Berlin. Seit dem Putschversuch in der Türkei ist das deutsch-türkische Verhältnis zerrüttet. Nun gab es einen ersten Versuch der Annäherung.

Nein, der große Durchbruch wird an diesem Donnerstag nicht verkündet. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor der blauen Wand im Presseraum des Kanzleramts. „Wir hoffen, dass es nach einem Jahr ein schnelles und rechtsstaatliches Verfahren für Deniz Yücel geben wird“, sagt sie.

Seit dem 14. Februar 2017 sitzt der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent in Istanbul in Untersuchungshaft – ohne Anklageschrift. Merkel spricht von einer „Trübung unserer Beziehungen“ und einer „Bürde“. Die Inhaftierung von Deniz Yücel ist zum traurigen Symbolthema im deutsch-türkischen Verhältnis geworden. Die Kanzlerin redet nüchtern, fast geschäftsmäßig. Zu ihrem Gast, dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, schaut sie nur selten. Es ist ein schwieriger Besuch.

Yildirim: Fall Yücel liegt in Händen der Gerichte

Auch Yildirim gibt sich beim Thema Deniz Yücel wortkarg. Der Fall liege in den Händen der Gerichte, die Türkei sei ein „Rechtsstaat“. Immerhin sagt er auf Nachfrage eines Journalisten: „Wir hoffen, dass in kurzer Zeit das Verfahren stattfindet. Jede Verhandlung ist eine Hoffnung.“ Eine Andeutung zumindest, dass Bewegung in die Sache kommt. Im Interview mit den ARD-„Tagesthemen“ am Mittwoch klang Yildirim noch optimistischer: „Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird.“

Die Tonlage hat sich in jedem Fall geändert. Im vergangenen Jahr hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan behauptet, solange er an der Macht sei, werde Yücel nicht freigelassen. Der Korrespondent sei ein „Terrorist“ und ein „Spion“. Eine Vorverurteilung, die mit den im Westen üblichen rechtsstaatlichen Verfahren nicht vereinbar ist. Nun unterstreicht Yildirim die Unabhängigkeit der Gerichte, stellt aber gleichzeitig eine Freilassung Yücels in Aussicht. Was nahelegt: Die Politik und damit Erdogan stehen über allem.

Die Kanzlerin definiert dann rote Linien. Eine Verknüpfung der Freilassung Yücels mit deutschen Rüstungsexporten in die Türkei werde es nicht geben. Diese würden ohnehin „sehr restriktiv“ gehandhabt. Bei der Frage der Visafreiheit für Türken – ein wichtiges Anliegen für Ankara – tritt Merkel ebenso auf die Bremse wie bei einer Erweiterung der Zollunion. Diese hänge von „Fortschritten beim rechtsstaatlichen Mechanismus“ ab, sagt sie mit Blick auf die Lage der Menschenrechte in der Türkei.

Merkel will Dampf aus Sache nehmen

Später versucht sie, ein bisschen Dampf aus der Sache zu nehmen. Sie redet von der „großen Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen, den langjährigen Wirtschaftsbeziehungen, den gemeinsamen Interessen – auch in komplizierten Zeiten“. Es ist einer der seltenen Momente, in denen der türkische Premier lächelt.

Er verweist auf die drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland, die eine „Brücke“ in den deutsch-türkischen Beziehungen seien. In Nordsyrien verteidige sein Land die „Südflanke der Nato“, sagt Yildirim. Und bittet um mehr Verständnis beim Kampf der Türkei gegen „Terroristen“ wie den „Islamischen Staat“ (IS), Mitglieder der Gülen-Bewegung, die PKK und deren syrischen Ableger YPG. Letzteres ist die kurdische Volksmiliz, mit der die Amerikaner in Syrien den IS bekämpfen.

Merkel und Yildirim: Das sind noch nicht die großen Entspannungssignale, die sich manche erhofft haben. Ansätze hatte es gegeben. Einen Tag vor seiner letzten Deutschlandreise forderte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem Gastbeitrag für diese Redaktion einen „Neustart“ des deutsch-türkischen Verhältnisses und ein Ende der „Megafon-Diplomatie“. Anfang Januar empfing Gabriel Cavusoglu in seiner Heimatstadt Goslar. Der Außenminister servierte im Wintergarten seines Privathauses Tee für den Gast, der Türke schwärmte von seinem „persönlichen Freund“ Sigmar.

Von der Verhaftung bis zu Freilassung – Deniz Yücels Weg in die Freiheit

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    Seit Putschversuch Verhältnis zerrüttet

    Eine wichtige Wegmarke angesichts der abschüssigen Bahn, auf der sich die deutsch-türkischen Beziehungen knapp zwei Jahre lang befunden hatten. Ende März 2016 hatte der Satiriker Jan Böhmermann Erdogan in seiner im Fernsehen ausgestrahlten „Schmähkritik“ durch den Kakao gezogen und verunglimpft. Die Lage eskalierte weiter, als der Bundestag im Juni 2016 die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als „Völkermord“ bezeichnete.

    Doch spätestens seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 war das deutsch-türkische Verhältnis zerrüttet. Die Massenverhaftungen von Beamten, Polizisten, Richtern und Journalisten riefen in Deutschland heftige Kritik hervor. Vor dem türkischen Verfassungsreferendum im April fand der Krieg der Worte zwischen Ankara und Berlin seinen Höhepunkt. Als gegen türkische Politiker ein Auftrittsverbot in Deutschland verhängt wurde, warf Erdogan der Kanzlerin „Nazi-Methoden“ vor. Nach der Verhaftung des Berliner Menschenrechtlers Peter Steudtner im Juli 2017 verschärfte das Auswärtige Amt die Reisehinweise für die Türkei.

    Dies war der Vorwand, um Bundestagsabgeordneten das Besuchsrecht in der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik zu verweigern, wo rund 260 Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Diese sollen künftig in Jordanien ihre Arbeit im Rahmen der internationalen Koalition gegen den IS verrichten.

    Am Ende der Pressekonferenz hält die Kanzlerin lakonisch fest: Man müsse „intensiv“ miteinander reden, ein Gesprächsklima schaffen. „Manches wird nicht sehr einfach sein. Den Versuch wert ist es allemal.“ Wenigstens den Versuch einer Annäherung.