Brüssel. Haushaltskommissar Günther Oettinger kämpft gegen ein Kassenloch. Nach dem Brexit fehlt Geld. Kommt jetzt eine Steuer auf Plastik?

Not macht erfinderisch, auch die EU-Kommission. Der Haushalt der EU steuert im nächsten Jahrzehnt auf eine jährliche Lücke von 20 Milliarden Euro zu, deshalb lässt der zuständige Kommissar

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Die Besteuerung der Produktion von Kunststoffen sei ein „sinnvolles Instrument“, findet der CDU-Politiker. Die Kunststoffmenge in der EU müsse aus Umweltschutzgründen reduziert werden – zugleich könnte die Steuer dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten künftig nicht so viel Geld aus ihren nationalen Budgets in den europäischen Haushalt einzahlen müssten.

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    Eine Plastiksteuer für die EU? So richtig scheint auch Oettinger an diese Idee nicht zu glauben. Ausdrücklich will er das Ganze als „Frage“ verstanden wissen. Bis Mai will die Kommission prüfen, ob sie offiziell eine solche Steuer als eigene Einnahmequelle vorschlagen soll. Selbst wenn sie es tun würde – mehrheitsfähig wäre das in den nächsten Jahren unter den Mitgliedstaaten der EU kaum.

    Brexit kostet die EU rund 13 Milliarden Euro

    Natürlich weiß das auch der Haushaltskommissar. Mit dem Hinweis auf mögliche neue Einnahmequellen will sich Oettinger die bevorstehenden Finanzgespräche mit den EU-Mitgliedstaaten erleichtern – auch mit Deutschland, dem als größter Nettozahler der EU zusätzliche Milliardenzahlungen an Brüssel drohen. In den kommenden Monaten hat Oettinger die heikle Aufgabe, einen neuen Finanzrahmen für die EU ab 2021 zu erarbeiten. Am Mittwoch beriet die Kommission erstmals darüber, im Mai will sie einen Vorschlag offiziell absegnen.

    Das Problem: Erstens wird der EU-Austritt Großbritanniens ein Loch von rund 13 Milliarden Euro jährlich in die Brüsseler Kassen reißen, immerhin fast ein Zehntel des gesamten EU-Haushalts. Nur Deutschland leistet mit einer jährlichen Nettozahlung von 15 Milliarden Euro einen noch größeren Beitrag als die Briten. Zweitens will die EU künftig neue, weitreichende Aufgaben erfüllen: von der Sicherung der Außengrenzen über den Aufbau einer Verteidigungsunion, den Anti-Terror-Kampf bis zur verstärkten Forschungsförderung.

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      Alle Staaten müssen dem Finanzplan zustimmen

      Zehn Milliarden Euro könnte das zusätzlich kosten, hat Oettinger veranschlagt. Nicht nur er, die gesamte Kommission fordert deshalb nun mehr Geld von den Mitgliedstaaten: Von den mehr als 20 Milliarden Euro, die in den künftigen Etats ab 2021 fehlen dürften, könnten nach der Kalkulation Oettingers etwa acht bis neun Milliarden eingespart werden; die restlichen zwölf Milliarden aber müssten durch „frisches Geld“ aus den 27 Hauptstädten gedeckt werden.

      „Alte und neue politische Herausforderungen“ seien nicht mit einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu bezahlen, betont Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. In dieser Höhe ist der Etat bisher gedeckelt, 150 Milliarden Euro macht das im nächsten Jahr. Oettinger will den Haushalt nun auf mindestens „1,1 Prozent plus x“ des Bruttoinlandsprodukts aufstocken.

      Die Nettozahler der EU, neben Deutschland etwa die Niederlande, Schweden oder Frankreich, müssen sich auf höhere Zahlungen einstellen. Wie viel auf Deutschland zukommt, ist noch nicht klar, eine zusätzliche Summe zwischen drei und fünf Milliarden Euro jährlich gilt aber als realistisch – weil wohl ein bisheriger Rabatt wegfällt, dürfte die Belastung für den deutschen Steuerzahler überproportional stark steigen.

      Viele Mitgliedsstaaten sind dem Vorschlag gegenüber skeptisch

      Bislang hält sich die Bundesregierung bedeckt, die richtige Strategie ist umstritten: Das Finanzministerium will nicht mit Angeboten vor der Zeit die Berliner Verhandlungsposition schwächen und zieht sich einstweilen auf die Haltung zurück, die Finanzlücke sei womöglich auch durch Kürzungen zu decken. Auf der anderen Seite wirbt Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) schon offensiv für einen höheren deutschen EU-Beitrag. Er rechnete vor, wenn Deutschland künftig 1,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts an die EU abführen würde, wären das zehn Milliarden Euro mehr als bisher – aus Ga­briels Sicht wohl noch zumutbar.

      Oettinger wäre auch mit weniger zufrieden. Er kennt die Skepsis vieler Mitgliedstaaten. Die neue österreichische Regierung etwa hat schon signalisiert, dass sie höhere Beitragszahlungen ablehnt. Osteuropäische EU-Staaten warnen dagegen davor, bei den Strukturfonds zu kürzen. Am Ende muss der Finanzplan aber einstimmig beschlossen werden.

      Der Haushaltskommissar drängt deshalb, den Streit rasch auszutragen. Er will den mittelfristigen Finanzrahmen bis 2027 möglichst noch in seiner Amtszeit unter Dach und Fach bringen – also bis zum Herbst 2019. Ob das gelingt, ist allerdings ungewiss.