Peking. Die 3000 Delegierten werden Xi Jinping die Regentschaft auf Lebenszeit sichern. Dabei sollte es das nach Mao Tsetung nie wieder geben.

Auf den ersten Blick scheint alles zu sein wie bisher. Zum Auftakt des Nationalen Volkskongresses, Chinas nur einmal im Jahr tagendem Parlament, begeben sich die 3000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes gemächlichen Schrittes zu ihren Plätzen. Die Parteiführung nimmt auf der Tribüne Platz. In der Mitte: Staats- und Parteichef Xi Jinping. Sie folgen damit einem Ritual, das sich in China seit mehr als 65 Jahren nicht verändert hat. Und doch: Hinter der ruhigen Fassade brodelt es.

Seitdem vor zehn Tagen das Zen­tralkomitee der KP bekannt gegeben hat, die Amtszeitbegrenzung des Staatspräsidenten von maximal zweimal fünf Jahren aufzuheben, scheint im Pekinger Politikbetrieb nichts mehr zu sein, wie es einmal war. Das Militärbudget für das kommende Jahr wird nicht wie in den Vorjahren üblich vor Beginn des Volkskongresses gesondert verkündet, sondern fast nebenher beim Rechenschaftsbericht des chinesischen Premiers zum Auftakt selbst. Dabei soll der Verteidigungsetat 2018 um 8,1 Prozent auf umgerechnet rund 142 Milliarden Euro steigen und damit so stark wie seit drei Jahren nicht. Für Insider sind das Zeichen für eine Umwälzung, wie es sie seit 40 Jahren in China nicht mehr gegeben hat.

Am Sonntag soll die Verfassung geändert werden

Die Ankündigung der unbegrenzten Amtszeitverlängerung schlug auch ein wie eine Bombe. Niemand zweifelt daran, dass der Volkskongress den Vorschlag der KP-Führung annehmen wird. Bis heute hat das nicht frei gewählte Parlament jede Vorlage gebilligt. Unter den Abgeordneten gibt es aber auch kritische Stimmen. Es herrsche ein „Klima der Angst“, berichtet einer. Bereits am kommenden Sonntag sollen sie über diese Verfassungsänderung abstimmen.

China erhöht Verteidigungsausgaben um 8,1 Prozent

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    Dabei sollte es eine solche Machtkonzentration auf eine Person eigentlich nicht mehr geben. Staatsgründer Mao Tsetung hatte unter seiner Alleinherrschaft das Land gleich mehrfach ins Chaos gestürzt. Millionen kamen bei seinen ideologisch aufgeladenen Kampagnen ums Leben. Um solche Auswüchse zu vermeiden, setzte Maos Nachfolger, der Reformer Deng Xiaoping, auf das Prinzip der „kollektiven Führung“. Das Machtmonopol der KP sollte erhalten bleiben. Aber nie wieder würde eine Person allein über das Schicksal von mehr als einer Milliarde Menschen entscheiden, lautete Dengs Credo. Die Begrenzung der Amtszeit auf zehn Jahre, verbunden mit einem klar geregelten Führungswechsel, war Kern von Chinas Verfassung von 1982.

    Solch eine Machtfülle hatte vor ihm nur Mao

    Seit Xi vor fünf Jahren das Amt des Staats- und Parteichefs übernommen hat, ist es ihm gelungen, eine Machtfülle anzuhäufen, über die vor ihm nur Mao verfügte. Xi ist bereits Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee, kontrolliert den gewaltigen Sicherheitsapparat und hat selbst in Wirtschaftsfragen das Sagen. Seine letzten beiden Vorgänger überließen diese Aufgabe noch ihren jeweiligen Premierministern. Auch sucht er nicht mehr den Ausgleich verschiedener Fraktionen und Interessengruppen, wie es vor ihm üblich war. Wichtige Positionen besetzt Xi nur noch mit seinen Gefolgsleuten.

    Was seine Machtfülle aber von der Maos unterscheidet: Xi herrscht über ein China, das so einflussreich ist wie seit Jahrhunderten nicht. Mit einem Devisenschatz von mehr als drei Billionen Dollar verfügt das Land über extrem viel Kapital. Es hat sich eine Hightech-Industrie aufgebaut, auf die der Staat jederzeit zugreifen und für seine Zwecke nutzen kann. Beim Internet etwa: Mit mehr als 770 Millionen Nutzern zählt die Volksrepublik die größte Netzgemeinde der Welt. Dennoch ist es der chinesischen Führung gelungen, das Netz systematisch unter ihre Kontrolle zu bringen. Kein Staat überwacht seine Bürger im Netz mehr als China.

    Partei redet auch in Privatunternehmen wieder mit

    Zugleich ist es Xi gelungen, den Einfluss der KP wieder massiv auszuweiten. Statt Pragmatismus und Wirtschaftsreformen werden nun wieder Linientreue, Staatswirtschaft und Personenkult in den Vordergrund gerückt. Hatten Parteikader während Chinas Öffnungspolitik in vielen Unternehmen kaum noch etwas zu sagen, erlebt das Land nun eine Re-Ideologisierung. Parteikader sind wieder überall präsent. In Privatunternehmen reden sie in Personalfragen mit und setzen auch mal Top-Manager unter Druck. Auch ausländische Unternehmer sind verpflichtet, Parteizellen in ihren Betrieben zuzulassen.

    Dass nun selbst die Chefs des mächtigen HNA-Konzerns, von Anbang oder Fosun mal eben so verschwinden, zeigt, wie weit der lange Arm der KP inzwischen reicht. Diese Firmen sind an internationalen Unternehmen wie der Deutschen Bank oder Daimler beteiligt. Auch das sei beängstigend und habe eine neue Qualität, sagt ein westlicher Unternehmer in Peking. Einige Beobachter interpretieren Xis Vorgehen als ein Handeln aus Angst. Xi habe sich mit der Korruptionsbekämpfung jede Menge Feinde gemacht – er könne sich keine Schwäche mehr leisten, vermutet der in Hongkong lebende Politologe Willy Lam und verweist darauf, dass Xi selbst den einst so mächtigen Zhou Yongkang zur Strecke gebracht hat, den früheren Sicherheitschef und drittmächtigsten Mann in China. Würde Xi in fünf Jahren abtreten, könnte ihn das den Kopf kosten. Er selbst hat es ja so vorgemacht.