten Mal in China. Der Informationsmappe legte man extra einen Reiseknigge bei, in dem es unter anderem hieß: „Trinkriten werden mit großem Ernst zelebriert; das Erringen der alkoholischen Luftüberlegenheit ist beabsichtigt und ehrenvoll.“ Bei Maotai, aus winzigen Plastikbechern getrunken, drei Mal serviert, zu jedem Toast einmal, wurde von der Leyen hart auf die Probe gestellt. Das ist der Schnaps, 200 Euro die Flasche, über den der legendäre US-Außenminister Henry Kissinger einmal sagte, er eigne sich nur deshalb nicht als Flugbenzin, weil er sich zu leicht entzünde. Auf die Erringung dieser Lufthoheit hat sie lieber verzichtet.