Berlin. Es gibt Fortschritte im deutsch-türkischen Verhältnis. Wie es nun aber weitergeht, hängt stark vom Umgang mit den Menschenrechten ab.

Wie sich die Zeiten ändern. Gemessen an seinen Auftritten im vergangenen Jahr gab sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag ungewohnt samtpfötig. Damals hatte Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel noch mit „Nazi“-Vorwürfen überhäuft, weil türkische Politiker wegen Abstimmungen im eigenen Land nicht in Deutschland Wahlkampf machen durften. In diesen Tagen ist er hingegen darauf bedacht, sich zumindest mit Blick auf die Gesprächsatmosphäre am Riemen zu reißen.

Begonnen hatte dieser klimatische Schwenk im Januar. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wurde von seinem früheren deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel in dessen Privathaus in Goslar zur Teestunde eingeladen. Der Türke schwärmte vom „Neustart“ der bilateralen Beziehungen – er war der politische Postillon d’Amour des starken Mannes in Ankara. Die wenige Wochen darauf erfolgte

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sollte die diplomatische Aufwärmphase besiegeln.

Erdogan hat Verhältnis mit USA beschädigt

Man sollte sich von Erdogans Charme-Offensive nicht täuschen lassen. Er geht nicht strategisch, sondern taktisch vor. Insbesondere vor dem Verfassungsreferendum im April 2017 fuhr er einen mit scharfer Polemik unterfütterten Bulldozerkurs gegen Deutschland und andere EU-Länder. Ziel: Die Türken im In- und Ausland sollten mit diesem hochgradigen Polit-Machismo mobilisiert werden. Das Manöver gelang. Erdogan gewann den Urnengang und zementierte praktisch seine Alleinherrschaft. Danach rüstete er rhetorisch ab.

Erdogan-Pressekonferenz: Reaktionen auf den Zwischenfall

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    Es bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig.

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    Zudem hat Erdogan das Verhältnis zu den USA im Streit über einen protestantischen Pastor schwer beschädigt. Durch den Einmarsch in Syrien ist die Türkei Kriegspartei in Nahost – die Turbulenzen der Region spielen sich direkt vor der eigenen Haustür ab.

    Deshalb braucht Erdogan Deutschland mehr denn je. Es geht um psychologische Rückendeckung – das beruhigt die nervösen Märkte. Der Präsident kann vielleicht sein Land kujonieren und die eigene Zentralbank an den Pranger stellen – bei den internationalen Anlegern funktioniert dies nicht. Und er erhofft sich Investitionen sowie eine erweiterte Zollunion mit der EU. In die Gemeinschaft geht fast die Hälfte aller türkischen Exporte. Deutschland ist der wichtigste Ausfuhrpartner.

    Verbesserung deutsch-türkischen Beziehung haben Grenzen

    Der Lackmustest für Erdogans Operation Annäherung ist die Menschenrechtsfrage: Eine Normalisierung der Verhältnisses zu Deutschland und zur EU ist nur möglich, wenn der Präsident die Knebelung in seinem Land aufhebt. Mehr als 150 Journalisten sitzen immer noch im Gefängnis – ein Schlag gegen die Pressefreiheit. Dass er von Merkel offen die Auslieferung des im Berliner Exil lebenden Publizisten Can Dündar verlangt, zeigt, dass Erdogan die Lektion nicht gelernt hat. Kritik und Opposition sind das Lebenselixier von Demokratie und Rechtsstaat. Die türkische Präsidial-Autokratie heutigen Zuschnitts ist hiermit nicht vereinbar. Nur wenn sich Erdogan in diesem zentralen Punkt bewegt, kann sich der Westen bewegen.

    Deshalb sind der Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen derzeit Grenzen gesetzt. Dass es wieder eine Gesprächskultur gibt, ist gut. Und natürlich muss die Zusammenarbeit in der Wirtschaft, im Syrien-Konflikt oder beim Anti-Terror-Kampf enger werden. Doch bei den grundsätzlichen Differenzen sollte Klartext geredet werden. Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben hier die richtige Balance gefunden.

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