Berlin. In einer evangelischen Gemeinde feiern Konvertiten den Gottesdienst. Den Islam hinter sich zu lassen, ist für sie oft lebensbedrohlich.

Als der Pfarrer die Kirche betritt, singen alle: „Lob sei dir gesungen, dass du mich vor allem Leid, so getreulich hast bewahrt“. Die Kirche ist gut besucht für einen Mittwoch. Etwa 150 Gläubige halten die Gesangbücher geöffnet, Lied 360. Die drei Christen Meraj, Meisam, Parsa singen leise mit, aber es fällt ihnen hörbar schwer. Das Lied ist zu Ende, sie setzen sich. Pfarrer Gottfried Martens sagt: „Lasset uns beten.“ Sie sprechen das Vaterunser auf Persisch.

Es ist 18.30 Uhr und mit lautem Glockenläuten wird im Bezirk Steglitz angekündigt, dass der Gottesdienst in der Dreieinigkeits-Kirche begonnen hat. Auf den Bänken kleben Zettel. Mit der Bitte, die Mobiltelefone auszuschalten – auf Deutsch und Farsi. Die meisten der Gemeindemitglieder sind Flüchtlinge aus dem Iran und Afghanistan, die erst kürzlich vom Islam zum Christentum konvertiert sind. In ihren Heimatländern steht darauf die Todesstrafe oder sie werden von ihren Familienmitgliedern getötet. Der Iran erlaubt zwar Christen im Land, aber Missionieren ist ihnen untersagt.

Im Iran durfte er nicht Christ werden

Meraj, ein 28 Jahre alter Mann aus Teheran, ist vor zehn Monaten nach Deutschland gekommen. Er wollte bereits im Iran Christ werden und durfte es nicht. Es war im Jahr 2009, als er eine Bibel und eine DVD bei einem Nachbarn fand. Der Film handelte vom Leben Jesu. „Meine Eltern sind sehr religiös und den Islam habe ich immer als Zwang erlebt“, sagt er. „Immer müssen wir
etwas tun, um Gott zu gefallen, bei Christen ist das anders.“ Er begann, die Bibel zu lesen. „Meine Freunde lachten mich aus, dachten, nun sei ich verrückt.“

Der Pfarrer nimmt an diesem Mittwoch das Schicksal der Flüchtlinge in seiner Lesung mit auf. Es geht um das Gleichnis vom Weinberg, darin bekommen die Arbeiter immer den gleichen Lohn, egal wann sie am Tag mit der Ernte der Reben begonnen haben. Dann holt Pfarrer Martens auf der Kanzel zur Deutung aus: „Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist das, was wir in unserem Lande beinahe Tag für Tag mit den Asylanträgen christlicher Flüchtlinge erleben.“ Immer weniger erhielten eine Bewilligung. Er wird auch polemisch: „Sollen sich Afghanen beim BAMF lieber als Taliban ausgeben, um ihre Bleibechancen zu steigern?“ Doch zu dieser Ungerechtigkeit sagt das Weinberg-Gleichnis: „Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten.“

Gemeindemitglieder werden von Muslimen bedroht

Ob Meraj irgendwann zu den „Ersten“ gehören wird, ist ungewiss, er ist kein anerkannter Flüchtling. Er sei geflohen, weil seine Eltern damit drohten, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Inzwischen habe er wieder Kontakt zur Mutter, aber sein Vater, ein konservativer Offizier, würde ihm wohl „ein Messer in den Kopf stechen“, glaubt er.

Solche Geschichten von Ablehnung und Verbannung hört Pfarrer Martens in seiner Gemeinde häufig. Für die meisten käme eine Rückkehr einem Todesurteil gleich. „Erst kürzlich ist einer unserer Konvertiten freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, weil seine Mutter krank wurde, obwohl er um die Gefahr wusste.“ Zunächst habe sich der Mann noch regelmäßig gemeldet, aber seit zwei Monaten habe der Pfarrer nichts von ihm gehört.

Doch nicht einmal in Berlin sind die Konvertiten sicher. Pfarrer Martens hat mehrfach erlebt, dass seine Gemeindemitglieder von Muslimen bedroht wurden. „Allein in meiner Gemeinde haben wir in einem Jahr über 200 gewalttätige Angriffe gezählt.“ Die Statistik des BKA,

hält er für wenig aussagekräftig. „Der Höhepunkt dieser Gewalterfahrung fand im Jahr 2016 statt“, sagt er – also in einem Zeitraum, der in der Statistik des Bundeskriminalamts nicht einberechnet ist. Meist betraf es Christen, die gemeinsam mit Muslimen untergebracht waren. „Da saßen die Leute hier weinend in ihren Zimmern und trauten sich wegen Morddrohungen nicht hinaus.“

Studie: Darum werden Flüchtlinge gewalttätig

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    In der U-Bahn verstecken sie lieber ihr Kreuz an der Kette

    Seitdem ist es besser geworden, aber auch, weil die Christen unter sich bleiben. Eine Gruppe von rund 20 Christen wohnt im Erdgeschoss der Kirche in kleinen Zimmern mit Doppelstockbetten. Sie lernen tagsüber Deutsch, machen Sport und studieren die Bibel. Wenn sie mit der U-Bahn durch Berlin fahren, verstecken sie ihr Kreuz an der Kette lieber. Einige wurden von anderen Iranern oder Afghanen angepöbelt. „Jemand hat das Kreuz an meiner Kette gesehen und mich erst ausgelacht“, sagt der Iraner Meisam. „Aber dann sagten sie, ich hätte meinen Glauben verkauft, um in Deutschland bleiben zu können.“

    Gottfried Martens aber weiß, dass die Konvertierung zum Christentum kaum Einfluss auf den Aufenthaltsstatus hat. „Eher im Gegenteil.“ Während vor zwei Jahren noch die meisten Konvertiten als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt wurden, seien es jetzt nur noch weniger als zehn Prozent. Laut dem Pfarrer gelten dann auch seine Versicherungen nichts mehr, dass die Menschen zum aktiven Teil seiner ungewöhnlichen Gemeinde in Steglitz gehören.

    Einer, der integriert ist, heißt Parsa, ein Freund von Meisam und Meraj. Der 24-Jährige lebt seit zwei Jahren hier, er spricht gutes Deutsch und kann das Lied übersetzen, das Martens bei der Kommunion singt: „Aramie-Delhayee“, sagt er, „bedeutet ,Ruhe in unserem Herzen‘.“ Parsa vergleicht den Islam mit dem Christentum. „Es gibt so viel Druck im Islam“, sagt er, „immer müssen wir Gott unsere Liebe beweisen.“ Er verweist auf Weihnachten: „Gott ist für uns Mensch geworden“, sagt er, „das ist doch Wahnsinn.“ Um Christ zu sein, hat er einen neuen Namen angenommen. Bis zur Taufe hieß er: Mohammed.