Rom. Erstmals bringt ein italienischer Frachter Migranten zurück an die nordafrikanische Küste. Kritiker sehen darin Verstoß gegen Seerecht.

Was sich am Montag vor der libyschen Küste genau abgespielt hat, darüber rätselt Italien noch am Mittwoch. Fest steht: Der Frachter

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“ wird am Montag gegen 14.30 Uhr von der libyschen Küstenwache gebeten, einem in Seenot geratenen Schlauchboot zu Hilfe zu eilen. Die „Asso 28“, ein leuchtend rotes Transportschiff mit mehr als 70 Metern Länge, befindet sich zu der Zeit im Seenotrettungsgebiet Libyens. Es gehört der Reederei Augusta Offshore in Neapel und versorgt eine Ölbohrplattform des italienischen Energie-Konzerns Eni.

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nimmt zunächst einen Vertreter der libyschen Küstenwache an Bord, der auf der Plattform Dienst tut. Nach Angaben der Reederei fährt das Schiff dann zum anderthalb Seemeilen südöstlich gelegenen Unglücksort. Um 15.30 Uhr erreicht die „Asso 28“ das Schlauchboot und nimmt die 101 in Seenot geratenen Flüchtlinge an Bord – darunter fünf Kinder und fünf schwangere Frauen.

Kommerzielles Schiff bringt erstmals Migranten nach Libyen zurück

Nachdem alle Insassen des Schlauchboots in Sicherheit sind, steuert das Schiff laut Reederei gegen 16.45 Uhr die libysche Küste an. „Nach dem Ende der Rettungsaktion flankierte ein Schnellboot der libyschen Küstenwache die ‚Asso 28‘ und informierte den Kapitän, dass das Schiff bis in den Hafen von Tripolis eskortiert werde“, teilt die Reederei lapidar mit. Im Hafen von Tripolis steigen die Geretteten gegen 21 Uhr auf ein Boot der Küstenwache um, das sie an Land bringt. „Zwischenfälle oder Proteste“ habe es nicht gegeben, betont die Reederei. Es ist das erste Mal, dass ein kommerzielles Schiff gerettete Migranten nach Libyen zurückbringt.

Dass die Öffentlichkeit von der Aktion erfährt, liegt auch an dem italienischen Parlamentarier Nicola Fratoianni von der Linkspartei Liber e uguali (Frei und gleich). Der Politiker befindet sich an Bord eines Schiffs der spanischen Seenotrettungsorganisation Proactiva Open Arms, das in der Nähe kreuzt. Fratoianni übt scharfe Kritik. Die italienische Küstenwache sei über den Notfall informiert gewesen, sagt er. Und: Die Verantwortlichen der Ölbohrplattform von Eni hätten die Anweisung für die Rückführung der Flüchtlinge nach Libyen gegeben.

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    Von Milizen durchsetztes Land ohne staatliche Kontrolle

    Die italienische Küstenwache weist alle Vorwürfe zurück: Die Rettungsaktion sei ausschließlich von den libyschen Amtskollegen koordiniert worden. Auch der italienische Transport­minister Danilo Toninelli von der Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne unterstreicht, Italien habe „keine Anfragen erhalten“. Eni dementiert „kategorisch“, eine entsprechende Order gegeben zu haben.

    Private Rettungsorganisationen werfen der libyschen Küstenwache immer wieder vor, von Schleppern durchsetzt zu sein oder mit Schleusern Geschäfte zu machen. Libyen sei seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi ein von mehr als 100 Clans, Banden und Milizen durchsetztes Land ohne staatliche Kontrolle.

    In Italien gingen Zahlen um rund 80 Prozent zurück

    Es ist nicht nur unklar, wann die italienische Küstenwache über den Notfall informiert wurde. Es gibt auch keine Erklärung dafür, warum der Kapitän der „Asso 28“ den Anweisungen der Libyer Folge leistete. Kritiker machen jedoch geltend, dass das Recht bei dieser Aktion mit Füßen getreten worden sei. „Diese Episode stellt eine Bedrohung der Legalität für ganz Europa dar“, erklärt Christopher Hein, der Gründer und langjährige Leiter des Italienischen Flüchtlingsrats (CIR). Die Einhaltung des Prinzips von Artikel 37 der Genfer Flüchtlingskonvention sei infrage gestellt worden, so Hein. Der Passus untersagt Rückschiebungen ohne Prüfung möglicher Asylansprüche. Die Flüchtlingskonvention gilt in Italien, Libyen ratifizierte sie allerdings nicht.

