Berlin. Vor der möglichen Rückkehr von Osama bin Ladens mutmaßlichem Ex-Leibwächter zeigt sich: Der Gefährder war Security-Mann in Deutschland.

Sami A.? 20 Jahre lang hätte niemand gezuckt bei diesem Namen. Seit Ende Mai 2018 elektrisiert er die Republik. Der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden ist so etwas wie der gefühlte Staatsfeind Nummer eins in Deutschland. Seit seiner erzwungenen – und unrechtmäßigen – Abschiebung nach Tunesien am 13. Juni dreht sich alles um die Frage: Kommt er zurück?

Der Plan für diesen Ernstfall steht. Sollte Sami A. erneut deutschen Boden betreten – er wäre der bundesweit am strengsten überwachte islamistische Gefährder. Dutzende Sicherheitskräfte stehen abrufbereit, um den 42-Jährigen auf Schritt und Tritt zu beschatten, rund um die Uhr.

Eine bisher unbekannte Pointe in dem

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: Ausgerechnet er, dem die Drohung „Deutschland wird Blut weinen“ zugeschrieben wird und dem Sicherheitsbehörden jederzeit einen Anschlag zutrauen, ausgerechnet dieser Sami A. hat früher für einen deutschen Sicherheitsdienst gearbeitet. Bin Ladens mutmaßlicher Ex-Bodyguard als Beschützer der „Ungläubigen“ – eine paradoxe Geschichte.

Klüh Security schützt auch Flughäfen und Stadien

Wenn es um den Schutz von Menschen und Sachwerten geht, verlassen sich viele auf die Klüh Security GmbH. Die Firma bewacht die Flughäfen Düsseldorf, Dresden und Leipzig. Sie sichert Einrichtungen der Bundeswehr, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln, den NRW-Landtag in Düsseldorf und die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Bei Spielen der Fußball-Bundesliga, Konzerten, Messen und Großveranstaltungen wie dem Düsseldorfer Rosenmontagszug wacht Klüh über das Wohl von Akteuren und Besuchern.

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    Das Unternehmen lebt vom Vertrauen seiner Kunden. Die Geschäfte laufen gut. Mit 18 Standorten bundesweit und 146 Millionen Euro Jahresumsatz 2017 ist Klüh der siebtgrößte Sicherheitsdienstleister in Deutschland. Das eigentliche Kapital aber ist das Personal: Ordner, Personen- und Objektschützer. Sie verkörpern die Sicherheit, für die das Unternehmen steht.

    Im aktuellen Geschäftsbericht wird „der Einsatz zuverlässiger, praxiserprobter Fachkräfte und deren sehr gute Ausbildung in der hauseigenen Sicherheitsschule“ betont. Auf der Klüh-Seite im Netz heißt es: „Die Sicherheitssparte verfügt über langjährige Erfahrung in der individuellen Anpassung von Dienstleistungen an jeden Einsatzort. Dank unseres großen Personalpools von rund 3500 Mitarbeitern allein in Deutschland sind wir kurzfristig und flexibel einsetzbar.“

    Im wahren Leben verlief die Auswahl der Mitarbeiter so flexibel, dass in zwei Fällen auch radikale Islamisten aus dem Dunstkreis der Terrororganisation Al-Kaida rekrutiert wurden.

    Dokumente belegen: Sami A. war bei Security-Firma im Einsatz

    Der wohl prominenteste Name auf den Klüh-Gehaltslisten: Sami Ben Mohamed A. alias Abdallah Al Maghrebi alias Abu Al Moujtaba. Der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden stand mindestens im Dezember 2000 und im Januar 2001 in Diensten der Sicherheitsfirma. Das belegen Dokumente aus Sicherheitskreisen, die unserer Redaktion vorliegen.

    Der frührere Al-Kaida-Chef Osama bin Laden.
    Der frührere Al-Kaida-Chef Osama bin Laden. © imago stock&people | imago stock&people

    Ob Sami A. noch länger als Security-Mann aktiv war, bleibt offen. Auf Anfrage teilt Klüh mit, die Personalie sei nicht mehr überprüfbar. „Rund um die Jahrtausendwende können die Beschäftigungsverhältnisse aufgrund der geltenden Aufbewahrungsfristen nicht mehr nachvollzogen werden“, heißt es in einer Stellungnahme.

