Berlin/Ankara. Präsident Erdogan will von seinem Staatsbesuch in Deutschland aus das Signal in die Türkei senden, dass er im Westen noch Partner hat.

Für Recep Tayyip Erdogan fängt der Staatsbesuch mit einer bitteren Niederlage an. Direkt nach der Landung um 12.36 Uhr auf dem Flughafen Berlin-Tegel, wo die Organisation Reporter ohne Grenzen lautstark demonstriert, fährt der türkische Präsident mit seiner Frau Emine in sein hermetisch abgeriegeltes Luxushotel am Brandenburger Tor.

Drei Stunden später wartet der 64-Jährige wie Millionen Fußballfans vor dem Fernseher gebannt darauf, wer den Zuschlag für die Europameisterschaft 2024 erhält: Die Deutschen machen bei der Vergabe in Nyon das Rennen gegen die Türken. Wie stark die schlechte Menschenrechtslage und die Wirtschaftskrise der türkischen Bewerbung letztlich geschadet haben, wissen nur die Entscheider an der Spitze des europäischen Fußballverbandes UEFA.

Im Bundestag jedenfalls haben die meisten Parlamentarier eine klare Erwartungshaltung an den

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„Lassen Sie diese Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu!“, ruft am Mittag der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff unter dem Beifall vieler Abgeordneter.

Viele Redner prangern die Repressalien an, denen Oppositionelle und Journalisten in der Türkei ausgesetzt sind. Wie etwa eine „Spionage-App“ der türkischen Polizei, mit der Kritiker der Regierung und ihres Präsidenten von überall auf der Welt angezeigt werden können.

Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir lässt sich die Chance nicht entgehen, ein paar Worte an Erdogan zu richten. Seit der „anatolische Schwabe“ immer wieder die Politik des türkischen Präsidenten aufs Schärfste kritisiert, kann Özdemir aus Angst vor Anschlägen häufig nicht mehr ohne Polizeischutz auftreten. „Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefreiheit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern“, kritisiert Özdemir.

Viele Spitzenpolitiker boykottieren Staatsbankett

Der Grüne verteidigt aber seine

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, das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Freitagabend im Schloss Bellevue ausrichtet. „Ich möchte gerade durch meine Teilnahme deutlich machen: Hier in der Bundesrepublik Deutschland gehört die Opposition dazu.“ In der Türkei könne Erdogan die Opposition mundtot machen. „In Deutschland nicht, deshalb gehe ich da hin.“ Spitzenpolitiker von FDP, Linken und andere prominente Grüne wollen aus Protest dem Bankett fernbleiben.

Mesale Tolu findet das richtig. Die deutsche Journalistin hatte im August die Türkei verlassen dürfen – nach mehr als 15 Monaten Haft und Ausreisesperre wegen Terrorvorwürfen. „Der Verantwortliche für all’ die Repressalien wird hier mit rotem Teppich und Staatsbankett akzeptiert und empfangen. Das ist ein sehr unangenehmes Gefühl für alle Betroffenen“, sagte Tolu vor Journalisten in Düsseldorf.

Vor Erdogans Deutschland-Besuch tat sich aber plötzlich etwas. So kam Enis Berberoglu wieder frei. Ein Gericht in Istanbul setzte die Haftstrafe des früheren Journalisten und Oppositionsabgeordneten, der wegen Verrats von Staatsgeheimnissen noch mehr als fünf Jahre absitzen soll, vor einer Woche aus. Auch ein deutscher Staatsbürger, der seit längerem aus politischen Gründen in der Türkei in Haft saß, wurde jetzt auf Beschluss eines Gerichts auf freien Fuß gesetzt.

Erdogan sprach von „Nazi-Methoden“

Polizisten fahren mit Motorrädern vor dem Brandenburger Tor.
Polizisten fahren mit Motorrädern vor dem Brandenburger Tor. © dpa | Arne Immanuel Bänsch

Gewiss: Die türkische Justiz sei unabhängig, versichert man in Ankara. Aber vielleicht hat es ja doch einen Fingerzeig von höchster Stelle gegeben? Erdogan wünscht sich einen Neustart in den Beziehungen. „Wichtigstes Ziel meines Deutschland-Besuchs ist es, die Phase der letzten Jahre in unserem Verhältnis komplett hinter uns zu lassen“, sagte Erdogan am vergangenen Sonntag. Diese „Phase“ hatte vor allem Erdogan mit maßlosen Tiraden gegen deutsche und andere europäische Politiker geprägt. Deutschland attestierte Erdogan „überhaupt kein Verhältnis zur Demokratie“, Bundeskanzlerin Angela Merkel warf er „Nazi-Methoden“ vor. Als die niederländische Regierung dem türkischen Außenminister einen Wahlkampfauftritt verweigerte, beschimpfte Erdogan die Holländer als „Nachfahren der Nazis und Faschisten“. Europa sei ein Kontinent, besiedelt von „Nazi-Überbleibseln“. Schon bald werde es dort wieder „Gaskammern“ und „Sammellager“ geben, diesmal für Türken, orakelte Erdogan noch im vergangenen Jahr.

Fast 250.000 Menschen sitzen in türkischen Gefängnissen

Das soll jetzt alles vergessen sein. Bundespräsident Steinmeier geht das ein bisschen zu flott: „Dieser Besuch ist kein Ausdruck von Normalisierung. Davon sind wir weit entfernt. Aber er könnte ein Anfang sein.“ Steinmeier will in seinen Gesprächen mit Erdogan auch die Fälle der in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten zum Thema machen.

