Berlin. Weil der ehemalige Partner nicht zahlt, droht vielen Alleinerziehenden die Armut. Doch es gibt noch weitere Armutsrisiken für sie.

Nie genug Zeit für alles, oft ein schlechtes Gewissen. Und dann häufig noch die Blicke der anderen, die alles, was schief geht, mit der Familienkonstellation erklären: Papa hat vergessen, Tonpapier fürs Basteln in der Kita zu kaufen? Klar, ist ja alleinerziehend. Das Kind malt immer noch über den Rand? Natürlich, Mama arbeitet ja nachmittags, statt mit ihm zu üben. Keine Zeit für das Team-Meeting abends? Logisch, muss ja auf die Kinder aufpassen. Alleinerziehende in Deutschland stehen unter Druck. Und sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen. Aber was von außen nicht sichtbar ist: Ihr größtes Problem ist das fehlende Geld.

Nach Angaben des Familienministeriums ist die Zahl der Kinder, für der Staat Unterhaltsvorschuss zahlt, seit einer Reform im vergangenen Jahr stark gestiegen. Erst seit Juli vergangenen Jahres springt der Staat auch bei Kindern über zwölf Jahren ein, wenn ein unterhaltspflichtiger Elternteil nicht zahlt. Zur gleichen Zeit wurde eine Begrenzung der Zahlung auf maximal sechs Jahre aufgehoben. Seitdem hat sich die Zahl der Fälle fast verdoppelt: Erhielten vor der Reform 414.000 Kinder die Vorschuss-Zahlungen, waren es schon im März dieses Jahres, wenige Monate nach dem Inkrafttreten, rund 714.000. Der Bedarf ist offenbar groß.

Alleinerziehende sind häufiger armutsgefährdet

Alleinerziehende sind eine Gruppe, die selten auftaucht in sozialpolitischen Debatten. Dabei sind sie viele: 2,6 Millionen Menschen in Deutschland ziehen, aus den unterschiedlichsten Gründen, ihre Kinder allein groß. Die allermeisten von ihnen – rund 90 Prozent – sind Frauen. Viele von ihnen müssen kämpfen, um finanziell über die Runden zu kommen – nach Angaben des statistischen Bundesamts ist rund ein Drittel der Alleinerziehenden in Deutschland armutsgefährdet. Studien gehen zum Teil von deutlich höheren Anteilen aus. Unter Paarfamilien mit einem Kind liegt dieser Anteil bei rund elf Prozent.

Das liegt nicht allein an säumigen Unterhaltszahlern. Selbst wenn der ehemalige Partner oder die Partnerin finanziell unterstützt, haben Alleinerziehende es oft schwer. Die Gründe dafür liegen häufig in der Zeit vor der Trennung, erklärt Nicola Berkhoff vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in Nordrhein-Westfalen: „Mit der Heirat und Familiengründung gibt es bei vielen Familien eine Retraditionalisierung“, sagt Berkhoff im Gespräch mit unserer Redaktion. Das heißt: Viele heterosexuelle Paare teilen die anfallende Arbeit nach traditionellen Rollenmustern auf.

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    Die Frau bleibt zu Hause oder arbeitet in Teilzeit, während sie sich hauptverantwortlich um die Kinder kümmert. Der Mann arbeitet weiterhin 40 Stunden pro Woche und bringt so den Hauptteil des Familieneinkommens nach Hause. „Das funktioniert, solange man zu zweit ist“, erklärt Berkhoff. „Aber in dem Moment, wo man sich trennt, ist der Elternteil, der seine Karriere weiter vorangetrieben oder zumindest nicht pausiert hat, auf einmal in einer viel besseren Ausgangssituation.“ Wenn das Modell Versorgerehe scheitert – in Deutschland wird derzeit etwa ein Drittel der Ehen geschieden – sind es vor allem die Frauen, die schlechter gestellt sind.

    Experte: Alleinerziehende werden wie Singles besteuert

    Wer es aus dieser Situation heraus schafft, eine Vollzeitstelle zu finden und mit der Kinderbetreuung zu vereinbaren, muss erheblich mehr vom verdienten Geld abgeben als verheiratete Paare. Zwar gibt es eine eigene Steuerklasse für Alleinerziehende. So soll für das erste Kind ein Jahresfreibetrag von 1908 Euro entlasten. Doch dessen Effekt in der Praxis ist gering, sagt VAMV-Vertreterin Berkhoff. „Im Prinzip werden Alleinerziehende besteuert wie Singles“, sagt sie.

    „Das kommt nicht annähernd an das heran, was der Staat mit dem Ehegattensplitting an Ehesubventionierung betreibt.“ Viele Alleinerziehende seien zudem im Niedriglohnsektor tätig und würden ohnehin wenig Steuern zahlen. Sie seien über diesen Weg kaum ernsthaft zu entlasten. Es sind Ungleichheiten, die fortwirken, zum Beispiel in der Versorgung im Alter. Wer weniger lang Vollzeit arbeitet, erwirbt weniger Ansprüche. Wer schon im Arbeitsleben ständig finanziell an Grenzen stößt, kann nur schlecht vorsorgen.

    Den Unterhaltsvorschuss holt der Staat nur selten zurück

    Das soziale Stigma immerhin habe abgenommen seit der Gründung des Verbands vor rund 50 Jahren, sagt Berkhoff, Alleinerziehende sind Teil der Normalität. Trotzdem wünscht sie sich mehr Anerkennung für jene, die für sich und ihre Familie allein verantwortlich sind. Zum Beispiel mit einem System von Beratungsstellen. „Es gibt jeden Tag neue Alleinerziehende, weil sich jeden Tag Paare trennen“, sagt Berkhoff. „Da kommen Leute auf einmal in eine Situation, in der sie großen Informationsbedarf haben – und es gibt keine Struktur von Anlaufstellen, wo man sich informieren kann.“ Dabei könnten mit einem präventiven Ansatz viele Probleme vermieden werden, sagt sie.

    Der Unterhaltsvorschuss, den der Staat seit Kurzem häufiger zahlt, ist im übrigen in vielen Fällen nur dem Namen nach ein Vorschuss. Eigentlich will der Staat das Geld von den säumigen Elternteilen zurückholen. Das klappt aber nur schlecht: Von 1,1 Milliarden Euro, die 2017 ausgezahlt wurden, kamen nur 209 Millionen zurück. Warum so viele nicht zahlen, weiß niemand genau, sagt Berkhoff vom VAMV: „Haben die nicht das Geld, wollen die nicht, wenn ja, warum wollen die nicht?“ Man wisse es nicht, sagt sie – Studien zum Thema würden „dringend“ gebraucht.