    Grundsätzlich gelte: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Klüh Security, die mit der Bewachung oder dem Schutz von Leben oder fremdem Eigentum betraut sind, müssen vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der zuständigen Ordnungsbehörde unter Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses gemeldet werden. Erst nach erfolgter Zustimmung durch die Ordnungsbehörde erfolgt überhaupt ein Einsatz.“ Seit wann diese Praxis gilt, zu dieser Nachfrage äußert sich Klüh nicht.

    Klüh schweigt über Anstellung von Sami A.

    Man befinde sich in der Geheimschutzbetreuung des Bundes, „sodass – je nach Einsatzbeschreibung – eine dreistufige Sicherheitsüberprüfung unserer Mitarbeiter bis hin zur Beteiligung von Verfassungsschutz und anderen Diensten erfolgt“, so das Unternehmen. Seit wann diese Betreuung läuft, bei welchen Einsätzen ein Sicherheitscheck greift und bei welchen nicht – auch hierzu gibt es von Klüh keine Antworten.

    Ebenso wenig zu der Frage, seit wann die Mitarbeiterdaten täglich mit der EU-Antiterrorverordnung abgeglichen werden. Wen oder was Sami A. als Security-Mann schützte, ob er in sensiblen öffentlichen Bereichen zum Einsatz kam und wenn ja, in welchen, dazu ist von seinem Ex-Arbeitgeber ebenfalls nichts zu erfahren. Sicher ist hingegen: Er war nicht das einzige mutmaßliche frühere Al-Kaida-Mitglied in den Reihen des Sicherheitsdienstes Klüh.

    Stationen von Sami A.: Mönchengladbach, Krefeld, Bochum

    Das bürgerliche Leben und die Nähe zum Terror – Sami A. pflegte beides. Die Übergänge waren fließend. Seine Dienstherren wussten offenbar nicht, wen sie dort einstellten. Und Sicherheitsbehörden realisierten den Aktionsradius des Islamisten häufig erst, als es fast zu spät war – kurz vor geplanten Terrorakten, die gerade noch vereitelt werden konnten. Das dokumentieren Ermittlungsakten, die unserer Redaktion vorliegen.

    Am 6. September 1997 kommt der damals

    nach Deutschland. Die Aufenthaltsbewilligung erhält er zu Studienzwecken. Zum Wintersemester 1997/98 schreibt sich A. an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld ein, für den Studiengang Textiltechnik, 1998/99 wechselt er ins Fach Technische Informatik.

    Sein erster Hauptwohnsitz wird Mönchengladbach, Nebenwohnsitz kurz darauf ein Schwesternwohnheim in Krefeld. Sami A. bleibt nie lange an einem Ort. Bis 2007 gibt er neun Haupt- und Nebenwohnsitze an. Zuletzt ist er in Bochum gemeldet. Wo er sich tatsächlich aufhält, das ist eine andere Geschichte.

    Sami A. soll Terrorcamp durchlaufen haben

    Unmittelbar vor seinem Engagement bei Klüh Security soll es Afghanistan gewesen sein. In dem von Osama bin Laden geführten Al-Kaida-Ausbildungslager Al Farouk soll Sami A. internationale Top-Terroristen getroffen haben: bin Laden persönlich, dessen Stellvertreter Abu Hafs Al Masri, Ramzi Binalshibh, den Cheflogistiker der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, und Christian Ganczarski, Initiator des Selbstmordattentats 2002 auf der Ferieninsel Djerba mit 21 Toten, darunter 14 deutschen Touristen.

