Mainz. Kaum jemand kann es sich leisten, frühzeitig in Ruhestand zu gehen. Laut einem ARD-Bericht ist das in der Politik aber gängige Praxis.

Engelbert Lütke Daldrup war lange Zeit enger Vertrauter von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). Im März 2017 wechselte der Staatssekretär dann auf den Chefsessel beim Pannenflughafen BER – und der Senat versetzte ihn als Staatssekretär in den einstweiligen Ruhestand. Seitdem kassiert Daldrup doppelt.

Laut „Report“ erhält Daldrup derzeit ein monatliches Ruhegeld von 1321,48 Euro. Dieses Geld bekomme er jeden Monat zusätzlich zu seinem BER-Gehalt von monatlich rund 33.000 Euro. Die Redaktion beruft sich dabei auf Berechnungen der Senatsverwaltung Berlin.

Bundesweit mehr als 200 Fälle

Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“ ist das kein Einzelfall: Das Magazin berichtet, in den vergangenen zehn Jahren seien bundesweit mehr als 200 Staatssekretäre in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurden – zahlreiche Fälle davon seien nach Einschätzung von Staatsrechtlern rechtswidrig.

Demnach ist eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nur dann rechtmäßig, wenn das Vertrauen zwischen dem Staatssekretär und seinem Dienstherren gestört ist. Erfolgt die Versetzung dagegen nach Absprache, auf Wunsch oder allein zum Vorteil des Staatssekretärs, dann sei sie rechtswidrig – und der Dienstherr mache sich der Untreue schuldig.

Vorzeitiger Ruhestand oft rechtswidrig

„Wenn jemand zu Unrecht in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist und dann zu einem sehr üppigen Gehalt auch noch öffentliche Mittel bekommt, das ist dann wirklich ein Skandal“, sagte Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim in der Sendung. Er sieht auch bei Lütke Daldrup die Voraussetzung für die Versetzung in den Ruhestand nicht gegeben.

Auch die hessische Staatssekretärin Bernadette Weyland (CDU) wurde im August 2017 auf eigenen Wunsch in den einstweiligen Ruhestand versetzt – weil sie sich als Kandidatin auf den Oberbürgermeisterwahlkampf in Frankfurt konzentrieren wollte. Gleichwohl erhält sie laut dem Bericht derzeit ein Ruhegeld von etwa 7400 Euro pro Monat auf Kosten der Steuerzahler. Dazu Experte von Arnim: „Eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, um sich auf einen Wahlkampf auf den Oberbürgermeister in Frankfurt zu bewerben, ist klar rechtswidrig.“

„Praxis nicht mehr zeitgemäß“

Die CDU-Politikerin Christine Lieberknecht wäre 2013 während ihrer Amtszeit als Ministerpräsidentin von Thüringen beinahe über einen ähnlichen Fall gestolpert, weil sie ihren Regierungssprecher in den einstweiligen Ruhestand versetzt hatte – mit 37 Jahren. Nachdem Kritik aufkam, machte sie ihre Entscheidung rückgängig.

Heute sieht Lieberknecht die Sache kritisch. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung hält sie den Beamtenstatus von Staatssekretären nicht mehr für „zeitgemäß“. Sie fordert im Interview mit „Report Mainz“ Zeitverträge für Staatssekretäre: „Sie haben Diskussionen über Rente mit 67 und wenn dann die Politik selber jemanden mit 37 in den einstweiligen Ruhestand schickt, bei lebenslanger Alimentierung, dann ist das den Leuten nicht zu erklären.“

Steuerzahlerbund: Systematischer Missbrauch

Auch der Bund der Steuerzahler fordert Reformen. Der Steuerzahler müsse vor unnötigen Ausgabe geschützt werden. Dessen Sprecher René Quante sagte der ARD: „Wir reden hier von einem systematischen Missbrauch. Das kann und darf nicht sein.“

Im Fall Lütke Daldrup verteidigen allerdings beide Seiten die Praxis. Die Senatskanzlei Berlin erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme „die Maßnahme war rechtmäßig“. Als Geschäftsführer des Flughafens müsse Lütke Daldrup andere Interessen vertreten als in der Regierung. Dieser „potenzielle Interessenkonflikt sei Grund für die Entscheidung des Senats.“

Lütke Daldrup verteidigt Doppelbezüge

Lütke Daldrup erklärt schriftlich „Aufgrund dieser bestehenden und drohenden Interessenkollisionen war und ist die Rechtmäßigkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zweifelfrei gegeben. Zugleich musste meine langfristige beamtenrechtliche Versorgung aus einer 30-jährigen Tätigkeit im öffentlichen Dienst gesichert werden.“

Der Staatssekretär hätte auch seine Entlassung beantragen können – doch dann wäre seine Beamtenpension weggefallen. (bekö)