Berlin. Beim Parteitag zeigte sich wieder die Zerrissenheit der SPD. Bis Ende 2019 will sie sich erneuern und gegen die Union profilieren.

Den Tag eins nach den

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freigenommen. Auf ihrem Bauernhof in Weiler in der Vulkaneifel bereitete sie Tochter Ella das Frühstück, im Stall bekam Friesen-Wallach Siebke seine Ration. Dann brachte Nahles die Siebenjährige zur Schule. Das war für die Familie schon etwas Besonderes: Die viel beschäftigte Mama ist nun

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. Den Parteitag in Wiesbaden hatte sich Ella im Fernsehen angeschaut.

Dort lief es für Nahles, deren Mutter in der ersten Reihe saß, nicht so rund. Ein Drittel der Delegierten verweigerte der 47-Jährigen die Gefolgschaft, gab ihrer Herausforderin Simone Lange die Stimme. Der Riss, der sich wegen des Eintritts in die große Koalition durch die Partei zieht, ist unverkennbar.

Nahles bekam Lob von der unterlegenen Simone Lange

Die Einschätzung von Vizekanzler Scholz („Ich bin sehr dankbar, dass wir Wege gefunden haben, um zusammenzuwachsen“) wirkte da fehl am Platz. Anerkennende Worte für Nahles fand am Montag die unterlegene Flensburger Oberbürgermeisterin Lange: „Ich bin mir sicher, dass sie eine starke Parteivorsitzende sein wird.“

Bevor Nahles zu ihrem Bauernhof fuhr, stellte sie in Wiesbaden erste Weichen. In einer Vorstandssitzung wurde eine wichtige Personalie geregelt. Ihr langjähriger Vertrauter Thorben Albrecht, zuletzt Staatssekretär im Arbeitsministerium, ist mit sofortiger Wirkung Bundesgeschäftsführer. In der Parteizentrale wird er Nahles’ Statthalter sein.

Offen ist, ob der Aktionsradius des Generalsekretärs Lars Klingbeil, der von Martin Schulz geholt worden war, dadurch kleiner wird. Für Nahles und ihren Mitstreiter Scholz sind die Herausforderungen nach dem Parteitag eher größer als kleiner geworden. Eine Übersicht:

• SPD-Reform:

Bis Ende 2019 will die Partei ihr Verhältnis zu Wirtschaft, Zukunft der Arbeit, Staat und Globalisierung klären. Die SPD soll zu einer digitalen Mitmachpartei werden. Regelmäßig werden die knapp 460.000 Mitglieder künftig online über Inhalte und Ziele befragt.

Außerdem sollen in Ortsvereinen Mann-Frau-Doppelspitzen getestet werden. Bis zum Frühjahr 2019 soll eine SPD-App fertig sein, damit die Mitglieder per Smartphone auf dem Laufenden sind. Wichtiger als jede App: Nahles und Scholz müssen noch stärker auf die Parteibasis zugehen und versöhnen.

