Berlin. Ausgebootet von der eigenen Partei: Der ehemalige Bundesaußenminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel tastet sich in sein neues Leben.

Da sitzt er. Im Garten der Parlamentarischen Gesellschaft, einem edlen Club für Politiker neben dem Reichstag, zwitschern die Vögel. Ein paar Bundeswehrsoldaten auf Besuch in der Hauptstadt schlendern über den Rasen, schauen zu Sigmar Gabriel herüber. Sie tuscheln, ist das nicht …?! Aber das wird bald weniger werden.

Jahrzehnte war er mächtig. Ministerpräsident, SPD-Chef, zuletzt Vizekanzler, Außenminister. Keine drei Monate ist das her. Jetzt klingelt in eineinhalb Stunden das Handy einmal. Nach neun Jahren ist er gerade aus der Top 10 der beliebtesten Politiker gefallen. Die Karawane zieht weiter.

Nahles warnte vor Gabriel im Außenministerium

Auf die Frage, wie stark der Phantomschmerz ist, geht Gabriel nur oberflächlich ein: „Es ist neu und anders. Und es macht Spaß.“ Nach abgeschlossenen Lebensabschnitten müsse man sich neu orientieren und nicht ständig über die Vergangenheit nachdenken. Die Sätze wirken wie ein Schutzpanzer.

Anfang Februar schmissen ihn Martin Schulz, Andrea Nahles und Olaf Scholz raus. Mit Schulz, über den er in der ersten Wut böse herzog, ist es wieder okay. Nahles hatte Schulz gewarnt, Gabriel das Außenministerium zu lassen: „Entweder du killst ihn oder er killt dich.“ Jetzt sind beide weg, Nahles hat als erste Frau in der SPD die ganze Macht.

Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
1/20

In der Parteiführung sind sie froh, dass sie ihn los sind

Gabriel bestellt sich noch eine Tasse Kaffee. Er spricht leise, aber intensiv. Man könnte das sofort live im Fernsehen übertragen. Trump, Handelskrieg, Italien, Bamf

Auch interessant

– es gibt sehr wenige Politiker, die die großen Fragen in eine Nussschale packen können. Über die SPD wollte er eigentlich nicht reden. Aber wie soll das gehen? No way.

Der Mann war fast acht Jahre Vorsitzender. Er richtete die SPD nach dem Absturz 2009 wieder auf, überzeugte 2013 die Mitglieder im Alleingang von der GroKo. Machte Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten. In der Parteiführung um Nahles und Scholz sind sie froh, dass sie ihn los sind. Durch die Bank sagen Spitzengenossen, endlich werde offen miteinander geredet, Teamgeist statt Basta-Mentalität.

„Vogelschiss“-Debatte war viel zu schnell beendet

An der Parteibasis sieht das anders aus. Gabriel bekommt viele Einladungen von Ortsvereinen. Die Existenzkrise seiner SPD lässt ihn natürlich nicht kalt. „Es ist schon dramatisch, wie viele weiße Flecken wir als Volkspartei auf den Landkarten haben“, sagt er nachdenklich. „Sie müssen hin zu den Menschen, mit denen reden und die überzeugen, dass das ein gutes und starkes Land ist und Nationalismus und menschenfeindliche Propaganda nicht weiterhelfen. Ich finde, das ist für einen ehemaligen Parteivorsitzenden schon eine lohnende Tätigkeit.“

