Berlin. Mit einer öffentlichen Fahndung sucht die Polizei nach den Krawallmachern vom G20-Gipfel 2017. Das sorgt für Kritik bei Datenschützern.
Auf den Tischen und Computerservern von Anti-Terror-Ermittlern in Spanien, Großbritannien, Ungarn und anderen Staaten liegen jetzt Fotos aus den Hamburger Juli-Tagen des vergangenen Jahres:
Während Merkel, Trump, Erdogan und andere Staatschefs in den Messehallen tagen, liefern sich Autonome, Aufgestachelte und Angereiste Straßenschlachten mit der Polizei. Manche setzen Autos in Brand, schmeißen Steine, plündern einzelne Geschäfte. Die Polizisten setzen Wasserwerfer und Spezialeinheiten ein.
Heftige Ausschreitungen beim G20-Gipfel
Tausende Fotos und Videos dokumentieren die Ausschreitungen. 24 dieser Bilder schickte das Bundeskriminalamt (BKA) am 13. April an Sicherheitsbehörden in 15 europäischen Staaten. Sie zeigen mutmaßliche Randalierer, die die Ermittler bisher nicht identifizieren konnten.
G20-Krawalle: Zerstörungswut in Hamburg
An diesem April-Tag beginnt das, was Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) „Neuland“ nennt: eine europaweite Fahndung nach G20-Krawallmachern. Wenn es sein muss, auch öffentlich, so wollen es die Hamburger Ermittler. Auf Plakaten, in Zeitungen und Fernsehen, auf Online-Portalen. Von Ungarn bis Spanien.
Die Fahndungsliste übersandte das BKA „an die durch das Landeskriminalamt Hamburg ausgewählten europäischen Staaten“, heißt es in einer bisher nicht-öffentlichen Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) an die Linksfraktion, die dieser Redaktion vorliegt.
Die Fotos der 24 Tatverdächtigen landeten so bei Ermittlern der „Guardia Civil Counter Terrorism Unit“ in Spanien, zur „State Security Division“ in Griechenland, zum „SO15 Counter Terrorism Command“ in Großbritannien, zum „Terrorelhárítási Központ“ in Ungarn sowie weitere Sicherheitsbehörden in Frankreich, Polen, Tschechien, die Niederlande, Belgien, Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland, Italien und die Schweiz.
Es sind Kriminalbeamte, die sonst vor allem terrorverdächtige Islamisten jagen. Jetzt sollen sie bei Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruches, Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung gegen die 24 mutmaßlichen Randalierer von Hamburg helfen. Gegen Plünderer und Steineschmeißer.
Linke kritisiert die öffentliche Fahndung
Die großflächige öffentliche Fahndung war schon umstritten, als sie ab Ende 2017 nur in Deutschland lief. Erstmals seit der Suche nach den RAF-Terroristen landeten mehr als 100 mutmaßlich linksextremistisch motivierte Gewalttäter wieder mit ihren Gesichtern auf Zeitungsseiten und Online-Portalen.
Datenschützer und linke Politiker kritisierten den unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte und als Stimmungsmache gegen die G20-Demonstranten. Die Bilder seien in Zeiten des Internets kaum wieder vollständig aus der Welt zu schaffen, wenn sich ein Verdacht als falsch erweist. Teilweise waren auch Minderjährige von der Fahndung betroffen.
Können Ermittler einen mutmaßlichen Straftäter nicht identifizieren, ist die öffentliche Fahndung das letzte Mittel für Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Straftat muss „von erheblicher Bedeutung“ sein, wie etwa Terrorismus, schwere Sexualdelikte oder schwere Körperverletzungen. Ein Richter muss die Maßnahme prüfen. Und Ende 2017 bekamen die Hamburger Ermittler grünes Licht für die G20-Fahndung.
Polizei und Verfassungsschutz gehen davon aus, dass ein beträchtlicher Anteil der Autonomen aus dem Ausland für den G20-Gipfel angereist war. Die linksradikale Szene hatte vielen EU-Staaten mobilisiert, von Skandinavien über Spanien und Italien bis Griechenland.
Details zu den nun 24 europaweit gesuchten Personen geben die Behörden in Hamburg und im Bund auf Nachfrage dieser Redaktion nicht bekannt. Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken zeigt, dass die Hamburger Polizei die Fahndung im Ausland über Monate vorbereitet haben und mehrfach Hilfe beim BKA suchten.
Die Soko „Schwarzer Block“
Denn anders als die Landeskriminalämter verfügen die Ermittler im Bund über Kontakt zu ausländischen Dienststellen. Erleichternd kommt für die Hamburger Polizei hinzu: Etliche BKA-Leute sind abgesandt in den Norden und arbeiten seit Monaten in der Soko „Schwarzer Block“ mit.
Im Februar fragt das LKA Hamburg erstmals Hilfe beim BKA an. Die Staatsanwaltschaft der Hansestadt benötige Informationen darüber, wie eine öffentliche Fahndung nach G20-Tatverdächtigen in 15 europäischen Staaten umzusetzen sei. Die Kriminalbeamten beim BKA kontaktieren ihr Verbindungsbüro bei der europäischen Polizeibehörde Europol und prüfen Optionen für eine internationale Suche.