    Deutsche Polizei- und Justizbehörden halten es für gesichert, dass Sami A. im Al-Kaida-Camp eine terroristische Ausbildung durchlaufen hat und darüber hinaus in der Leibgarde bin Ladens eingesetzt war.

    lässt diese Vorwürfe anwaltlich bestreiten. Doch sie werden von einigen Aussagen gestützt. Eine stammt von dem Terror-Aussteiger Shadi Abdallah, einst selbst ein Al-Kaida-Mann und nach eigener Aussage ebenfalls Mitglied der Leibgarde bin Ladens. Als Kronzeuge im Prozess gegen die Terrorvereinigung Al Tawhid vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf schildert er 2004 detailliert die Funktion von Sami A.

    Sami A. soll bin Laden mit Panzerfaust beschützt haben

    Der habe bin Laden als Bodyguard mit einer russischen Panzerfaust beschützt. Mit dem Glanz dieser Funktion habe sich Sami A. in Bochumer Parks gebrüstet, erzählen junge Muslime, die der Salafist in Religion unterrichtet hat.

    „Mit seiner Vita – seinem Aufenthalt im Ausbildungslager und seiner Tätigkeit als Leibwächter von Osama bin Laden –, die er in seine Predigten regelmäßig mit einfließen lässt, prahlt er, um seine Anerkennung in dem entsprechenden Milieu zu steigern“, berichtet der NRW-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) 2012 im Innenausschuss des Landtages. Für NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier ist Sami A. damals einer der „Rückkehrer, die wir als besonders gefährlich einschätzen“. Der Tunesier sei gewaltbereit, deshalb „haben wir ihn besonders im Blick“, so Freier.

    Seine Dienstherrn und Kollegen dagegen sind arglos. Sie ahnen nichts vom zweiten Gesicht des Sami A. Der wechselt 2001 aus dem Sicherheitsbereich ins Moderne Antiquariat: von der Klüh Security zum Avus Bücherdienst Köln. Vier Monate steht er bei dem Buchhändler auf der Gehaltsliste. Das sei ihr „nach bestem Wissen und Gewissen nicht bekannt“, sagt die hörbar verwunderte Geschäftsführerin.

    Sami A. war Schlüsselfigur von Krefelder Terrornetzwerk

    Im August 2001 findet Sami A. beim Düsseldorfer Herrenausstatter Pohland einen neuen Job. Ob er dort Hemden, Jacken oder Anzüge verkauft hat, bleibt offen. Pohland ist seit 2015 insolvent, der Geschäftsführer der Auffanggesellschaft reagiert nicht auf Mails. Als Sami A. im Modehaus arbeitet, ist er längst die Schlüsselfigur der „Krefelder Gruppe“, eines Terrornetzwerkes, das die Polizei jahrelang in Atem halten wird, weil es einen Gefährder nach dem anderen hervorbringt.

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      In der „Krefelder Gruppe“ bindet A. international aktive Dschihadisten. Zwei der bekanntesten: Christian Ganczarski, Drahtzieher des Anschlags von Djerba, und Mohamed Aba­teh, der spätere Propagandachef von Al-Kaida und Schwiegersohn von Bin-Laden-Stellvertreter Aiman Al-Zawahiri. Abateh stirbt 2006 bei einem US-Raketenangriff in Pakistan.

      Sami A. zieht diskret die Strippen. Der Salafist predigt und hält religiöse Vorträge. Amid C. und Halil S. sind unter denen, die ihm zuhören. 2011 wollen sie als Mitglieder der vierköpfigen „Düsseldorfer Zelle“ mit einem Sprengstoffanschlag ein Massaker anrichten. Das Manuskript für ein Bekennervideo ist bereits geschrieben, da greift die Polizei zu und nimmt die Gruppe fest. Amid C. bekommt fünfeinhalb, Halil S. viereinhalb Jahre Haft. Fazit der Ermittler: Sami A. habe wesentlich zur Radikalisierung der beiden Männer beigetragen.

      Sami A. zählte Fahrgäste in Bussen und Bahnen

      Zwei andere Glaubensbrüder, die seinen Worten lauschen, sind Tayfun S. und Koray D. Sie treffen Sami A. in Essener Moscheen. 2012 verabreden sich S. und D. mit zwei weiteren Islamisten dazu, den Chef der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW, Markus Beisicht, zu erschießen. Ermittler durchkreuzen den Plan und nehmen das Quartett fest.

