Berlin. Man darf davon ausgehen, dass diese Operation als eine der erfolgreichsten in die Geschichte des Geheimdienstes eingehen wird. Seit vielen Monaten hatten Agenten des israelischen Mossad das Lagerhaus im Süden Teherans im Visier, im Januar brachen sie dort ein und schmuggelten noch in derselben Nacht eine halbe Tonne Akten nach Israel.
Premierminister Benjamin Netanjahu präsentierte die Beute am Montagabend in Tel Aviv: detaillierte Informationen über „Projekt Amad“, Irans geheimes Atomwaffenprogramm, über das die Verantwortlichen des Mullahstaats über Jahre gelogen haben sollen.
Nach der Präsentation zweifelt kaum ein westlicher Politiker oder Kritiker an der Echtheit des Materials. Der Iran war auf dem Weg zur Bombe und das technologische Wissen ist weiterhin da. Aber was schließt man daraus?
Netanjahus Auftritt sollte wohl Druck auf Trump erhöhen
Wenn man Premier Netanjahu folgt, zeigen die Enthüllungen, dass das Atomabkommen auf Lügen basiert. US-Präsident Donald Trump fühlte sich sogleich in seiner Kritik am Iran-Deal bestärkt. Doch man kann das auch fundamental anders sehen: Das Abkommen wurde eben gerade deshalb geschlossen, weil man von dem iranischen Programm gewusst hatte. Dass die Iraner an einer Bombe bauten, war bekannt. Die neuen Dokumente sind unerheblich.
Netanjahus großer Auftritt sollte wohl einzig und allein den Druck auf den US-Präsidenten erhöhen. Eine Show für eine Person, könnte man denken.

Donald Trump wird in wenigen Tagen entscheiden, ob die Aufhebung der US-Sanktionen erneut verlängert wird. Er muss mit seiner Unterschrift alle 90 Tage zertifizieren, dass sich die Iraner an den Deal halten. Tut er das nicht, steigt sein Land aus dem Abkommen aus. Damit könnte es endgültig tot sein.
Druck auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien wird größer
Allerdings ist es nicht so, dass alle Israelis das Abkommen in Bausch und Bogen ablehnen. Es gibt Befürworter in wichtigen Positionen, darunter Generalstabschef Gadi Eisenkot. Der hatte erst Ende März erklärt, dass die Vereinbarung im Moment funktioniert, trotz aller Fehler. Das Militär ist für das Abkommen, der Regierungschef dagegen? Ist das wirklich ein Widerspruch?
Nicht unbedingt. Möglicherweise diente die Show in Tel Aviv dazu, nicht den Druck auf Trump, sondern vielmehr auf die anderen Unterzeichner zu erhöhen. Für Dr. Jonathan Rynhold, Experte am Begin-Sadat-Center, einem Think Tank bei Tel Aviv, schufen die Enthüllungen eine Atmosphäre, in der es einfacher sein könnte, Veränderungen des Deals umzusetzen.
Netanjahus Scoop erhöht zunächst den Druck auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien, den Forderungen Jerusalems und Washingtons nachzukommen und Ergänzungen bei wesentlichen Punkten zu verlangen. Die Macht der Inspekteure soll vergrößert, das Raketenprogramm des Irans gestoppt und die generelle Laufzeit des Abkommens verlängert werden.
Netanjahu spielt ein gefährliches Spiel
Israels Premier hat nicht bewiesen, dass die Iraner den Deal brechen. Aber er hat der Welt gezeigt, was sie vorhatten und vorhaben. Dass sie gelogen haben und weiter lügen.
So erhöht er die Wahrscheinlichkeit für neue, erweiterte Verhandlungen. Aber der Auftritt des Premiers könnte auch dazu führen, dass die USA unter Trump abrupt aussteigen und das Abkommen zerstören. Dann könnte Teheran sein Atomprogramm wieder hochfahren und erneut ein atomares Wettrüsten in der Region beginnen. Ein Krieg mit dem Staat, der dabei ist, seine Präsenz in Israels Nachbarland Syrien zu vergrößern, könnte wahrscheinlicher werden.
Nicht zuletzt wegen Trumps berüchtigter Unberechenbarkeit ist daher klar: Netanjahu spielt ein extrem gefährliches Spiel.
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