Berlin. Schottland führt einen Mindestpreis ein, um den Konsum von Alkohol deutlich zu senken. Könnte das auch ein Modell für Deutschland sein?

Dass die Schotten einen gewissen Nationalstolz pflegen, haben sie mehrfach bewiesen. Sie hätten vor vier Jahren beinahe für die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich gestimmt und wollen jetzt in der EU bleiben. Nun versucht die schottische Regierungschefin erneut, an das nationale Bewusstsein zu appellieren – in einem Bereich, den Politiker aus Angst vor dem Wähler gern meiden: Es geht um Alkohol und darum, weniger zu trinken.

„Wieder einmal schaut die Welt auf Schottland“, sagt Sturgeon also am Dienstag, als sie in Edinburgh öffentlichkeitswirksam ein Krankenhaus besucht, in dem Patienten mit chronischen Leberkrankheiten behandelt werden. „Wir müssen unser Verhältnis zum Alkohol verändern, um Menschenleben zu retten“, fügt sie hinzu.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon versucht, mit deutlich höheren Preisen für Bier und Whisky die Zahl der Alkoholtoten zu senken.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon versucht, mit deutlich höheren Preisen für Bier und Whisky die Zahl der Alkoholtoten zu senken. © Getty Images News/Getty Images | Getty Images

Etwas Nationalstolz, etwas Pathos – so versucht Sturgeon, ihren Landsleuten eine unangenehme Botschaft zu verkaufen: In der Nacht zum 1. Mai sind Bier, Wein und natürlich schottischer Whisky auf einen Schlag teurer geworden.

Seit Dienstag gilt zwischen Glasgow und Edinburgh ein Mindestpreis für Alkohol. Regierungschefin Sturgeon sagt, es sei die erste solche Preisuntergrenze weltweit. Sie soll in den nächsten fünf Jahren rund 400 Todesfälle und etwa 8000 Klinikaufenthalte verhindern, die auf überhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Von Experten erhält Sturgeon Beifall, auch aus Deutschland. Aber wäre auch die deutsche Politik dazu bereit, Bier- und Weintrinker hierzulande zur Kasse zu bitten?

Bier ist auf einen Schlag rund 70 Prozent teurer

In Schottland hat die Politik sechs Jahre gebraucht, damit das Gesetz in Kraft treten konnte. Die Spirituosen-Indus­trie hatte es bis zuletzt zu verhindern versucht. Ein Gericht machte schließlich den Weg frei. Ab sofort dürfen zehn Milliliter reiner Alkohol nicht weniger als 50 Pence (umgerechnet 57 Cent) kosten.

Im Alltag bedeutet das zum Beispiel, dass eine Flasche des billigsten Whiskys, die viele Supermärkte unter eigener Marke verkaufen, nicht mehr knapp elf Pfund kostet, sondern 14 Pfund. Das ist eine Preissteigerung von rund 40 Prozent. Ähnlich ist es mit Wein (plus 50 Prozent), Bier (plus 70 Prozent) oder Wodka (plus 30 Prozent).

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    Auch der beliebte Cider wird teurer. Besonders Jugendliche kaufen den Apfelwein, um sich damit die Kante zu geben. Die Halbliterdosen sind mit fast zwei Pfund (2,16 Euro) nun rund doppelt so teuer. Die Zweiliterflasche kostet mit fünf Pfund rund 150 Prozent mehr.

    Es sind billige und relativ starke Alkoholika, die der Mindestpreis verteuert. Experten begrüßen das: „Ein Mindestpreis für Alkohol, wie ihn Schottland eingeführt hat, ist der erste, wichtige Schritt, um den Alkoholkonsum zu senken“, meint etwa Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) – ein Verein, der von Krankenversicherungen und der Bundesregierung unterstützt wird.

    Jeder Deutsche trinkt pro Jahr im Schnitt elf Liter reinen Alkohol

    Vor allem junge Menschen würden dann weniger Alkohol trinken, weil sie ihn sich weniger leisten können, sagt Gaßmann. Er ist überzeugt, dass der Verbrauch von Alkohol durch den Preis, die Verfügbarkeit und die Werbung beeinflusst wird. Es sei nachgewiesen, dass insgesamt umso mehr Alkohol getrunken werde, je niedriger sein Preis sei.

    Gaßmann fordert: „Wer den Alkoholkonsum reduzieren will, muss dafür sorgen, dass die in Deutschland unverhältnismäßig niedrigen Preise für alkoholische Getränke angehoben werden.“

    Rund elf Liter reinen Alkohol pro Jahr trinkt jeder Deutsche. Das ist ziemlich genau die Menge, die sich auch jeder Schotte hinter die Binde kippt. Im internationalen Vergleich der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen die Deutschen damit im oberen Mittelfeld.

