Berlin/Brüssel. Carles Puigdemont sitzt in Schleswig-Holstein im Gefängnis. Spanien dringt auf seine Auslieferung – doch geht das überhaupt so einfach?

Plötzlich ist der Katalonien-Konflikt mitten in Deutschland angekommen. Nach der Festnahme des früheren Regionalpräsidenten Carles

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am Sonntag in Norddeutschland richten sich alle Scheinwerfer auf die deutsche Justiz: Muss Puigdemont, der im schleswig-holsteinischen Neumünster in Haft sitzt, nach Spanien ausgeliefert werden? Wer entscheidet – und bis wann? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Wie ging Puigdemont der deutschen Polizei ins Netz?

Das Auto Puigdemonts wurde am Sonntagvormittag von einem Streifenwagen der Autobahnpolizei auf der A7 gestoppt. Die Polizisten hätten sich vor den Wagen des Ex-Regionalpräsidenten gesetzt und die Leuchtschrift „Bitte folgen“ auf dem Dach eingeschaltet, so ein Sprecher.

An der Autobahnabfahrt Jagel, 40 Kilometer südlich der dänischen Grenze, seien die Fahrzeuge auf einen Pendlerparkplatz gefahren. Dort hätten die Beamten den Katalanen verhaftet und auf eine Polizeiwache gebracht. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums war das Bundeskriminalamt eingeschaltet.

Es ist die Behörde, die Kontakt zur spanischen Polizei hat. Von dort kam offenbar der Hinweis, dass der Ex-Regionalpräsident nach einem Auftritt an der Universität Helsinki am Sonntag nach Deutschland einreisen würde.

War Deutschland gezwungen, den Separatistenführer festzunehmen?

Ja. Grundlage ist der Europäische Haftbefehl, den es seit 2004 gibt. Ziel war es damals, die oft mühseligen Auslieferungsverfahren zwischen den EU-Ländern zu vereinfachen. Durch den Wegfall von Grenzkontrollen im Zuge des Schengener Abkommens konnten Verdächtige leichter ins Ausland ausweichen. Deshalb hatte die Justiz ein Interesse daran, sie dort trotzdem einfach festsetzen zu können.

Wie lautet die Anklage der spanischen Justiz?

Puigdemont werden unter anderem Rebellion sowie die Unterschlagung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Er wird verdächtigt, in Katalonien einen mutmaßlich illegalen Abspaltungsprozess in Gang gesetzt zu haben. In Artikel 2 der Verfassung ist die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsame und unteilbare Heimat aller Spanier“ verankert.

Nach Artikel 472 des Strafgesetzbuches gilt als Anstifter einer Rebellion, wer einen „gewaltsamen und öffentlichen“ Aufstand anzettelt, „um die Unabhängigkeit eines Teils des nationalen Territoriums“ durchzusetzen.

Zu den Gesetzesverstößen zähle auch das Unabhängigkeitsreferendum, das trotz Verbots am 1. Oktober abgehalten worden sei. Dafür habe Puigdemont öffentliche Mittel zweckentfremdet.

Muss Puigdemont jetzt nach Spanien ausgeliefert werden?

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. Für die Ablehnung einer Auslieferung gelten höhere Hürden. Und: Politische Erwägungen dürfen keine Rolle spielen – es entscheidet allein die Justiz.

Wichtig ist aber, dass es mindestens einen Punkt in der Anklage aus Spanien gibt, der auch nach deutschem Recht einen Straftatbestand darstellt. Beim spanischen Anklage-Vorwurf der Rebellion ist dies schwierig.

Am ehesten käme die Unterschlagung von öffentlichen Geldern infrage. Puigdemont hat für das Unabhängigkeits-Referendum im Herbst Mittel aus dem Haushalt der Region Katalonien verwendet.

