Berlin. Die Union zerlegt sich im Streit um die Flüchtlingspolitik selbst. Für Europa ist der Konflikt alles andere als eine gute Nachricht.

Was für ein Spektakel. Am Donnerstag schrillten im Bundestag die Alarmglocken, um die Abgeordneten von CDU und CSU zu getrennten (!) Sondersitzungen zu rufen. Nach nicht einmal 100 Tagen großer Koalition zerlegt sich die Union im Asylstreit. Die Kanzlerin wird getrieben, wiederholt von der sogenannten Schwesterpartei CSU.

Unvergessen, wie Merkel Ende 2015 auf einem CSU-Parteitag eine gefühlte Ewigkeit neben Seehofer wie ein Schulmädchen stehen und seine Belehrungen zu ihrer Flüchtlingspolitik über sich ergehen lassen musste. Jetzt legt die CSU noch eine Schippe drauf.

Horst Seehofer, seines Zeichens Bundesinnenminister, und die CSU nehmen im Streit um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, die bereits in der EU registriert wurden, die Demontage, ja womöglich den Sturz der Kanzlerin in Kauf.

Der bayerische Löwe brüllt gerne laut

Ein führender Christsozialer beklagte, Merkel wolle einfach nicht kapieren, was im Land los sei. Die CSU handele aus „Notwehr“. In den Wahlkreisen wachse täglich die Wut. Erst der Skandal um Schlampereien und womöglich Betrügereien beim Flüchtlingsbundesamt Bamf, dann die Vergewaltigung und Tötung der jungen Susanna in Wiesbaden.

Dobrindt spricht von "sehr ernster Lage" in der Union

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    Einzelne CSU-ler drohten zeitweise mit einem Bruch der Fraktionsgemeinschaft. Das erinnert an Zeiten, als zwischen Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl die Fetzen flogen. Doch der bayerische Löwe brüllt gerne laut, aber er beißt selten zu. So schreckte die CSU-Spitze vor der finalen Eskalation zurück. Bis Montag will sie warten, bevor sie beim Masterplan ernst macht. Merkel hat ein paar Tage Zeit gewonnen, um noch zu versuchen, die CSU von einem Alleingang abzuhalten.

    Andernfalls will Seehofer qua Amt die Bundespolizei anweisen, seinen Masterplan mit der Zurückweisung an den Grenzen umzusetzen. Würde er dies gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin tun, müsste ihn Merkel eigentlich entlassen. Damit wäre die Regierung am Ende. Soweit ist es noch längst nicht.

    Von der Staatskrise weit entfernt

    Ein Rauswurf Seehofers? Ein Fachminister könne doch Maßnahmen ergreifen, während die Kanzlerin in Europa nach einer Lösung suche, heißt es aus der CDU. Das belegt einerseits Merkels Schwäche, andererseits deutet es darauf hin, dass beide Seiten die Hoffnung auf eine gemeinsame Linie noch nicht aufgegeben haben.

    Wie auch wollten

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    , Markus Söder und

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    , denen die Angst vor einem Debakel bei den bayerischen Landtagswahlen ins Gesicht geschrieben steht, Neuwahlen im Bund mit einem möglichen Erstarken der AfD rechtfertigen? Ja, bei der Bewältigung der Folgen der Flüchtlingskrise läuft einiges schief. Aber Staatskrise? Notstand? Davon ist Deutschland, wo nahezu Vollbeschäftigung herrscht, glücklicherweise weit entfernt.

    Söder fordert sofortige Entscheidung zu Zurückweisung an Grenze

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      Merkel wurde unter der Woche von der Wucht der CSU-Attacke kalt erwischt. Jetzt kämpft sie. Schützenhilfe erhielt sie ausgerechnet von ihrem alten Rivalen Wolfgang Schäuble. Er schaffte es, mit einem flammenden Appell für Europa und Merkels Kurs die CDU-Reihen vorerst zu schließen.

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      will die zwei Wochen bis zum EU-Gipfel Ende Juni nutzen, um Abkommen mit Italien oder Griechenland zu schließen, um dort registrierte Flüchtlinge abzuweisen und zurückzuschicken. Ob das klappt, ist mehr als ungewiss. Ihre Autorität ist nicht nur in der Union, sondern auch international schwer angekratzt. Für Europa ist das keine gute Nachricht. Die Liste „lupenreiner Demokraten“, die sich über ein handlungsunfähiges Deutschland und eine gelähmte EU freuen würden, ist lang – sie reicht von Trump, Erdogan, Putin bis zu Xi nach Peking.