Die Karriere von Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel war lange Vorsitzender der SPD und mehrfach Minister in Bundesregierungen. Wir zeigen Stationen seines Wegs in Bildern. Zuletzt war er Außenminister.
Sigmar Gabriel war lange Vorsitzender der SPD und mehrfach Minister in Bundesregierungen. Wir zeigen Stationen seines Wegs in Bildern. Zuletzt war er Außenminister. © dpa | Britta Pedersen
Einen Streit mit Parteikollege Martin Schulz trug Sigmar Gabriel öffentlich aus. Zu seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt und dem Weg ins Private zitierte Gabriel gegenüber unserer Redaktion seine Tochter: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“
Einen Streit mit Parteikollege Martin Schulz trug Sigmar Gabriel öffentlich aus. Zu seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt und dem Weg ins Private zitierte Gabriel gegenüber unserer Redaktion seine Tochter: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ © dpa | Kay Nietfeld
Sigmar Gabriel bei seinem Sprung in die Spitzenpolitik: Am 15. Dezember 1999 wurde der gebürtige Goslarer als Ministerpräsident Niedersachsens vereidigt. Schon 1977 war er als 18-Jähriger in die SPD eingetreten. Nach einigen Jahren in der Kommunalpolitik zog Gabriel 1990 in den Landtag ein.
Sigmar Gabriel bei seinem Sprung in die Spitzenpolitik: Am 15. Dezember 1999 wurde der gebürtige Goslarer als Ministerpräsident Niedersachsens vereidigt. Schon 1977 war er als 18-Jähriger in die SPD eingetreten. Nach einigen Jahren in der Kommunalpolitik zog Gabriel 1990 in den Landtag ein. © REUTERS | REUTERS / Peter Mueller
Gratulation und Unterstützung gab es besonders von Genosse Gerhard Schröder.
Gratulation und Unterstützung gab es besonders von Genosse Gerhard Schröder. © REUTERS | REUTERS / Christian Charisius
Gabriel war damals der dritte Ministerpräsident in einer Legislaturperiode. Zuvor hatten Gerhard Schröder und Gerhard Glogowski das Amt niederlegen müssen. Schröder wegen seines Wechsels ins Kanzleramt, Glogowski wegen des Vorwurfs, er habe sich durch seine Stellung materielle Vorteile verschafft.
Gabriel war damals der dritte Ministerpräsident in einer Legislaturperiode. Zuvor hatten Gerhard Schröder und Gerhard Glogowski das Amt niederlegen müssen. Schröder wegen seines Wechsels ins Kanzleramt, Glogowski wegen des Vorwurfs, er habe sich durch seine Stellung materielle Vorteile verschafft. © imago stock&people | imago
„Klar für Sigmar“ sollte Niedersachsen auch 2003 sein, zumindest nach Vorstellung der SPD. Allerdings setzte es bei der Landtagswahl in diesem Jahr eine schallende Ohrfeige: minus 14,5 Prozent, während die CDU mit Spitzenkandidat Christian Wulff über zwölf Prozent zulegte und die Wahl gewann.
„Klar für Sigmar“ sollte Niedersachsen auch 2003 sein, zumindest nach Vorstellung der SPD. Allerdings setzte es bei der Landtagswahl in diesem Jahr eine schallende Ohrfeige: minus 14,5 Prozent, während die CDU mit Spitzenkandidat Christian Wulff über zwölf Prozent zulegte und die Wahl gewann. © imago stock&people | imago
Von 2003 bis 2005 war Gabriel stellvertretender Vorsitzender der SPD in Niedersachsen und Chef des SPD-Bezirks Braunschweig. Und er hatte noch genug Zeit, um sich als Partei-Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs einspannen zu lassen. Spitzname: Siggi Pop.
Von 2003 bis 2005 war Gabriel stellvertretender Vorsitzender der SPD in Niedersachsen und Chef des SPD-Bezirks Braunschweig. Und er hatte noch genug Zeit, um sich als Partei-Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs einspannen zu lassen. Spitzname: Siggi Pop. © imago stock&people | imago
2005 stand für Gabriel dann der Umzug nach Berlin an. Er war erstmals zur Bundestagswahl angetreten und gewann das Direktmandat seines Wahlkreises mit 52,3 Prozent der Erststimmen. Auch bei den Wahlen 2009 und 2013 holte er das Mandat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berief ihn in der großen Koalition zum Chef des Umweltministeriums, Bundestagspräsident Norbert Lammert (rechts) vereidigte ihn am 22. November.
