Berlin. Jetzt wird ausgezählt: Deutschland und Europa warten auf das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums. Es soll am Sonntag verkündet werden.
Das SPD-Mitgliedervotum über den Eintritt in eine erneute große Koalition steuert auf die Entscheidung zu. Nach dem Ende der Stimmabgabe hat im Berliner Willy-Brandt-Haus die Auszählung der Stimmen begonnen.
„Das Ergebnis wird in jedem Fall ein Ergebnis sein, das dazu beiträgt, dass die SPD geschlossen weitergeht“, sagte der Hamburger Bürgermeister am Samstag in Berlin zum Auftakt einer Klausur des SPD-Vorstands. Sehr viele in der Partei SPD hätten sich beteiligt und mitdiskutiert. „Das führt zusammen, und das spürt man jetzt schon.“
Raum für Zukunftsdebatte
Die SPD muss sich nach Worten der designierten Parteichefin Andrea Nahles erneuern – unabhängig vom Mitgliedervotum über eine Neuauflage der großen Koalition. Nahles betonte, es sei wichtig, „dass wir Raum schaffen für Zukunftsdebatten in der SPD – und dass wir heute damit beginnen werden“. Die Partei müsse auf Herz und Nieren prüfen, ob ihre Antworten auch für die Zukunft noch ausreichten.
Nahles sagte, sie sei gespannt auf das Ergebnis des Mitgliedervotums. „Das soll uns nicht abhalten, die Zeit, bis wir es wissen, noch gut zu nutzen.“ Der Vorstand traf sich am Samstagmittag im Spreespeicher in Berlin zu einer Klausurtagung, um die nächsten Schritte für den geplanten Erneuerungsprozess der Partei zu beraten.
Barley zuversichtlich
„Ich bin zuversichtlich, dass eine Mehrheit unserer Mitglieder Ja zu diesem Koalitionsvertrag sagt“, sagte die bisherige Familienministerin Katarina Barley der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Das in ganz Europa mit Spannung erwartete Ergebnis soll am Sonntagmorgen in der SPD-Zentrale in Berlin verkündet werden.
Stimmberechtigt waren 463.723 SPD-Mitglieder. Von dem Ausgang hängt ab, ob sich Angela Merkel (CDU) am 14. März im Bundestag wieder zur Kanzlerin wählen lassen kann. Ein Nein würde über kurz oder lang wohl zu Neuwahlen führen.
Oppermann fordert offensivere SPD
Unklar ist, ob die designierte SPD-Parteichefin Andrea Nahles dann noch beim Parteitag am 22. April in Wiesbaden für den Vorsitz kandidieren wird. Sie hat vehement für die Annahme des Koalitionsvertrags geworben, Juso-Chef Kevin Kühnert warb landesweit für ein Nein – er will eine Rückkehr zu einem klaren Linkskurs.
Das ist das Bundeskabinett
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) forderte seine Partei auf, in einer möglichen neuen großen Koalition offensiver als bislang gegenüber der CDU/CSU aufzutreten. „Das größte Risiko wäre, wenn wir es genauso machten wie beim letzten Mal“, sagte Oppermann der „Welt“ (Samstag). Dann sei zu befürchten, dass nach vier Jahren ein ähnlich schlechtes Wahlergebnis wie 2017 herauskomme. „Die SPD hat in einer neuen großen Koalition nur eine Chance, wenn sie selbstbewusster, frecher und konfliktbereiter auftritt“, sagte Oppermann.
Kühnert soll in Erneuerungsprozess eingebunden werden
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erwartet nach eigenem Bekunden keine dauerhaften Verwerfungen in der SPD. „Die SPD wird aus dem Mitgliedervotum gestärkt und geschlossen herausgehen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Alle haben die Debatte über eine neue große Koalition mit Sachlichkeit und Fairness geführt - das ist nicht zuletzt auch das große Verdienst der Jusos und von Kevin Kühnert“, sagte Maas. Kühnert soll bei einer Zustimmung der Mitglieder stark in den parallel geplanten Erneuerungsprozess eingebunden werden.
Erneuerung von unten nach oben
Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, Johannes Kahrs, rechnet mit einem Ja bei dem Mitgliedervotum, wie er der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Samstag) sagte. Er forderte aber eine Erneuerung der SPD durch die Parteibasis. „Eine inhaltliche Erneuerung kann nur von unten nach oben erfolgen“, sagte Kahrs der „Heilbronner Stimme“ (Samstag).
Die Parteispitze solle sich in diesem Prozess weitgehend heraushalten. Der Bundestagsabgeordnete äußerte wenig Begeisterung für eine Neuauflage der großen Koalition. „Viele Sozialdemokraten – mich eingeschlossen – haben keine Lust mehr auf Frau Merkel und eine erneute GroKo. Die Lage ist aber wie sie ist!“, sagte Kahrs.
Neuwahlen kostspielig
Unionsfraktionschef Volker Kauder fürchtet, dass bei einem möglichen Nein der SPD-Basis zur Großen Koalition im Falle einer unionsgeführten Minderheitsregierung enorme Belastungen auf den Haushalt zukommen würden. „Das würde den Steuerzahler sehr viel kosten“, warnte der CDU-Politiker in der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstag) vor kostspieligen Dauerverhandlungen zwischen der Regierungsseite und Oppositionsfraktionen bei der Suche nach Mehrheiten im Parlament.
Dagegen hofft Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf ein Nein der SPD zur großen Koalition und wirbt bei enttäuschten Sozialdemokraten für eine linke Sammlungsbewegung. „Es geht darum, denen ein Angebot zu machen, die früher einmal SPD oder auch Grüne gewählt haben, vielleicht auch noch Mitglieder sind, aber mit dem Kurs ihrer Parteien überhaupt nicht mehr einverstanden sind“, sagte Wagenknecht der „Rheinischen Post“ (Samstag). (dpa)