      Koray D. muss für zwölf Jahre ins Gefängnis, Tayfun S. für neuneinhalb Jahre. Der Kopf der Gruppe, Marco G., deponiert eine selbst gebaute Rohrbombe im Bonner Hauptbahnhof. Eine Ladehemmung verhindert die Katastrophe. G. bekommt lebenslänglich.

      Das Doppelleben des Sami A. pendelt zwischen konspirativen Treffen und Gelegenheitsjobs. Mitunter fährt er häufiger Bus und Bahn – beruflich bedingt. Dann ist er im Auftrag einer Tochtergesellschaft der Stadtwerke Krefeld unterwegs, lässt sich Fahrkarten und Ausweise zeigen. Sami A. sei „im Rahmen der turnusmäßigen Verkehrszählung für den Verkehrsverbund Rhein/Ruhr (VRR)“ beschäftigt worden, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Sie bestätigt „temporäre Einsätze in den Jahren 2002, 2004 und im ersten Quartal 2006“.

      Al-Kaida-Mitglied als Ordner beim Fußball-Länderspiel

      Neben Sami A. erfasst 2004 noch ein anderer radikaler Islamist das VRR-Fahrgastaufkommen: der Marokkaner Mohammed T. Auch er ein Gefährder, auch er ausgebildet in bin Ladens Militärcamp. Sicherheitsbehörden stufen ihn als „führendes Mitglied der Al-Kaida“ ein. Die Stadtwerke Krefeld bestätigen die Einstellung von Mohammed T.; wie Sami A. sei er als studentische Aushilfe eingesetzt worden.

      Ein Ordner von Klüh steht vor dem leeren Gästeblock der Düsseldorfer Arena – so wie es 2005 auch der marokkanische Gefährder Mohammed T. tat.
      Ein Ordner von Klüh steht vor dem leeren Gästeblock der Düsseldorfer Arena – so wie es 2005 auch der marokkanische Gefährder Mohammed T. tat. © imago sportfotodienst | imago sport

      Und wie Sami A., so schafft es auch Mohammed T. in die Sicherheitsbranche. Von 2002 bis Ende 2005 ist er für Klüh aktiv. Er wird als Ordner eingesetzt – auch in äußerst sensiblen Bereichen: Am 9. Februar 2005 zählt der Al-Kaida-Mann zu rund 700 Klüh-Mitarbeitern, die das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Argentinien sichern. 52.000 Zuschauer erleben das Spektakel in der Düsseldorfer LTU-Arena. Mohammed T. steht an einem der Tribünenzugänge. Zwei Tage nach dem Spiel gibt Klüh eine Pressemitteilung heraus, freut sich über „lobende Worte vom DFB“. Der Chef der Klüh-Niederlassung Düsseldorf damals: „Die Sicherheit der Arena und der Zuschauer haben hier oberste Priorität.“

      Sami A. wehrt sich in 14 Gerichtsverfahren gegen Abschiebung

      Was Klüh heute zu den Personalien sagt? Man könne „versichern, dass weder Sami A. noch Mohammed T. innerhalb der letzten zehn Jahre für eines unserer Unternehmen tätig waren“. Die Einsätze vor 2008 blendet die Firma aus. Das Bundeskriminalamt und andere Sicherheitsbehörden hingegen sind darüber im Bilde. Auch der Generalbundesanwalt in Karlsruhe kennt Klüh als zeitweiligen Arbeitgeber von Sami A. und Mohammed T. – und fertigt im September 2006 einen entsprechenden Vermerk.

      2006 trennen sich die Wege von Sami A. und Mohammed T. Beiden wird die Abschiebung angedroht, beide gehen juristisch dagegen vor. Doch nur Sami A. hat zunächst Erfolg. Mohammed T. wird am 26. Mai 2006 in ein Flugzeug gesetzt und nach Marokko ausgeflogen. In 14 Gerichtsverfahren wehrt sich Sami A. zwölf Jahre erfolgreich gegen seine Abschiebung. Bis zum 13. Juli 2018.