2005 stand für Gabriel dann der Umzug nach Berlin an. Er war erstmals zur Bundestagswahl angetreten und gewann das Direktmandat seines Wahlkreises mit 52,3 Prozent der Erststimmen. Auch bei den Wahlen 2009 und 2013 holte er das Mandat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berief ihn in der großen Koalition zum Chef des Umweltministeriums, Bundestagspräsident Norbert Lammert (rechts) vereidigte ihn am 22. November. © imago stock&people | imago
In seiner Zeit als Umweltminister nahm Gabriel nicht nur Hybrid-Autos unter die Lupe, wie hier im Juni 2008 mit dem damaligen VW-Boss Martin Winterkorn – er setzte sich auch auf anderen Wegen für die Energiewende ein und forcierte den Atomausstieg.
In seiner Zeit als Umweltminister nahm Gabriel nicht nur Hybrid-Autos unter die Lupe, wie hier im Juni 2008 mit dem damaligen VW-Boss Martin Winterkorn – er setzte sich auch auf anderen Wegen für die Energiewende ein und forcierte den Atomausstieg. © imago stock&people | imago stock&people
Am 13. November 2009 wurde Gabriel auf dem Bundesparteitag in Dresden zum SPD-Vorsitzenden gewählt. 94,2 Prozent der Delegierten stimmten damals für ihn.
Am 13. November 2009 wurde Gabriel auf dem Bundesparteitag in Dresden zum SPD-Vorsitzenden gewählt. 94,2 Prozent der Delegierten stimmten damals für ihn. © imago stock&people | imago stock&people
Sigmar Gabriel beim Bierchen mit der damaligen NRW-Vizechefin Hannelore Kraft beim Politischen Aschermittwoch der SPD im Jahr 2010. In den folgenden Jahren wurde Gabriels Rückhalt in der Partei langsam, aber sicher immer kleiner. Beim Bundesparteitag 2011 vereinte er 91,6 Prozent der Stimmen auf sich, 2013 waren es nur noch 83,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 ging Peer Steinbrück als Spitzenkandidat der SPD ins Rennen.
Sigmar Gabriel beim Bierchen mit der damaligen NRW-Vizechefin Hannelore Kraft beim Politischen Aschermittwoch der SPD im Jahr 2010. In den folgenden Jahren wurde Gabriels Rückhalt in der Partei langsam, aber sicher immer kleiner. Beim Bundesparteitag 2011 vereinte er 91,6 Prozent der Stimmen auf sich, 2013 waren es nur noch 83,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 ging Peer Steinbrück als Spitzenkandidat der SPD ins Rennen. © imago stock&people | imago stock&people
Nach dem Desaster für die FDP bei der Bundestagswahl 2013 wurde die SPD wieder Koalitionspartner der Union. Gabriel ist seitdem Vize-Kanzler und war bis Januar 2017 Wirtschaftsminister.
Nach dem Desaster für die FDP bei der Bundestagswahl 2013 wurde die SPD wieder Koalitionspartner der Union. Gabriel ist seitdem Vize-Kanzler und war bis Januar 2017 Wirtschaftsminister. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
2015 äußerte Gabriel, dass er bei der Bundestagswahl „natürlich“ Kanzlerkandidat werden wolle. Das hat sich geändert. Am 24. Januar 2017 bestätigter er seinen Verzicht auf die SPD-Kanzlerkandidatur und legte auch den SPD-Vorsitz nieder.
2015 äußerte Gabriel, dass er bei der Bundestagswahl „natürlich“ Kanzlerkandidat werden wolle. Das hat sich geändert. Am 24. Januar 2017 bestätigter er seinen Verzicht auf die SPD-Kanzlerkandidatur und legte auch den SPD-Vorsitz nieder. © REUTERS | AMIR COHEN
Mit dem Wechsel von Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidentenamt wurde Gabriel für die restliche Legislaturperiode Außenminister der Koalition. Dieses Foto zeigt ihn während seiner Rede am 21. September 2017 bei der 72. UN-Vollversammlung in New York (USA).
Mit dem Wechsel von Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidentenamt wurde Gabriel für die restliche Legislaturperiode Außenminister der Koalition. Dieses Foto zeigt ihn während seiner Rede am 21. September 2017 bei der 72. UN-Vollversammlung in New York (USA). © dpa | Bernd von Jutrczenka
Gabriel im Gespräch mit Flüchtlingskindern im Flüchtlingslager „Hasansham U3“ bei Baschika, unweit von Mossul.
Gabriel im Gespräch mit Flüchtlingskindern im Flüchtlingslager „Hasansham U3“ bei Baschika, unweit von Mossul. © dpa | Kay Nietfeld
Gabriel und der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger im August 2017 in Kent (USA).
Gabriel und der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger im August 2017 in Kent (USA). © imago/photothek | Inga Kjer
1/16