Andrea Nahles: Ihre Karriere in Bildern

Andrea Nahles war lange die starke Frau der SPD: Seit April 2018 war sie Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – als erste Frau. Seit September 2017 war sie bereits Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Von beiden Ämtern wird sie zurücktreten, wie sie am Sonntag ankündigte. Wir zeigen Bilder aus ihrem politischen und privaten Leben.
Andrea Nahles war lange die starke Frau der SPD: Seit April 2018 war sie Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – als erste Frau. Seit September 2017 war sie bereits Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Von beiden Ämtern wird sie zurücktreten, wie sie am Sonntag ankündigte. Wir zeigen Bilder aus ihrem politischen und privaten Leben. © dpa | Martin Gerten
Andrea Nahles wurde am 20. Juni 1970 in Mendig (Rheinland-Pfalz) geboren. Sie studierte Literatur- und Politikwissenschaften und ist seit 1988 Mitglied der SPD. Von 1993 bis 1995 war sie Landesvorsitzende der Jungsozialisten in Rheinland Pfalz. Von 1995 bis 1999 dann Bundesvorsitzende der Jusos.
Andrea Nahles wurde am 20. Juni 1970 in Mendig (Rheinland-Pfalz) geboren. Sie studierte Literatur- und Politikwissenschaften und ist seit 1988 Mitglied der SPD. Von 1993 bis 1995 war sie Landesvorsitzende der Jungsozialisten in Rheinland Pfalz. Von 1995 bis 1999 dann Bundesvorsitzende der Jusos. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Andreas Altwein
Andrea Nahles und der damalige SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine im November 1996.
Andrea Nahles und der damalige SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine im November 1996. © REUTERS /
Nahles war erstmals von 1998 bis 2002 und ist erneut seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1997 bis 2013 war sie Mitglied im SPD-Parteivorstand.
Nahles war erstmals von 1998 bis 2002 und ist erneut seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1997 bis 2013 war sie Mitglied im SPD-Parteivorstand. © REUTERS /
Im Mai 2007 wurde Nahles gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier (M.) und Peer Steinbrück vom SPD-Parteivorstand für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden nominiert. Am 26. Oktober 2007 wurde sie von 74,8 Prozent der Parteitagsdelegierten in dieses Amt gewählt. Dafür gab es rote Rosen. Das Amt hatte sie von 2007 bis 2009 inne.
Im Mai 2007 wurde Nahles gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier (M.) und Peer Steinbrück vom SPD-Parteivorstand für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden nominiert. Am 26. Oktober 2007 wurde sie von 74,8 Prozent der Parteitagsdelegierten in dieses Amt gewählt. Dafür gab es rote Rosen. Das Amt hatte sie von 2007 bis 2009 inne. © Getty Images | Sean Gallup
Die praktizierende Katholikin ist Mutter einer Tochter.
Die praktizierende Katholikin ist Mutter einer Tochter. © Meike Boeschemeyer
Von ihrem Ehemann – dem Kunsthistoriker Marcus Frings – lebt sie seit Anfang 2016 getrennt.
Von ihrem Ehemann – dem Kunsthistoriker Marcus Frings – lebt sie seit Anfang 2016 getrennt. © Getty Images | Sean Gallup
Am 17. Dezember 2013 wurde Nahles von dem ehemaligen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert zur Bundesministerin für Arbeit und Soziales vereidigt.
Am 17. Dezember 2013 wurde Nahles von dem ehemaligen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert zur Bundesministerin für Arbeit und Soziales vereidigt. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
Im Bundestagswahlkampf 2017 machte Nahles sich für den damaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz stark.
Im Bundestagswahlkampf 2017 machte Nahles sich für den damaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz stark. © Getty Images | Carsten Koall
Seit dem 27. September 2017, drei Tage nach der Bundestagswahl, ist Andrea Nahles Vorsitzende der SPD-Bundesfraktion.
Seit dem 27. September 2017, drei Tage nach der Bundestagswahl, ist Andrea Nahles Vorsitzende der SPD-Bundesfraktion. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen am 7. Februar gab Schulz seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt – und machte den Weg für Andrea Nahles als seine Nachfolgerin frei.
Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen am 7. Februar gab Schulz seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt – und machte den Weg für Andrea Nahles als seine Nachfolgerin frei. © dpa | Kay Nietfeld
Es war kein starkes Ergebnis – nur gut 66 Prozent stimmten beim Parteitag am 22. April 2018 für Andrea Nahles als Parteivorsitzende.
Es war kein starkes Ergebnis – nur gut 66 Prozent stimmten beim Parteitag am 22. April 2018 für Andrea Nahles als Parteivorsitzende. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Damit war Andrea Nahles die erste Frau an der Spitze der SPD. Am Sonntag kündigte sie ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende für den 3. Juni 2019 und als SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende am 4. Juni 2019 an. Außerdem wurde bekannt, dass Nahles in naher Zukunft auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich komplett aus der Politik zurückziehen will.
Damit war Andrea Nahles die erste Frau an der Spitze der SPD. Am Sonntag kündigte sie ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende für den 3. Juni 2019 und als SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende am 4. Juni 2019 an. Außerdem wurde bekannt, dass Nahles in naher Zukunft auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich komplett aus der Politik zurückziehen will. © Reto Klar | Reto Klar
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• Koalition:

In der Regierung will sich die SPD mit Können, nicht mit Krawall profilieren. Am 7. und 8. Mai treffen sich die Koalitionsfraktionen von CDU, CSU und SPD auf der Zugspitze. Im Wahlkreis des CSU-Spitzenpolitikers Alexander Dobrindt soll es konkrete Beschlüsse bei Wohnen, Klimaschutz und Digitalisierung geben.

