Berlin. Sein Gnadengesuch ist abgelehnt – nun muss der frühere SS-Mann Oskar Gröning seine Haftstrafe antreten. Gröning ist 96. Kein Problem?

Drei Gerichte, zuletzt das Bundesverfassungsgericht, hatten entschieden dass sein hohes Alter für den 96 Jahre alten Oskar Gröning keinen Grund darstellt, ihn nicht ins Gefängnis zu schicken. Auch Grönings Gnadengesuch, seine letzte Chance, wurde nun zurückgewiesen. Und nun?

Gröning ist wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen rechtskräftig zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Als „Buchhalter von Auschwitz“ war der SS-Mann während der NS-Zeit im Vernichtungslager Auschwitz Teil der menschenverachtenden Nazi-Maschinerie, die Hunderttausende in dem KZ das Leben kostete. Gröning habe durch das Bewachen von Gepäck und das Verwalten der Gelder der Gefangenen die Morde gefördert, heißt es in dem Urteil des Landgerichts Lüneburg.

Experte: Haft ergibt keinen Sinn

Die Frage: Wie sinnvoll ist es, einen Greis von 96 Jahren in eine Gefängniszelle zu stecken?

Nicht sehr, findet der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel. „Weder ist ein Mann im Alter von 96 Jahren resozialisierungsbedürftig, noch darf man an einem Täter eine Form der schieren Vergeltung, also archaisch formuliert, der bloßen Rache, ausüben“, findet Merkel. Eine Haft ergebe somit keinen Sinn.

Auschwitz-Buchhalter Gröning muss Gefängnisstrafe antreten

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    Das sagt die Strafprozessordnung

    Das Gesetz sieht das anders. In Paragraf 455 der Strafprozessordnung ist festgelegt, wie die „Vollzugsuntauglichkeit“ eines Verurteilten festgestellt wird. Als Gründe für einen „Strafausstand“ werden dort genannt:

    • wenn beim Verurteilten eine „Geisteskrankheit“ diagnostiziert wird;

    • wenn aufgrund einer Krankheit von der Vollstreckung der Haftstrafe „eine nahe Lebensgefahr“ für den Betroffenen droht;

    • wenn sich der Verurteilte in einem körperlichen Zustand befinde, „bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist“.

    Zustimmung bei Twitter

    In den sozialen Medien hat die Ablehnung des Gnadengesuchs eine neue Debatte ausgelöst. Dort sind die Stimmen für einen Haftantritt Grönings in der Überzahl:

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    Andere Regeln in Italien

    In anderen Ländern wird es anders gehandhabt als in Deutschland. Etwa in Italien: Dort wird eine Haftstrafe nicht vollzogen, wenn der Verurteilte älter als 70 Jahre ist – vorausgesetzt er gilt weder als Gewohnheits- noch Berufsverbrecher. Der Mafia-Boss Totò Riina etwa, der für mehr als 100 Morde verantwortlich gemacht wird, starb im November nach langer schwerer Krankheit im Gefängnis – im Alter von 87 Jahren.

    Der Fall Erich Priebke

    Parallelen zum Fall Gröning finden sich ebenfalls in Italien. Dort wurde 1998 der damals 85 Jahre alte Deutsche Erich Priebke zu lebenslanger Haft verurteilt. Priebke war als SS-Führer an der Erschießung von 335 Zivilisten nahe der Ardeatinischen Höhlen bei Rom beteiligt gewesen. Priebke blieb bis zuletzt uneinsichtig.

    Aufgrund seines hohen Alters wurde seine Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt. Priebe starb hundertjährig in Rom.

    Anklage und Urteil wichtiger als Haft?

    Im Fall Gröning ist aber auch für Haft-Kritiker wie Strafrechtler Merkel entscheidend, dass es 70 Jahre nach Ende der Nazi-Zeit zu einem Prozess und einer Verurteilung kam. Mit einer Straftat werde eine Norm gebrochen, so Merkel. Das könne nicht ohne Folgen bleiben. „Das Rechtssystem braucht eine Art symbolischer Wiederherstellung des Geltungsanspruchs dieser Norm.“

    Und der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte nach dem ersten Urteil 2015 erklärt: „Oskar Gröning ist schuldig gesprochen worden. Die Versäumnisse der deutschen Justiz, die solche Verfahren jahrzehntelang verschleppt oder verhindert hat, lassen sich damit nicht mehr gutmachen. Dennoch hat die Verurteilung Grönings für die Opfer und ihre Angehörigen eine hohe Bedeutung.“ (mit epd)