    Höchste deutsche Alkoholsteuer ist Branntweinsteuer

    Spitzenreiter sind die Litauer mit rund 18 Litern. Belgier trinken 13 Liter pro Jahr, die Dänen zehn, die Italiener acht. Daten der Statistikbehörde Eurostat zeigen außerdem, dass Alkohol in Deutschland relativ billig ist, gemessen am Durchschnittseinkommen sogar „extrem billig“, wie Suchtexperte Gaßmann meint.

    Sein Fazit: „Alkohol muss teurer werden.“ Wer Bier, Wein, oder Schnaps kaufe, denke nicht über den Preis nach. „Ein höherer Preis würde die Hemmschwelle erhöhen“, meint er. Das gelte gerade für junge Menschen.

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      Das relativ niedrige Preisniveau von Wein, Bier und Spirituosen liegt auch an der Art, wie Alkohol in Deutschland besteuert wird. So wird auf Wein gar keine gesonderte Steuer fällig. Bier wird nur mit fünf Cent pro Halbliterflasche belegt. Spürbarer ist da schon die Sektsteuer von etwa einem Euro pro Flasche.

      Die höchste und mit rund zwei Milliarden Euro pro Jahr auch die ertragreichste deutsche Alkoholsteuer ist die Branntweinsteuer. Sie macht bei hochprozentigen Getränken wie Rum etwa die Hälfte des Flaschenpreises aus. Das alles aber wirkt kaum auf den Konsum; er geht seit Jahren nur leicht zurück. DHS-Geschäftsführer Gaßmann fordert deshalb eine einheitliche Steuer. Das Problem sei ja nicht die Art eines Getränks, sondern sein Alkoholgehalt.

      Die Alkopopsteuer zeigt, wie schnell höhere Preise wirken

      Wie schnell höhere Preise wirken, wurde vor 14 Jahren deutlich, als in Deutschland die Alkopopsteuer eingeführt wurde; sie besteuert den Alkohol, der in den vor allem bei Jugendlichen beliebten Süßgetränken enthalten ist, am höchsten. Es dauerte nur kurze Zeit, da ging der Absatz stark zurück. Es war das letzte Mal, dass in Deutschland über höhere Preise für Alkohol diskutiert wurde.

      Fachleute sind deshalb besorgt: „Die Zahlen zu Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch verharren weiterhin auf hohem Niveau“, sagt der Präventionsexperte des AOK-Bundesverbands, Kai Kolpatzik. Deshalb müsse man „stärker über höhere Preise von Alkohol nachdenken“. Das Alkopopgesetz habe gezeigt, wie wirksam man über gezielte Besteuerung eine positive Lebensstiländerung einleiten könne.

      Doch das Thema Alkohol ist heikel – nicht nur in Schottland, auch hierzulande. So mag Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gar nichts zum schottischen Mindestpreis sagen. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schweigt, der Spirituosenverband erst recht. Die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) kritisiert immerhin die niedrigen Preise: „Billigalkoholika zum Discountpreis haben nichts mehr mit Genuss zu tun“, sondern sollten gerade Jüngere mit wenig Einkommen zum „Saufen“ animieren, sagt sie.

      Schottischer Mindestpreis stößt auf wenig Gegenliebe

      Aber Mortler meint auch, dass „nicht nur die Politik gefragt“ sei, wenn man wolle, dass in Deutschland weniger Menschen alkoholabhängig werden. Das Problem sei doch, dass Alkohol viel zu selbstverständlich sei. Alle müssten „passende Lösungsansätze für Deutschland suchen“, so Mortler. Bedeutet: Vom schottischen Mindestpreis hält sie wenig.

      Billigalkohol habe nichts mit Genuss zu tun, kritisiert die Drogenbeauftragte des Bundes, Marlene Mortler.
      Billigalkohol habe nichts mit Genuss zu tun, kritisiert die Drogenbeauftragte des Bundes, Marlene Mortler. © dpa | Christophe Gateau

      Auch den Eifer der schottischen Regierungschefin Sturgeon mag sich in Deutschland keiner zum Vorbild nehmen. Sogar der Chef der Krankenkasse Barmer, Christoph Straub, der wie seine Kollegen ein Interesse an geringeren Behandlungskosten haben müsste, reagiert zurückhaltend: „Finanzielle Sanktionen sind kein Allheilmittel“, sagt er. Jugendliche und Erwachsene würden sich davon kaum stoppen lassen.

      Straub plädiert für mehr Aufklärung über die Risiken von Alkohol und schlägt vor: „Wer regulatorisch vorgehen will, sollte eher darüber nachdenken, das Mindestalter für Alkoholkonsum europaweit auf 18 Jahre anzuheben.“