Die Karriere von Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere.
Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere. © dpa | Lefteris Pitarakis
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen.
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen. © dpa | Uncredited
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018.
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018. © REUTERS | UMIT BEKTAS
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde.
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance / Eventpress Herrmann
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte.
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte. © dpa | Lefteris Pitarakis
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf.
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen.
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul.
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen.
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen. © REUTERS | REUTERS / Stringer Turkey
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht.
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht. © REUTERS | REUTERS / Fatih Saribas
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus.
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus. © REUTERS | REUTERS / Kevin Lamarque
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt.
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt. © picture-alliance / dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / epa
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara.
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara. © REUTERS | Umit Bektas
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. © Getty Images | Sascha Schuermann
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye.
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich.
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“.
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. © dpa | Lefteris Pitarakis
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft.
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft. © REUTERS | REUTERS / OSMAN ORSAL
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete.
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete. © REUTERS | REUTERS / YAGIZ KARAHAN
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen. © dpa | Kayhan Ozer
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“.
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt.
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt. © REUTERS | Murad Sezer
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je.
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je. © REUTERS | HANDOUT
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Erdogan hat offenbar erkannt: Wenn er die drohende Finanzkrise abwenden will, braucht er gute Beziehungen zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern seines Landes. Das sind die Europäische Union und Deutschland als größter Absatzmarkt und wichtigster ausländischer Investor. Viele Türken bringen wegen des Absturzes der türkischen Lira ihr Geld inzwischen in den sicheren Hafen Deutschland.

Allein zwischen April und Juni stieg der Kapitalzufluss aus der Türkei nach Deutschland um 4,57 Milliarden Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegt. „Es spricht einiges dafür, dass sich die Kapitalflucht im dritten Quartal verschärft hat. Darunter dürften viele Privatpersonen sein, die ihr Geld aus Angst vor einem weiteren Lira-Verfall ins Ausland bringen“, sagt der Vizechef der Liberalen im Bundestag, Florian Toncar.

Erdogan macht Sanktionen der USA, die Strafzölle verhängt haben, und die westlichen Finanzmärkte für die Krise und den Lira-Absturz verantwortlich. Im August hatte er seine Landsleute aufgefordert, angesichts des Kursverfalls der Lira Euro und Dollar in die Landeswährung zu tauschen. Die Zahlen belegen, dass vielen Türken ihr Geld näher ist als die Propaganda.

Risiko der deutschen Banken ist überschaubar

Wie Toncar berichtet, versucht die Türkei auch, über eine Sondersteuer auf Bankguthaben in ausländischer Währung sowie mit der Vorgabe an türkische Unternehmen, Exporterlöse, die sie in ausländischer Währung einsammeln, zu mindestens 80 Prozent in türkische Lira umzutauschen, die eigene Währung zu stabilisieren. Das Risiko für deutsche Banken ist überschaubar. Sie haben insgesamt 20,77 Milliarden Euro an Krediten in der Türkei vergeben. Das entspricht weniger als 0,3 Prozent der Bilanzsumme des deutschen Bankensektors.

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Experten glauben, dass der türkische Präsident mittelfristig nicht umhinkommen könnte, Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) anzunehmen. „Erdogans Strategie in der Finanzkrise ist darauf angelegt, mit seiner AKP die Kommunalwahlen im Frühjahr 2019 zu gewinnen, und bis dahin einen Kotau vor dem Ausland zu vermeiden“, sagt Toncar.

Im eigenen Land steuert Erdogan weiter einen harten Kurs gegen politische Widersacher und Kritiker. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 hat der Staatschef per Dekret über 170.000 Staatsbedienstete und Lehrer privater Bildungseinrichtungen entlassen – meist wegen angeblicher Verbindungen zu seinem Erzfeind, dem Exil-Prediger Fethullah Gülen. 2008 gab es in der Türkei 103.296 Strafgefangene und Untersuchungshäftlinge. Heute sind es 246.426.

Kölner OB will Zeremonie fernbleiben

In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt Erdogan, er erwarte ein härteres Vorgehen gegen die kurdische Extremisten-Organisation PKK und die Gülen-Bewegung. So könnten sich die „deutschen Freunde“ das „Wohlgefallen des türkischen Volkes“ erwerben.

Am Freitag wird Erdogan von Steinmeier mit militärischen Ehren empfangen, mittags spricht er mit der Kanzlerin. Am Sonnabend sieht der Präsident Merkel bei einem Frühstück noch einmal wieder. Dann fliegt er nach Köln, um Europas größte Moschee zu eröffnen. Die wird von der islamischen Organisation Ditib betrieben, die der türkischen Regierung untersteht. Der Verfassungsschutz prüft gerade, ob er die Ditib-Zentrale beobachten soll.

Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker will der Zeremonie auf jeden Fall fernbleiben, es sind außerdem mehrere Demonstrationen in der Domstadt angemeldet. Reker kritisiert, dass die Moschee für Erdogans Zwecke instrumentalisiert werde: „Köln wird Herrn Erdogan aushalten, und Herr Erdogan wird auch Köln aushalten müssen.“