Chimalhuacán. Linkskandidat Obrador ist Favorit bei der Wahl in Mexiko am Sonntag. Mehr als 120 Politiker sind getötet worden.

Der Kandidat verspätet sich, sein Zeitplan ist eng getaktet. Und wenn es dann wie an diesem Tag im Juni in Strömen regnet, gerät alles durcheinander. Wo bleibt Andrés Manuel López Obrador? In dem kleinen Ort Chimalhuacán, drei Autostunden von Mexiko-Stadt entfernt, harren 3000 Menschen geduldig unter Planen und Schirmen im tiefen Matsch der Sportanlage aus. Wahlkampfsongs halten sie bei Laune. „Wir warten auf ihn, egal, wie lang es dauert“, sagt Catalina Guevara (65). „Er muss unser Land retten, die anderen haben es an den Abgrund geführt“, sagt die pensionierte Lehrerin.

Als um 19.45 Uhr ein Mann in Schwarz die Bühne erklimmt und sich für die einstündige Verspätung entschuldigt, skandieren die Menschen: „Es un honor, estar con Obrador. Es ist eine Ehre, mit Obrador zu sein“. Der Präsidentschaftskandidat war am Morgen an der Karibikküste und muss noch am Abend weiter nach Guadalajara. Seit Monaten hetzt er durchs Land, besucht jeden Weiler. „Er weiß, woran es uns fehlt“, sagt die frühere Lehrerin Guevara: Sicherheit, Arbeitsplätze, mehr Wohlstand, weniger Korruption.

López Obrador in Umfragen vorn

In Chimalhuacán verspricht López Obrador Stipendien für Oberschüler, Hilfe für die Bauern, Garantierente für Alte. Seine Botschaften sind einfach, aber die Zuhörer quittieren sie mit lauten „Jaaaa“-Rufen. López Obrador geißelt die „Mafia der Macht“, die Mexiko ausgeplündert habe. „Ich komme wieder, als Präsident“, kündigt er nach seinem halbstündigen Auftritt an. Tatsächlich sehen die Umfragen den Kandidaten mit seiner neuen „Bewegung zur Erneuerung Mexikos“ bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag vorn.

Er hat beste Chancen, das mit 127 Millionen Einwohnern zweitgrößte Land Lateinamerikas und die zweitgrößte Volkswirtschaft der Region zu regieren. In den Umfragen liegt er mit 49,6 Prozent weit vor den Vertretern der klassischen Parteien. Der Konservative Ricardo Anaya kommt auf 27 Prozent. Der parteilose Ex-Finanzminister José Antonio Meade, den die Regierungspartei PRI ins Rennen schickt, liegt mit 23 Prozent auf dem dritten Platz.

Führung durch einen Schmuggeltunnel

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    Fakt ist: Alles im Land ist schlechter geworden

    In seiner Amtszeit sollte alles besser werden, versprach der scheidende Präsident Enrique Peña Nieto bei Amtsantritt vor sechs Jahren. Weniger Tote im Drogenkrieg, weniger Korruption, mehr Wachstum und niedrigere Preise aufgrund der Strukturreformen. Fakt ist: Alles ist schlechter geworden. Mit mehr als 29.000 Morden war das vergangene Jahr das blutigste in der jüngeren Geschichte des Landes. 35.000 Menschen gelten nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft als vermisst, vor allem im Norden Mexikos, wo das Organisierte Verbrechen besonders stark ist.

    Es sind Kollateralschäden eines grotesken Kriegs des Staates gegen die Mafias und der Mafias untereinander, den niemand gewinnen kann. In den vergangenen zwölf Jahren sind in diesem „Bürgerkrieg“ geschätzt 200.000 Menschen ermordet worden. Im Wahlkampf sind zudem bisher mehr als 120 Politiker getötet worden. Zwischen Januar und Mai 2018 wurden auch 45 Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Wahlberichterstattung angegriffen, fünf von ihnen kamen gewaltsam ums Leben.

    Geringes Wirtschaftswachstum

    Außerdem fallen Menschenrechtsverbrechen wie das Verschwinden der 43 Studenten von Ayotzinapa im September 2014 in Peña Nietos Amtszeit. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International hat Mexiko unter Peña Nieto 30 Plätze eingebüßt und liegt nun gemeinsam mit Russland auf Platz 135.Die Öffnung des Energiesektors hat vor allem eines bewirkt: höhere Benzin- und Strompreise.

    Und die Wirtschaft wuchs gerade mal um 2,5 Prozent pro Jahr, zu wenig für ein Schwellenland. Der Mindestlohn von umgerechnet etwas mehr als 100 Euro liegt nach Berechnungen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) unter der Armutsgrenze. Und so zählen die Mexikaner die Tage, bis Peña Nieto und seine Partei endlich gehen.

    Wähler werden mit anonymen Anrufen bombardiert

    Auf Mexikos künftigen Präsidenten warten auch außenpolitisch große Herausforderungen. Für das künftige Verhältnis zu den USA wird entscheidend sein, welche Position der Staatschef in der Migrationsfrage einnimmt, sowohl an der Grenze zu Zentralamerika als auch im Norden zu den USA. Menschenrechtsorganisationen hoffen zudem auf einen Kurswechsel in der juristischen Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen von Polizei und Armee.Die etablierten Parteien versuchen noch bis zum Schluss, López Obrador unter allen Umständen zu verhindern.

    Die Wähler werden mit anonymen Anrufen bombardiert, in denen düstere Stimmen falsche Behauptungen über den führenden Linkskandidaten aufstellen. Er wolle angeblich den Sozialismusin Mexiko einführen und die Institutionen zerstören. Bereits 2006 hat es eine ähnliche Schmutzkampagne gegen ihn gegeben. Seinerzeit hieß es, López Obrador sei eine „Gefahr für Mexiko“, er werde das Land in ein zweites Venezuela verwandeln. Damals war er fast am Ziel, wurde jedoch am Ende vom konservativen Kandidaten Felipe Calderón besiegt. Bis heute besteht ein Betrugsverdacht zuungunsten des Linkspolitikers.