München. Das Urteil gegen Beate Zschäpe im NSU-Prozess darf kein endgültiger Schlussstrich sein. Die Ermittlungen sollten deshalb weitergehen.

Ein Wort steht wie kein anderes für das Versagen des Staates, für das Versagen der Sicherheitsbehörden und der Medien. Am Ende für das Versagen einer ganzen Gesellschaft. Das Wort heißt: „Döner-Morde“. Als wären Fleischspieße hingerichtet worden – und nicht Menschen.

„Döner-Morde“, es war viele Jahre die Chiffre für eine beispiellose Straftat. Zehn Menschen starben. Nur wenige haben gefragt: Töten da Rassisten? Erst durch das zufällige Auffliegen des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds, des NSU, im Jahr 2011 war klar: Rechtsterroristen mordeten jahrelang – unbehelligt und unentdeckt.

Wer heute mit Hinterbliebenen der Opfer spricht, weiß: Ihr Leid, ihre Wut sind nicht verblasst. Fünf Jahre lang lief der Prozess gegen den NSU. Die Familien der Opfer schauen nach München: Schafft das Urteil Gerechtigkeit? Kann es Vertrauen in diesen Staat wiederherstellen? Oder heilt nur die Zeit die Wunden?

Beate Zschäpe hat sich als NSU-Mitglied schuldig gemacht

Beate Zschäpe, die jahrelang mit den Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund lebte, erhielt die Höchststrafe: lebenslang, mit besonderer Schwere der Schuld. Das Urteil ist scharf, denn einen Mord konnte die Staatsanwaltschaft ihr nicht nachweisen. Beweise dafür, dass Zschäpe an einem der Tatorte war, gibt es nicht. Das Urteil ist dennoch gerecht. Zschäpe hat den NSU nach außen hin gedeckt, sie hat von den Morden gewusst, sie hat im Urlaub die Gruppe getarnt, sie hat nach dem Auffliegen des NSU die Bekenner-DVDs verschickt. Sie war Mittäterin.

Zschäpes Verteidiger kündigen Revision gegen NSU-Urteil an

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    Nicht alle der fünf Angeklagten wurden hart bestraft. André E. verurteilte der Richter zu zwei Jahren und sechs Monaten. Die Anklage hatte wegen Beihilfe zur Mordserie zwölf Jahre Haft gefordert – eine Schlappe für die Staatsanwälte. Das Gericht sah dafür nicht genügend Belege. André E. hat über das Urteil geschmunzelt. Ein Lachen wie ein Schlag ins Gesicht der Opferfamilien. Und doch gilt auch: Das Gericht hat diesen Prozess penibel geführt.

    Ermittlungen in NSU-Fällen müssen weitergehen

    Und die Aufgabe für das Gericht war nie leicht. Im Gegenteil: Unter dem Versagen der Sicherheitsbehörden bei den Mordermittlungen leidet auch die Justiz. Akten zum Fall wurden vom Verfassungsschutz geschreddert, wichtige Zeugenaussagen wurden nicht richtig ausgewertet, Polizisten ermittelten vor allem in eine Richtung: gegen die Familienangehörigen. All diese Fehler und Versäumnisse fallen Staatsanwälten bei der Beweisführung gegen

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    und Co. vor die Füße. Mögliche Helfer und Mittäter konnten auch wegen des Versagens der Sicherheitsbehörden nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

    Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den Verfassungsschutz abzuurteilen. Ein Richter soll die individuelle Schuld eines Menschen klären – nicht die Fehler eines Systems. Doch genau deshalb darf nach dem Urteil gegen Zschäpe nicht Schluss sein. Staatsanwälte, Polizei und Verfassungsschützer genauso wie Journalisten und Anwälte müssen das Netz des NSU weiter entwirren.

    Waren wirklich nur Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die Terrorzelle? Wussten einzelne Verfassungsschützer doch mehr über das NSU-Trio, als sie bisher zugegeben haben? Der Aktenberg zur Mordserie ist riesig, die ungeklärten Fragen sind es auch. Deutschland erlebt 18 Jahre nach dem ersten NSU-Mord, wie Hass gegen Fremde unter Deutschen wächst. Wie Ausländer und Flüchtlinge Ziel von rechter Gewalt werden. Die Hinterbliebenen der Morde sagen: Wir haben wieder Angst. Zeit heilt keine Wunden. Heilen können nur die Verantwortlichen selbst, Politiker und Sicherheitsbehörden – durch Einsicht und Handeln.