    Flüchtlinge, die auf Booten von Libyen aus nach Italien übersetzen wollten, werden während eines Rettungseinsatzes vor der libyschen Küste geborgen.
    Flüchtlinge, die auf Booten von Libyen aus nach Italien übersetzen wollten, werden während eines Rettungseinsatzes vor der libyschen Küste geborgen. © dpa | Laurin Schmid

    Die restriktive Politik Italiens hat mit dazu geführt, dass seit dem 1. Januar doppelt so viele Flüchtlinge in Spanien angekommen sind wie im Vorjahreszeitraum. In Italien gingen die Zahlen hingegen um rund 80 Prozent zurück. „Der schwarze Peter wird immer an den Nächsten weitergeschoben“, rügt der Flüchtlingsexperte Hein. Auch mit Blick auf das internationale Seerecht gibt es dicke Fragezeichen. Da die „Asso 28“ unter italienischer Flagge fährt, ist der italienische Staat rechtlich für die Aktionen des Schiffs zuständig. Die Verpflichtung, Gerettete in einen sicheren Hafen zu bringen, geht aus dem Seerecht hervor.

    Salvini ist Schrittmacher der harten italienischen Linie

    Schrittmacher der harten italienischen Linie ist Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega. Er schloss bereits die Häfen des Landes für private Flüchtlingsretter. Kommerzielle Frachter und Marineschiffe – etwa der EU-Grenzschutzoperation Frontex oder der Anti-Schleuser-Mission „Sophia“ – dürfen indes weiterhin aus Seenot gerettete Flüchtlinge in Italien absetzen. Allerdings: Die italienische Küstenwache verweist Notrufe auf Salvinis Geheiß an die Libyer.

    „Um festzustellen, ob es sich um eine kollektive Rückschiebung handelte, müsste man beweisen, dass das Schiff im Auftrag des italienischen Staats gehandelt hat“, erklärt der römische Völkerrechtler Sergio Marchisio. „Die internationale Seenotrettungskonvention legt nicht fest, welches ein sicherer Hafen ist“. Das Kriterium bei der Auswahl müsse daher auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention ermittelt werden. Diese besagt, dass Bootsflüchtlinge nicht in Länder gebracht werden dürfen, in denen ihnen unmenschliche Behandlung oder gar Folter drohen.

    12.000 Menschen wurden aus dem Mittelmeer gefischt

    Darüber hinaus verweist Marchisio auf die Seenotrettungskonvention, nach der jeder Staat, der ein Seenotrettungsgebiet („search and rescue zone“) ausgewiesen hat, die dortigen Rettungsaktionen nach eigenen Möglichkeiten koordinieren muss. Libyen hat seit Ende vergangenen Jahres eine derartige Zone. Doch die Lage ist kompliziert. Laut Marchicio ist zwar der Staat, der dem Unglücksort am nächsten liegt, zunächst zuständig. Dennoch seien andere Staaten, die über bessere Rettungsmöglichkeiten verfügten, ebenso verpflichtet, im Notfall zu helfen.

    Nach Ansicht des Völkerrechtlers an der römischen Universität La Sapienza hätte der Kapitän der „Asso 28“ die Geretteten in einen sicheren Hafen bringen müssen. Nach Einschätzung der EU bietet Libyen hierfür keine Gewähr. Dennoch sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seit Jahresbeginn mehr als 12.000 Menschen, die aus dem Mittelmeer gefischt wurden, zurück nach Libyen gebracht worden. Zudem steuerte die UN-Organisation in den vergangenen 18 Monaten die Rückkehr von fast 30.000 Flüchtlingen aus Libyen in ihre Heimatländer unterhalb der Sahara – aufwendige Programme, die von der EU bezahlt werden.