Berlin. Diplomaten werden ausgewiesen, wiederholt wird ein Boykott der Fußball-WM gefordert: So reagiert die Welt auf den Fall Sergej Skripal.

Russland wird wegen des Anschlags auf Sergej Skripal diplomatisch immer weiter isoliert. Mittlerweile haben mehr als 20 Staaten weltweit russische Diplomaten ausgewiesen, immer wieder wird auch ein Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer ins Spiel gebracht. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist der Anlass für die diplomatische Krise?

Der russische

waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury entdeckt worden. Sie wurden vergiftet. Dabei wurde nach britischen Angaben ein von der Sowjetarmee im Kalten Krieg entwickeltes Nervengift eingesetzt – der Kampfstoff Nowitschok.

Die britische Premierministerin Theresa May erklärte, mehr als 130 Menschen könnten dem Gift nach dem Anschlag in Salisbury ausgesetzt worden sein. Skripal und seine Tochter befinden sich in einem kritischen, aber stabilen Zustand. May verurteilte den Vorfall scharf und richtete sich wiederholt mit harter Rhetorik an Russland. Die russische Seite wiederum streitet jede Verstrickung in den Fall ab.

Großbritannien und Russland ordneten die Ausweisung von 23 Diplomaten des jeweils anderen Landes an. Daraufhin solidarisierten sich mehrere Staaten mit den Briten.

Wer beteiligt sich an den Sanktionen gegen Russland?

Zusammen mit Großbritannien haben 18 weitere der 28 EU-Staaten insgesamt 58 russische Diplomaten ausgewiesen. 83 russische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter müssen sieben weitere Länder verlassen: die USA, Kanada, Australien, Albanien, Mazedonien, Norwegen und die Ukraine. Insgesamt sind 141 russische Diplomaten betroffen. Allein die USA wollen 60 Diplomaten ausweisen. Auch Belgien weist russische Vertreter aus. Wie Premierminister Charles Michel am Dienstagabend mitteilte, wird die betroffene Person 14 Tage Zeit haben, um das Land zu verlassen.

Die Nato hat als Reaktion auf den Russland zugeschriebenen Giftanschlag in Großbritannien sieben Mitarbeitern der russischen Vertretung bei der Allianz die Akkreditierung entzogen. Die Personalstärke werde außerdem auf 20 von bislang 30 Mitarbeitern begrenzt, teilte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag in Brüssel mit.

Die Australier haben sich am Dienstag zudem dazu entschlossen, Diplomaten auszuweisen. Ministerpräsident Malcolm Turnbull erklärte sich damit solidarisch „mit dem Vereinigten Königreich und anderen Verbündeten und Partnern“. Außenministerin Julie Bishop sagte in der Hauptstadt Canberra, man behalte sich noch weitere Maßnahmen vor: „Der Boykott der Weltmeisterschaft ist eine solche weitere Option, die in diesem Zusammenhang ergriffen werden könnte.“

Island hatte einen WM-Boykott bereits beschlossen, zumindest auf diplomatischer Ebene. „Zu den von Island ergriffenen Maßnahmen zählt der vorläufige Aufschub des gesamten bilateralen Dialogs auf hoher Ebene mit russischen Behörden. Als Konsequenz werden isländische Spitzenvertreter diesen Sommer nicht der Fifa-WM in Russland beiwohnen“, teilte das Außenministerium mit.

Das Auswärtige Amt in Berlin hatte am Montag die Ausweisung von vier russischen Diplomaten angekündigt. Sie müssen binnen sieben Tagen Deutschland verlassen.

"Fall Skripal": EU stellt sich hinter Großbritannien

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    Ist eine Verstrickung Russlands in den Anschlag überhaupt bewiesen?

    Nein. Die Sprachregelung der meisten Staaten wie auch der EU ist, dass man Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ für verantwortlich halte. Frühere Vorfälle mit Agenten und der verwendete Kampfstoff legten das nahe.

    Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen kritisierte das Vorgehen der EU wegen der Beweislage. „Generell sollten Sanktionen faktenbasiert sein und nicht auf Vermutungen aufbauen“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. „Die Argumentation im Fall Skripal erinnert mich ein bisschen an eine Urteilsverkündung nach dem Motto ‘Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen’“, kritisierte der SPD-Politiker.

    Für Jürgen Trittin (Grüne) ist es „leichtfertig, ohne belastbare Beweise und nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern“.
    Für Jürgen Trittin (Grüne) ist es „leichtfertig, ohne belastbare Beweise und nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern“. © Reto Klar | Reto Klar

    Verheugen war von 1999 bis 2010 EU-Kommissar, zunächst für die Erweiterung der Europäischen Union, später für Industrie. Er mahnte: „Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss.“

    Auch der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin kritisierte die Ausweisung russischer Diplomaten aus Deutschland und anderen EU-Staaten. Es sei „leichtfertig, ohne belastbare Beweise und nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern“, sagte Trittin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

    „Im Ergebnis wird der Westen durch die Ausweisungen nichts gewinnen: Russland weist wahrscheinlich seinerseits europäische Diplomaten aus und weitere Gesprächskanäle nach Moskau werden verschüttet“, sagte der Bundestagsabgeordnete, der amtierender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe ist.

    Wie reagiert Putin?

    Der Präsident selbst hat sich noch nicht zu Gegenmaßnahmen geäußert.

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    Die endgültige Entscheidung werde

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    treffen, hieß es.

    Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sagte am Montagabend im russischen Fernsehen, es werde Maßnahmen gegen jedes einzelne Land geben, das russische Diplomaten ausweisen will. Sacharowa verurteilte das Vorgehen als rein politische Forderung und russophobe Kampagne. Großbritannien habe den anderen Ländern keine einzige faktenbezogene Information vorgelegt, die eine Schuld Moskaus beweisen würde. Sie warf der EU und den USA zudem eine „durch nichts begründete Aggression“ vor.

    Der russische Präsident Wladimir Putin
    Der russische Präsident Wladimir Putin © REUTERS | SPUTNIK

    Die EU hatte Dmitri Peskow am Montag laut der Nachrichtenagentur Ria einen „unberechenbaren und aggressiven Gegenüber“ genannt. Russland werde aber nicht nachlassen, seine Position bei den europäischen Ländern vorzubringen.

    Experten gehen davon aus, dass Russland mindestens ebenso viele Diplomaten ausweisen wird wie die Staaten, die sich hinter die Briten gestellt haben. „Die russische Seite ist gut vorbereitet, die Antwort wird sehr schnell kommen“, sagte der Politologe Wladislaw Below der Deutschen Presse-Agentur in Moskau. Gleichzeitig könne Moskau auch andere Strategien wählen, meinte der Deutschland-Experte von der Russischen Akademie der Wissenschaften.

    Gibt es einen Ausweg aus der Krise?

    Zurzeit ist er zumindest nicht in Sicht. Es wird abzuwarten sein, wie Russland reagiert – und ob es dann überhaupt noch eine Grundlage für eine mögliche Annäherung gibt.

    Nach der Einschätzung des Politologen Wladislaw Below habe der Kreml bislang „besonnen, fast zurückhaltend“ reagiert. Moskau hatte seiner Einschätzung zufolge eher versucht, den Dialog mit Großbritannien aufrechtzuerhalten. London habe sich dem verschlossen und mit seiner konfrontativen Rhetorik den Konflikt vorangetrieben.

    Sollte sich Russland nun ebenfalls zurückziehen, dürfte der Weg aus der Krise ein langer werden. (ba/dpa/rtr)