Sein Vater war ein eingefleischter Nazi. Gabriel litt als Kind furchtbar darunter, bevor er nach langem Sorgerechtsstreit endlich zur Mutter durfte. Der Aufstieg der AfD, die Flüchtlingskrise, die etwas in der Gesellschaft ins Rutschen gebracht hat, das alles bewegt und beunruhigt ihn. Schlimm sei, dass die Debatte nach den „Vogelschiss“-Äußerungen von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland über die Nazizeit nach zwei Tagen weg gewesen sei.

Gabriel warnte bereits 2015 vor Flüchtlingsproblemen

„Die Behauptung, man dürfe der AfD nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, die halte ich für falsch. Die wollen die Grenzen dauerhaft verschieben und setzen auf Gewöhnung. Auschwitz als Vogelschiss der deutschen Geschichte zu bezeichnen, daran will ich mich nicht gewöhnen. Gauland und seine Anhänger stehen außerhalb unserer Gesellschaft. Es sind Brandstifter im Gewand der Biedermänner.“ Gabriel warnte 2015 als einer der ersten, dass mit den Flüchtlingen viele Probleme ins Land kommen. Traumatisierte Jugendliche mit Gewalterfahrung, Analphabeten und auch Kriminelle. Seine Genossen wollten nicht auf ihn hören.

Harte Töne von Nahles erfüllen ihn mit Genugtuung

Gabriels Idee eines großen Solidarpaktes, um Einheimischen die Angst vor Benachteiligungen zu nehmen, verlief im Sand. „Dafür habe ich viel Kritik gerade auch in meiner eigenen Partei einstecken müssen, weil die Stimmung damals eine relativ unpolitische und naive war. Dort liegen unsere eigentlichen Fehler.“

Politische Begegnungen: Sigmar Gabriel stellt Gerd Hoffmanns Autobiografie vor

weitere Videos

    Aber ist Gabriel da nicht ein wenig selbstgerecht? Saß er anfangs nicht mit einem „Refugees-Welcome“-Sticker auf der Regierungsbank? Dass seine Erzrivalin Nahles härtere Töne anschlägt („Wir können nicht alle aufnehmen“), erfüllt ihn jedenfalls mit Genugtuung. „Ich freue mich, dass die Parteivorsitzende der SPD mittlerweile einen wesentlich unideologischeren Zugang zu dem Thema hat. Das war nicht immer so.“

    Die Digitalisierung eröffnet der SPD Möglichkeiten

    Nahles sitzt an diesem Montag mit der Parteispitze zusammen, um von Experten zu hören, warum die SPD bei der Wahl auf 20 Prozent abstürzte und wie ein Neuanfang gelingen kann. Gabriel sagt nur ein Stichwort: Digitalisierung. „Die Sozialdemokratie ist mit der ersten industriellen Revolution groß geworden. Welche Haltung hat die Partei zur vierten industriellen Revolution?“

    Die Reform der SPD dürfe sich nicht „in liberalen und in Teilen Eliten-bezogenen Diskursen“ erschöpfen. „Sonst ergeht es uns so wie den Demokraten in den USA. Wer sich um den Arbeiter im Rust Belt nicht kümmert, den wird der Hipster in Kalifornien auch nicht retten.“ Die Digitalisierung biete Beschäftigten neue Freiheitsspielräume: „Das auszubauen und nicht defensiv zu sagen, wir brauchen ein solidarisches Grundeinkommen, einige arbeiten 70 Stunden, andere gar nicht und bekommen dafür 1500 Euro, das ist fast schon ein euphorisierendes Thema“, glaubt er.

    Gabriel zieht in den Verwaltungsrat von Siemens Alstom

    Und was euphorisiert einen Sigmar Gabriel, der vielleicht das Zeug zum Kanzler hatte, sich aber zu oft selbst im Weg stand, außer Politik? „Ich habe genug um die Ohren und bin ja auch Bundestagsabgeordneter. Es ist nicht so, dass ich Arbeitsmangel habe.“ In Bonn hält er Vorlesungen, bald auch an der Elite-Uni Harvard in den USA.

    Im nächsten Jahr zieht er in den Verwaltungsrat des neuen deutsch-französischen Eisenbahnriesen Siemens Alstom ein. Vorwürfe, er lasse sich als Ex-Wirtschaftsminister als Lobbyist einspannen, hält er für „abenteuerlichen Unsinn“: „Wenn ich Lobbyist sein sollte, dann für die fast 6000 Arbeitsplätze bei Siemens und Alstom in meiner Heimatregion.“

    Drei Wochen Urlaub mit dem Wohnmobil in Schweden

    Aber erst einmal ist Sommer. Bevor Marie, die mittlere von drei Töchtern, in die Schule kommt, fährt die Familie, Ehefrau Anke ist in Goslar Zahnärztin, drei Wochen mit dem Wohnmobil durch Schweden. Angeln, Elche gucken, Köttbullar essen. Keine Politik? Nicht ganz. Ein Schwede wird zur Reisegruppe Gabriel stoßen. Stefan Löfven, der Ministerpräsident, ein Freund. Die Genossen werden viel zu erzählen haben und auf einer großen Frage herumkauen: Wie ist Europas Sozialdemokratie zu retten?