Berlin. Alte Kontakte, neue Aufgabe: Der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird bald ein Neu-Siemensianer. Es ist kein kluger Zug.

Der Abgang ist eine Besonderheit. Manchmal ist er auch mehr als das, eine richtige Kunst. Es gibt den Abgang von der Bühne, „ab“ lautet die schnöde Regieanweisung, und den Abschluss beim Turnen. Punktgenau und möglichst ohne Wackler oder Standfehler.

Für eine schwierige, oft unterschätzte Übung gibt es hingegen kein Training und kaum Vorbilder: für den Abgang von der Politik. Meist ist er unfreiwillig und enttäuschend. Er macht einsam und leer. Der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel hat die Trauerarbeit nach seinem Ausscheiden aus dem Amt zu einem Theaterstück verarbeitet. Es wurde eine Komödie. Bei

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, früherer Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister, ist die Dramenform noch unklar.

Siemens schlägt Gabriel für den Verwaltungsrat vor

Vorhang auf, dritter Akt: Die Weichen für einen Wechsel in die Wirtschaft werden gestellt. Gabriel soll in den Verwaltungsrat eines deutsch-französischen Zugherstellers berufen werden. Es wird weltweit der zweitgrößte Bahnbauer und größter Hersteller von Signaltechnik. Als Wirtschaftsminister hatte Gabriel die Synergien von Siemens und Alstom befürwortet; „große Chancen“ sah er 2014 voraus.

Offensichtlich gilt der rheinische Imperativ: Mer kenne uns, mer helfe uns. Nun zahlen sich die alten Kontakte aus: Siemens schlägt ihn für den Verwaltungsrat vor. Aus einem Ex-Minister wird ein Siemensianer. Darf er das? Soll er das? Ja, er darf. Nein, er sollte es nicht, es ist kein kluger Zug. Etwas mehr Abstand, zeitlich wie zum Metier, wäre besser gewesen; Gabriel hätte sich damit unangreifbar gemacht.

Gabriel wird die Aufregung nicht nachvollziehen können

In der Demokratie werden Ämter und Mandate auf Zeit vergeben. Wer nur weit genug kommt und sich lang genug hält, steht früher oder später vor der Drehtür zur Wirtschaft. Wie der Wechsel aussieht, ob argwöhnisch eine Interessenverquickung vermutet werden kann, ob das Ganze ein Geschmäckle hat, wird schnell verdrängt.

Altkanzler

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hat nach seinem Wechsel vom Kanzleramt in den Aufsichtsrat einer Pipelinegesellschaft mal gesagt, das sei seine Freiheit, wer meine, das kritisieren zu müssen, „der kann mich mal“. Gabriel wird die Aufregung („weiter so mit der Karriereplanung der Genossen der Bosse“) erst recht nicht nachvollziehen können. Er wird sich sagen, dass der Aufsichtsrat nur vier Mal im Jahr tagt und es weiß Gott kein Vollzeitjob sei.

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    Spitzenpolitiker fallen zum Karriereende in ein Loch

    In der SPD, die als Partei der kleinen Leute gilt, werden viele sagen, „da soll er in den ersten zwei Jahren mal nix machen“. Das ist zu rational gedacht. Das wird der Situation, der Gemütslage nicht gerecht. Spitzenpolitiker fallen zum Karriereende in ein Loch, und die ersten beiden Jahre „sind ja gerade die schwierigsten“ (Schröder).

    Sie sehnen sich nach Bedeutung, nach einer erfüllenden Beschäftigung. Der Gang durch den Bundestag bietet keine Ablenkung, er erinnert sie daran, wo einmal ihr Platz war – erste Reihe – und was sie jetzt sind: Hinterbänkler. Manche zeigen Haltung, andere nicht. Im Klub der Ehemaligen tendiert Gabriel zur Wutbürger-Fraktion.

    Gabriel beschwerte sich über respektlosen Umgang

    Das Drama begann mit dem Beschluss der SPD, keine Minister an den Sondierungsgesprächen zu beteiligen, ein Wink mit dem Zaunpfahl, den er nicht sehen wollte. Als irgendwann klar war, dass er nicht zur Regierung gehören sollte, beklagte sich Gabriel – zweiter Akt – über den respektlosen Umgang und sagte Dinge über seinen Nachfolger, die nicht nett waren. Es wurde ein Abgang, der zur Abrechnung geriet.

    Im Abendrot seiner Karriere, dritter Akt, wartet er exakt die zwölf Monate ab, die das Gesetz als Karenzzeit vor einem Wechsel in die Wirtschaft vorschreibt. Das rigorose Minimum. Für die Punktlandung kann er keinen Applaus erwarten.