Bundestagsvizepräsidentin

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. Die deutsche Justiz würde Puigdemont „nur nach Madrid überstellen, wenn eine solche Auslieferung deutschem und europäischem Recht entspräche“, sagte sie unserer Redaktion. „Persönlich habe ich da so meine Zweifel, vertraue aber voll und ganz auf die Ermittlungsrichter in Neumünster.“

Die Festnahme zeige, dass eine politische Lösung zwischen Spanien und Katalonien überfällig sei, sagte Roth.

Wer entscheidet über die Auslieferung?

Zunächst erläutert das Amtsgericht Neumünster Puigdemont die Gründe, warum er festgehalten wird. Im zweiten Schritt erhält die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig die Akten und prüft, ob die Voraussetzungen für eine Auslieferung vorliegen.

Stellt die Generalsstaatsanwaltschaft einen Antrag, muss das Oberlandesgericht prüfen, ob Puigdemont in Auslieferungshaft genommen wird. Das Gericht zieht dazu die Unterlagen aus Spanien heran, aus denen sich der Grund für die Auslieferung ergeben muss. Es prüft, ob eine Übergabe von Puigdemont an die spanischen Behörden zulässig ist.

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    Sollte es keine rechtlichen Hindernisse geben, entscheidet abschließend die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig. Es gibt eine Frist von 60 Tagen, die ein Festgenommener in Auslieferungshaft bleiben darf.

    Dies ist aber nur eine sogenannte Sollfrist. Viele Auslieferungsverfahren dauern länger. Im Fall Puigdemont wird nicht damit gerechnet, dass die Frist ausgeschöpft wird. Eine Entscheidung wird aber nicht mehr für diese Woche erwartet.

    Puigdemont hatte sich über Monate in Brüssel aufgehalten. Warum wurde er von dort aus nicht ausgeliefert?

    Dass Puigdemont sich für seine Flucht Ende Oktober 2017 Belgien als Ziel suchte, hatte vor allem einen Grund: Die belgische Justiz hat in der Vergangenheit Auslieferungsersuchen Spaniens sehr zögerlich behandelt – das belgische Recht erschwert die Überstellung bei politisch motivierten Straftaten.

    Puigdemonts Anwalt Paul Bekaert hatte einst Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA vertreten und erreicht, dass die belgische Justiz ihre Auslieferung ablehnte. Puigdemont bereitete sich auf einen längeren Aufenthalt in Belgien vor.

    Was ist dran an dem Vorwurf, Spanien entwickele sich mehr und mehr zum autoritären Staat?

    Der Vorwurf wird von den Anwälten Puigdemonts erhoben und kann unter der Rubrik Propaganda verbucht werden: Es soll ein Grund gefunden werden, damit Puigdemont einen Prozess in Spanien vermeiden kann. „Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat“, betonte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert.

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      In der EU ist dies unbestritten. Allerdings stellt sich die Frage, ob Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy in dem Konflikt klug agiert. Eine politische Lösung mit mehr Autonomierechten würde die Lage entspannen.

      Was steht politisch auf dem Spiel – für Spanien, Deutschland und die EU?

      Die spanische Zentralregierung hat ein Interesse daran, dass der Konflikt mit Katalonien nicht zum Auftakt von Streitigkeiten mit anderen Regionen ausartet. Die Bundesregierung steht hinter der Zentralregierung in Madrid, will aber nicht zwischen die Fronten geraten. Nur sehr kurz hat Puigdemont versucht, in der EU-Hauptstadt Brüssel die europäische Politik auf seine Seite zu ziehen.

      Die Signale der EU-Institutionen waren eindeutig: Keine Unterstützung für die katalonische Sezessionsbewegung. Dabei spielt auch die Furcht vor einem Dominoeffekt eine Rolle. Denn auch andere EU-Staaten kämpfen mit regionalen Unabhängigkeitsbewegungen. Italien hat zum Beispiel mit Sezessionsbegehren in Sardinien und der Lombardei zu tun, in Frankreich drängen die Korsen, in Belgien flämische Nationalisten.