Am 6. April schickt die Hamburger Polizei die Bilder der Gesuchten an die Kollegen im Bund – Staatsschutzstellen und die Polizei im EU-Ausland sollen helfen, sie zu identifizieren. Ob es sich um Ausländer auf den Fahndungsfotos handelt und aus welchen Staaten die Tatverdächtigen kommen, sagen die Ermittler der Soko dem BKA nicht.
Nur der Hinweis: Die abgebildeten Personen wurden bereits „teilweise in einer Öffentlichkeitsfahndung“ in Deutschland gesucht. Manchmal, so berichtet ein Hamburger Beamter dieser Redaktion, könne ein Tatverdächtiger auf Fotos aufgrund von Kleidung oder Symbolen einer ausländischen extremistischen Gruppe zugeordnet werden.
Linke kritisiert Vorgehen
Oder Polizisten vor Ort registrieren, wie ein Randalierer aus einer Gruppe heraus agiert, in der die Demonstranten Italienisch oder Spanisch sprechen. Häufig würden die Autonomen in nationalen Blöcken auftreten. Es sind Hinweise, Belege für eine Nationalität eines mutmaßlichen Straftäters sind es nicht.
Am 13. April verschickt das BKA die Fahndungsunterlagen zu 24 Personen an die Sicherheitsbehörden im Ausland. Und auch jetzt, wo europaweit gefahndet wird, spricht die Linke von einem „Lächerlichkeits-Wettbewerb“, mit dem sich Landeskriminalamt und BKA überbieten würden.
Gehe es nach der deutschen Polizei, solle „halb Europa mit diesen Fotos zugekleistert“ werden, sagt Innenexpertin Ulla Jelpke dieser Redaktion. „Dabei geht es wohlgemerkt nicht um einen Terroranschlag, sondern um Tatvorwürfe im Rahmen einer Demonstration“, so Jelpke. Das BKA leiste „Beihilfe zur Verletzung des Rechts auf das eigene Bild“.
Trotz Kritik gehen die Hamburger Ermittler nun den Weg über die deutsche Grenze ins EU-Ausland. Es ist der voraussichtlich der letzte Schritt einer riesigen Fahndungsaktion, die schon begonnen hatte, als der Gipfel noch lief. Eine Fahndung, in die sich neben der juristischen immer auch die politische Aufarbeitung des Gipfelgeschehens mische.
Dutzende Tatverdächtige
So deuten es nicht nur viele Experten, so berichten es auch einzelne Ermittler in Hamburg. Wer ist politisch verantwortlich für die Eskalation? Und dafür, dass die Gewalttäter nicht unter Kontrolle der Polizei waren? Seit vergangenem Sommer streitet Hamburg hitzig über diese Fragen.
Mehrere Dutzend Tatverdächtige hatte die Polizei an dem Juli-Wochenende in Untersuchungshaft genommen. Die Beamten werten seitdem ihre eigenen Videos von Demonstrationen und Menschenansammlungen aus, nutzen auch Bilder von Kameras in Bussen und Bahnhöfen. 5000 bis 6000 Personen sollen sich laut Ermittler an Gewaltaktionen beteiligt haben, aber so richtig konnte kaum jemand die Gemengelage aus organisierten Extremisten, berauschten Jugendlichen und Schaulustigen überblicken.
Und doch: Mehr als 3000 Verfahren startet Sonderkommission „Schwarzer Block“ in den Monaten nach dem Gipfel. Ein knappes halbes Jahr nach dem Gipfel waren 63 Anklageschriften formuliert. Heute arbeiten noch 145 Beamte in der Einheit. 41 Randalierer wurden bisher verurteilt. Polizeigewerkschafter hatten sich „schockiert“ gezeigt über die „Gewaltexzesse“ durch Linksautonome und andere Personen während der Gipfel-Tage.
Auslieferung nach Deutschland unwahrscheinlich
Sowohl die Hamburger Polizei als auch die Staatsanwaltschaft und das BKA wollten auf Nachfrage die EU-weite Fahndung nicht kommentieren. Nach Informationen dieser Redaktion wollen die Hamburger Behörden am kommenden Mittwoch bei einer Pressekonferenz Ergebnisse zum Stand der G20-Ermittlungen präsentieren. Rückmeldungen aus dem Ausland an die Hamburger Polizisten gab es bisher nicht.
Und auch öffentlich gefahndet wird im Ausland bisher weder in Zeitungen noch auf Plakaten. Auch dort ermitteln die Sicherheitsbehörden zunächst intern und suchen die Tatverdächtigen in ihren Dateien. „Das BKA wird Rückmeldungen der europäischen Behörden an das LKA Hamburg weiterleiten“, schreibt die Bundesregierung.
Ohnehin sei nicht damit zu rechnen, dass Staaten wie Spanien oder Italien einen ihrer Staatsbürger aufgrund der Ermittlungen nach Deutschland ausliefern würden, sagt ein Kriminalbeamter dieser Redaktion. Würden Personen identifiziert, könne man sie allenfalls festnehmen, falls sie wieder nach Deutschland einreisen.