Berlin. Mit dem NetzDG wollte Justizminister Maas die Hetze im Internet unter Kontrolle bringen. Doch es gibt Kritik. Das muss man wissen.

Sophie Passmann traf es gleich am ersten Tag. Die Satirikerin hatte am Montag auf Twitter einen Witz gerissen. „Solange es hier weiter Tradition ist, an Silvester ‚Dinner for One‘ zu gucken, können die Flüchtlinge gerne herkommen und unsere Kultur kaputt machen“, schrieb Passmann spitz.

Die Komikerin ist unter anderem für Entertainer Jan Böhmermann im Einsatz. Ihr Tweet per Kurznachrichtendienst ist mittlerweile aber nicht mehr zu sehen – Twitter hält ihn zurück, wie das Unternehmen mitteilt, unter Verweis auf geltende Gesetze.

Die Plattformbetreiber machen keine Angaben dazu, welches Gesetz genau gemeint ist. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) geht. Das Gesetz kam in der vergangenen Legislaturperiode aus dem Haus von Justizminister Heiko Maas (SPD) und soll Netzwerke wie Twitter und Facebook zwingen, schneller und konsequenter auf Hasskommentare zu reagieren. Es gilt seit dieser Woche. Hält Twitter Passmanns Satire für Hetze?

Tweet von Beatrix von Storch gelöscht

An Silvester war bereits ein Tweet von Beatrix von Storch, der stellvertretenden AfD-Fraktionschefin im Bundestag, gelöscht worden, in dem sie muslimische Männer als „gruppenvergewaltigenden Männerhorden“ beschrieben hatte. Ihr Konto wurde vorübergehend gesperrt.

Die Satire-Zeitschrift

Auch interessant

. Ob die Reaktion von Twitter auf von Storch und die Replik der „Titanic“ wirklich eine Konsequenz des Gesetzes ist, bleibt unklar – Sperrungen sind im NetzDG nicht vorgesehen.

Was Twitter jedoch von sich aus verbietet, ist „Hass schürendes Verhalten“. Nur: In der Vergangenheit hat die Firma Verstöße dagegen so gut wie nicht verfolgt. Wirkt hier schon der Vorstoß von Maas? Übt seine Reform Druck auf Netzwerkbetreiber aus? Oder läuft sie ins Leere? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu einem umstrittenen Gesetz.

Für wen gilt das NetzDG?

Das Gesetz betrifft alle sozialen Netzwerke, die in Deutschland mehr als zwei Millionen Nutzer haben. Darunter fallen unter anderem Facebook, Twitter, Youtube und Instagram. Journalistische Angebote sind im Gesetz ausdrücklich nicht gemeint.

Setzen die Anbieter das Gesetz nicht um, drohen empfindliche Strafen in Form von Bußgeldern: Bis zu fünf Millionen Euro sind möglich. Ursprünglich in Kraft getreten war das NetzDG am 1. Oktober 2017. Eine dreimonatige Übergangsfrist, in denen Netzwerkbetreiber dafür Mechanismen schaffen sollten, lief jetzt aus.

Was wird gelöscht?

Das Gesetz nennt 20 konkrete Straftatbestände, die Anlass zur Löschung eines Beitrags sind. Darunter sind unter anderem Propaganda für verfassungswidrige Organisationen, das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen wie Hakenkreuze, sowie Volksverhetzung – die Straftat, die im Fall von Storch im Raum steht.

Kinderpornografie und Beleidigung stehen ebenfalls auf der Sperrliste. „Offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ sollen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, andere Verstöße im Laufe von sieben Tagen.

Wie wird gelöscht?

Wer im Endeffekt die Entscheidung trifft, ob ein Beitrag rechtswidrig ist oder nicht, ist im NetzDG nicht festgelegt. Das Gesetz schreibt lediglich vor, dass die Anbieter ein „wirksames und transparentes Verfahren“ bereitstellen müssen.

