Berlin. Wer sich wegen der Digitalisierung an die Regierung wenden will, wird nur mit Mühe einen Ansprechpartner finden. Es gibt zu viele.

Hätten Sie gerne mehr Tablets an Schulen? Dann wenden Sie sich bitte an die Bildungsministerin. Waren Sie am Wochenende auf dem Land und sind von einem Funkloch ins nächste gestolpert? Okay, darum kümmert sich der Verkehrsminister.

Ach so, Sie leben auf dem Land, und dort wollen Sie jetzt eine Firma betreiben, schaffen das aber nicht, weil Sie nicht mal E-Mails versenden können? Das wäre dann ein Fall für den Wirtschaftsminister. Bei Ärger mit verschlafenen Bürgerämtern oder engstirnigen Datenschutzregeln können Sie sich aber auch gerne an die neue Staatsministerin für Digitales wenden.

Und falls Sie nun meinen, dass zu viele Köche den Brei verderben – lachen Sie jetzt nicht: Es gibt in der künftigen Bundesregierung auch noch eine Art Küchenchef. Der Kanzleramtsminister soll das digitale Durcheinander im Kabinett koordinieren.

Viele kümmern sich ein bisschen ums Digitale

So viel Digitales war noch nie – aber auch noch nie so viel Reibungsverlust und Wirrwarr bei den Befugnissen. Das alles klingt nach Absurdistan. Es ist aber Deutschland im Jahr 2018. Jenes Land, in dem Politiker seit Jahren eine digitale Offensive fordern, am besten gebündelt in einem Digitalministerium, mit einem großen Etat und einem Amtschef, der diese Offensive zu seiner persönlichen Sache macht. Stattdessen bekommt das Land jetzt fünf Minister von CDU und CSU, die sich alle ein bisschen ums Digitale kümmern. Zwei davon sitzen sogar Tür an Tür im Kanzleramt.

Sicher, machtpolitisch gesehen gibt es plausible Gründe für diese Verteilung: Im Ringen der Parteien um die Aufteilung der Ministerien spielen Zuständigkeiten eine wichtige Rolle. Denn an jeder Zuständigkeit hängen Haushaltsmittel und damit politische Macht. Die gibt keiner freiwillig her. Doch im Ergebnis ist es ein Fehler. Gerade weil das Digitale ein Querschnittsthema ist.

Digitalisierung reicht von Cyberkrieg bis zur Gesundheitskarte

Es reicht von der Glasfasertechnik bis zu Hassreden auf Facebook, von der digitalen Gesundheitskarte bis zur Angst vor Pflegerobotern, von der GPS-gestützten Landwirtschaft bis zum Cyberkrieg. Nahezu jedes Ministerium könnte im Handumdrehen begründen, warum es Budgets fürs Digitale braucht. Es spricht deswegen auch nichts dagegen, das Digitale in vielen Bereichen mitzudenken. Doch es muss ein Haus geben, in dem die Fäden zusammenlaufen.

Denn man muss kein Pessimist sein, um zu ahnen, was bei derart zersplitterten Zuständigkeiten passiert, wenn nichts passiert oder zu wenig. Wenn die digitale Offensive nicht in die Gänge kommt, ist dann immer der andere schuld. Mit fünf Mitspielern kann man schon recht ausgiebig den Schwarzen Peter herumreichen.

Merkel hat eine Chance verpasst

„Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Fünf Jahre ist es her, dass die Kanzlerin sich mit diesem Satz blamierte – aber auch ausdrückte, wo Deutschland damals stand. Seitdem ist vieles passiert – doch noch immer hinkt das Land vielen EU-Nachbarn beim Ausbau des schnellen Internets und bei der Digitalisierung der Verwaltung hinterher. Das liegt auch daran, dass bislang niemand das Digitale wirklich zur Chefsache machen wollte.

Gut, es dauert, bis neue Ministerien aus der Taufe gehoben werden, weil neue Fragen neue Antworten brauchen. In den 70er-Jahren hätte keiner gedacht, dass es in Deutschland mal einen Umweltminister geben würde. In den 80er-Jahren gab es noch keinen Integrationsminister und auch keinen Bundesheimatminister. Für ein Digitalministerium aber ist die Zeit schon lange reif. Vier weitere Jahre, in denen fünf Spitzenpolitiker den Stillstand schönreden? Merkel hat die Chance verpasst, das Digitale zum Markenkern ihrer vierten Amtszeit zu machen.