Berlin. Bundesinnenminister Horst Seehofer wagt den Machtkampf gegen Kanzlerin Angela Merkel– und hat Argumente und die CDU an seiner Seite.

Horst Seehofer gehört nicht unbedingt zu den Lieblingen im Berliner Politikbetrieb. Bajuwaren gelten dort als etwas verschrobene Hinterwäldler, und die Sprunghaftigkeit und das Maulheldentum des langjährigen CSU-Ministerpräsidenten haben seinen Ruf nicht eben verbessert. Aber eines muss man dem Innenminister lassen: Seehofer hat früher als alle anderen Politiker vor den Folgen der Flüchtlingskrise gewarnt.

Als die Grünen im Willkommensherbst 2015 frohlockten, „wir bekommen Menschen geschenkt“, der SPD-Chef einen großen „Refugees Welcome“-Button im Bundestag trug und die Kanzlerin das luftige Versprechen gab, „wir schaffen das“, zürnte Seehofer über einen „Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird“.

Heute wird fast alles schwarzgemalt

Drei Jahre später ist die Mehrheit der Deutschen – das zeigen Umfragen wie Wahlen – von der Willkommenskultur abgerückt. Und für die Kanzlerin noch entscheidender: Für die Union gilt dasselbe. Nach der Euphorie des „hellen Deutschlands“ kommen nun die Mühen der Ebene.

Wurde vor drei Jahren – auch durch die Medien – die Situation in rosaroten Farben weich gezeichnet und die Integration als Selbstläufer dargestellt, hat sich die Wahrnehmung um 180 Grad gedreht. Heute wird fast alles schwarzgemalt und Integration von vornherein für unmöglich erklärt. Beides ist falsch.

Die Flüchtlingskrise hat das Land tief gespalten

Richtig aber ist: Deutschland hat sich übernommen. Die Flüchtlingskrise hat das Land tief gespalten und Europa auseinanderdividiert. Das gilt es nüchtern festzuhalten, wenn es um eine neue Politik geht. Die Kanzlerin hat längst ihre ursprüngliche Entscheidung Schritt für Schritt korrigiert, zu dem Eingeständnis eines Fehlers aber ist sie verständlicherweise nicht bereit.

Ein Zurückweisen von illegalen Migranten an der Grenze wäre ein solches Eingeständnis. Es ist aber, um in Merkels Sprache zu bleiben, alternativlos: Es wäre das überfällige Signal, dass Deutschland nicht das gelobte Land für Migranten sein kann, die ein besseres Leben suchen.

Seehofer verspricht Ländern individuelle Lösungen bei Asylzentren

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    Deutschland ist in Europa isoliert

    Das Fatale an der Willkommenskultur und den offenen Grenzen war ja, dass eben nicht nur viele kamen, die vor Verfolgung fliehen mussten, sondern auch viele kamen, weil sie es konnten. Man muss jeden Menschen verstehen, der ein besseres Leben sucht. Man muss aber auch jedes Land verstehen, das seine Grenzen schützt.

    Heute ist Deutschland in Europa isoliert. Auch wenn Seehofer oft in die rechte Ecke gestellt wird, sein Masterplan ist europäischer Mainstream: So denkt Österreich, so handelt die rot-grüne Regierung in Schweden, so wollen es die Dänen. Deshalb verfängt Merkels Argumentation mit Europa wenig – die meisten Staaten erwarten ein Signal aus Deutschland, das die Flüchtlingsströme bremsen soll.

    Die Lösung muss mit Europa koordiniert werden

    Seehofers Plan mit dem Zurückweisen könnte ein solches Signal sein. Das Problem: Wie im großen Flüchtlingsstreit 2016 stehen sich Merkel und Seehofer unversöhnlich gegenüber. Der Sieg des einen ist die Niederlage des anderen, ein bisschen Grenzkontrolle kann nicht funktionieren. Anders als damals sind aber viele Christdemokraten auf die bayerische Seite gewechselt. Sie fürchten die Stimmung an der Basis und ein weiteres Erstarken der AfD.

    Merkels einzige Chance wäre ein Asylkompromiss über die Parteigrenzen hinweg, der wie 1992 die Zuwanderung begrenzt, die Union befriedet, die gesellschaftliche Debatte abkühlt – und Flüchtlingen weiterhin hilft. Anders als vor einem Vierteljahrhundert müsste diese Lösung mit Europa koordiniert werden. Daran aber dürfte es kaum scheitern – schließlich muss sich vor allem die Kanzlerin bewegen . . .