Das Löschzentrum von Facebook in Berlin.
Das Löschzentrum von Facebook in Berlin. © picture alliance / Soeren Stache | dpa Picture-Alliance / Soeren Stache

Facebook, so viel weiß man, lässt in Essen und Berlin von externen Dienstleisterfirmen Inhalte löschen, die gegen Gesetze und die Regeln des Netzwerks verstoßen. Wie Twitter mit dem Thema umgeht, ist nicht bekannt. Seit das US-Unternehmen sein Berliner Büro geschlossen hat, dringt nur noch wenig nach außen.

„Titanic“-Chefredakteur Tim Wolff hat soziale Medien schon bisher als recht undurchsichtig erlebt, wenn es an das Löschen von Meldungen geht: „Sie agieren ja nach unternehmerischen Motiven, entziehen sich Gesetzen oder übererfüllen sie, wenn es nützlich ist – wie offensichtlich beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz.“

Erfüllt das Gesetz seinen Zweck?

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz entstand, wie der Name nahelegt, um geltendes Recht auch in der undurchsichtigen digitalen Welt durchzusetzen. Ob das gelungen ist, ist durchaus umstritten. Heiko Maas verteidigte das NetzDG in „Bild“: Die Nutzer müssten sich „wie jeder andere auch an unser Recht halten“, sagte der Justizminister. „Mordaufrufe, Bedrohungen und Beleidigungen, Volksverhetzung oder die Auschwitz-Lüge“ seien kein Ausdruck der Meinungsfreiheit, sondern Angriffe auf die Meinungsfreiheit anderer.

Grünen-Politikerin Renate Künast kritisiert, dass die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Beitrags letztlich bei privaten Unternehmen liegt – und nicht bei Richtern. „Eine Privatisierung des Rechts kann niemand wollen“, sagte Künast dieser Redaktion. „Wir sollten darum auch zentrale, bundesweit zuständige Gerichte diskutieren. Entsprechend spezialisierte Gerichte könnten für eine schnellere und einheitliche Rechtsprechung sorgen.“

Gleichzeitig plädierte Künast, die in der vergangenen Legislaturperiode die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag war, für eine Reform des Gesetzes. „Es geht jetzt darum, die erhaltenswerten Aspekte des Gesetzes wie den inländischen Zustellungsbevollmächtigten, die Transparenzvorschriften und strengere Vorgaben zur Vorhaltung eines Beschwerdemanagements zu konkretisieren“, sagte sie. Das Gesetz verpflichtet die Unternehmen, Bericht zu erstatten über die Zahl der Verstöße und wie sie damit umgehen. Alle sechs Monate sollen sie mitteilen, wie viele Meldungen gemacht wurden.

Was heißt das für die Meinungsfreiheit und die Medien?

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sah sich aufgrund der Sperrung des „Titanic“-Profils bestätigt. „Nun tritt ein, wovor wir gewarnt haben.“ Die Plattformbetreiber entschieden „im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit“, um mögliche Geldstrafen zu vermeiden. Schon bei der Verabschiedung des NetzDG hatte eine Allianz aus Verbänden, Experten und Vereinen Bedenken angemeldet, dass Beiträge von Bürgerrechtlern oder von großen Medien betroffen sein könnten.

Der Account des Satire-Magazins „Titanic“ war auch am Donnerstag noch gesperrt. „Sobald wir diese Tweets löschen“, sagt Tim Wolff von „Titanic“, „sollte der Account wieder freigeschaltet werden, aber wir weigern uns zu löschen, weil die Tweets leicht als Satire zu erkennen sind.“ Die Redakteure haben Twitter bereits kontaktiert, aber bisher keine Antwort erhalten.

Auch der Spruch von Sophie Passmann wird nach wie vor zurückgehalten. „Die Welt und ich können auf diesen einen Tweet von mir mühelos verzichten“, sagt sie, „aber bei Freiheiten geht es ja Gott sei Dank ums Prinzip.“

Auch interessant

, wird nun möglicherweise nicht Twitter, sondern ein Gericht entscheiden:

Auch interessant

.

Hier lesen Sie mehr zum Thema:

Auch interessant