Gleichzeitig will die SPD Differenzen mit der Union offener als bisher austragen: „Unterscheidbarkeit zwischen den Koalitionsparteien gefährdet nicht den Koalitionsfrieden, sondern sichert den demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft“, heißt es im Erneuerungsprogramm.

Wenig überzeugend wirkten SPD-Rufe nach einem Machtwort von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), nachdem Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Islam- und Sicherheitsdebatte befeuert hatten.

• Europa:

Mit dem Koalitionsvertrag wurde den Wählern und den Parteimitgliedern versprochen, dass die SPD bei der EU-Reform an der Seite von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht. Dessen Vorschlägen steht Finanzminister Scholz teils kritisch bis ablehnend gegenüber.

Vor ein paar Tagen wurde Scholz in Washington von Finanzexperten gefragt, ob er die Unterschiede zwischen seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble und ihm erklären könne. Scholz’ Antwort: „No.“

So ermahnte Ex-SPD-Chef und „Mister Europa“ Martin Schulz den Finanzminister beim Parteitag daran, dass die SPD für das Friedensprojekt Europa kämpfen müsse. Scholz versuchte in Wiesbaden, Zweifel an seinem Europa-Kurs zu zerstreuen: Die EU dürfe nicht den Populisten überlassen werden. Er will bald Vorschläge zur Weiterentwicklung des Euro-Rettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds und zur Vollendung der Bankenunion vorlegen.

• Innere Sicherheit:

Seit Otto Schily als SPD-Innenminister nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit seinen „Otto-Katalogen“ die Sicherheitspolitik dominierte, tut sich die Partei auf diesem Feld schwer. Nahles forderte in Wiesbaden ihre Partei auf, „offensiv und selbstbewusst“ aufzutreten.

Mit Blick auf die Flüchtlingskrise, wo viele Genossen in den Kommunen zwischen Hilfsbereitschaft und Ängsten hin und hergerissen sind, sagte sie: „Wir müssen ohne jedes Ressentiment und frei von Angst, in irgendeine Ecke gestellt zu werden, die Probleme ansprechen, die in unserem Land existent sind.“

Beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus haben Union und SPD vereinbart, von August an höchstens 1000 Familienangehörigen pro Monat den Nachzug zu erlauben.

Nicht hinnehmen will die SPD, dass der Nachzug abgelehnt werden kann, wenn Angehörige in Deutschland Sozialleistungen wie Hartz IV beziehen. Es sei nicht akzeptabel, dass „weitere Hürden aufgebaut werden, die damit die Familienzusammenführung weiter erschweren, wenn nicht gar in vielen Fällen unmöglich machen“, beschloss der Parteitag.

• Wahlen:

Der SPD stehen 2018 und 2019 fünf schwierige Landtagswahlen bevor. In Bayern erreichen sie in den Umfragen derzeit nur 13 Prozent, in Hessen will die SPD Schwarz-Grün ablösen. In Brandenburg liegt die AfD gleichauf, in Sachsen drohen die Sozialdemokraten einstellig zu werden. In Thüringen könnte Rot-Rot-Grün an der Regierung bleiben.

• Rot-Rot-Grün:

Solange das Ehepaar Sahra Wagenknecht/Oskar Lafontaine in der Linkspartei prägend ist, dürfte eine Annäherung zur SPD Wunschdenken sein. Wagenknecht griff auch jetzt Nahles direkt an, diese stehe für ein Weiter-so der SPD. Mit Scholz und Nahles, die gegen eine Abschaffung von Hartz IV sind, dürfte ein Linksruck ohnehin nicht machbar sein.

• K-Frage:

Derzeit wirkt ein SPD-Anspruch auf das Kanzleramt utopisch. Sollte CDU-Chefin Merkel einen Machtwechsel einleiten, gäbe es eine neue Lage. Nahles und Scholz trauen sich beide den Job zu. Ihre Popularität ist bekanntlich überschaubar.

Nahles sagte gerade der „Süddeutschen Zeitung“, der Wunschkandidat aus SPD-Sicht bei der Union wäre Jens Spahn. „Denn er mobilisiert unsere Leute. Aber so weit wird es nicht kommen.“ Als Kanzlerkandidaten in der SPD kämen auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil und Justizministerin Katarina Barley infrage.