Berlin/München. Telefone abhören, Briefe öffnen – und das ohne konkreten Verdacht. In Bayern sorgt ein umstrittenes neues Polizeigesetz für Aufregung.

Wenn der bayerische Landtag im Sommer tatsächlich die Pläne der CSU umsetzt, dann kommt in Bayern das, was Experten als das härteste Polizeigesetz seit 1945 bezeichnen. Polizisten dürfen dann in Ausnahmefällen unter anderem Handgranaten tragen, ohne konkreten Verdacht Telefonate abhören oder auch V-Männer in Chats einschleusen.

Gegenüber dem Portal Netzpolitik.org bezeichnet das bayerische Innenministerium das geplante Gesetz, dessen Entwurf im Internet nachzulesen ist, als „Stärkung der Bürgerrechte“. Damit kann die bayerische Polizei in die Grundrechte der Bürger eingreifen – und das, obwohl nicht mal eine konkrete Gefahr besteht.

Tiefer Einschnitt in die Grundrechte

Dahinter steckt eine massive Ausweitung der Polizeibefugnisse, die Innenminister Joachim Herrmann für notwendig erachtet im Kampf gegen Terroristen, wie es in einer Mitteilung heißt. Doch bei vielen wächst die Sorge, dass das Gesetz nicht nur gegen Bombenbauer eingesetzt werden könnte, sondern auch bei normaler Alltagskriminalität.

Denn mit dem neuen Gesetz werden der bayerischen Polizei Rechte zugestanden, die bislang nur dem Verfassungsschutz oder Nachrichtendiensten vorenthalten waren. Sie bedeuten einen Einschnitt in die Grundrechte. Ohne, dass es überhaupt Anzeichen für eine Straftat gibt, darf die Polizei künftig ermitteln. Sie darf dann beispielsweise einfacher Telefone abhören oder Briefe öffnen.

Sie darf zudem mit den gesammelten Handydaten Bewegungsprofile erstellen, V-Männer einsetzen und Bodycams tragen und die technisch längst nicht ausgereifte Gesichtserkennung mittels Videoüberwachung einsetzen.

Wie viel Freiheit darf für Sicherheit geopfert werden?

Möglich macht das die Einschätzung einer „drohenden Gefahr“. Diese Kategorie reicht der Polizei künftig aus, um präventiv tätig zu werden – selbst wenn noch gar nicht sicher ist, ob es in naher Zukunft überhaupt zu einer Straftat kommen wird.

In Ausnahmefällen, wie etwa bei einem Terroranschlag, soll die Polizei sogar dazu ermächtigt werden, Handgranaten oder andere Explosivstoffe einzusetzen. Auch sollen sie – trotz Zweifel an der Technik – mithilfe von DNA-Spuren, Rückschlüsse auf die Augen-, Haar- und Hautfarbe und Alter ziehen und damit Phantombilder erstellen.

Das Gesetz ist Teil des Programms „Sicherheit durch Stärke“, wie die CSU ihr 2016 beschlossenes Konzept bezeichnet. Doch wie viel Freiheit darf für Sicherheit geopfert werden?

Gesetz soll vor Wahl beschlossen werden

„Der Überwachungswahn der CSU-Regierung gefährdet zunehmend die verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger“, erklärt die Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Katharina Schulz. „Neben Sicherheit ist auch die Freiheit ein hohes Verfassungsgut; sie darf nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden.“

Doch nicht nur aus Richtung der Opposition wird Kritik laut. So beurteilte Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München, den Begriff „drohende Gefahr“ in einer Stellungnahme als „nicht mehr akzeptable Herabsetzung der polizeilichen Eingriffsschwelle“. Will heißen: Einem Einschreiten der Polizei seien kaum noch Grenzen gesetzt.

Das ist das Bundeskabinett

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor. © dpa | Gregor Fischer
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt.
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt. © Getty Images | Michele Tantussi
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege.
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege. © dpa | Wolfgang Kumm
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird.
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW.
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW. © imago/photothek | Florian Gaertner/photothek.net
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. © dpa | Kay Nietfeld
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand.
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand. © dpa | Andreas Arnold
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister.
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister. © imago/photothek | Inga Kjer/photothek.net
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird.
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. © dpa | Kay Nietfeld
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne.
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär.
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne.
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne. © dpa | Michael Kappeler
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten.
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten. © Getty Images | Michele Tantussi
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin.
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin. © dpa | Karlheinz Schindler
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne.
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne. © dpa | Rolf Vennenbernd
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt.
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt. © Getty Images | Carsten Koall
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt. © dpa | Karlheinz Schindler
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel.
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel. © imago/Reiner Zensen | Reiner Zensen
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin.
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik. © dpa | Kay Nietfeld
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD).
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD). © dpa | Bernd von Jutrczenka
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In der Ausgabe am Freitagabend thematisierte auch die ZDF-Satire-Sendung „heute show“ das geplante Gesetz. Der Facebook-Eintrag zur Sendung wurde innerhalb weniger Stunden mehr als 67.000-mal aufgerufen und mehr als 1300-mal gelikt (Stand: Samstag, 15.20 Uhr).

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Dass das Gesetz kommen wird, gilt wegen der CSU-Mehrheit im Landtag als wahrscheinlich. Und die CSU drückt auf das Tempo: Noch vor der Landtagswahl im Oktober will sie es beschließen.

Bundesländer müssen Polizeigesetze ändern

Es könnte auch ein Vorbild für andere Bundesländer sein, die wegen einer EU-Datenschutzrichtlinie und eines Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2016 ihre Polizeigesetze ändern müssen. Die Politik will zudem die Sicherheitsgesetze vereinheitlichen – auch wenn das letzte Wort beim jeweiligen Bundesland liegt.

Dass das umstrittene Gesetz Schule machen könnte, könnte indes durch einen weiteren Faktor begünstigt werden: Denn mit

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steht ein Mann an der Spitze des Bundesinnenministeriums, der bis eben noch bayerischer Ministerpräsident war.