Berlin. Probates Mittel gegen Hass-Kommentare – oder Zensur? Das NetzDG ist umstritten. Erste Ergebnisse scheinen den Kritikern Recht zu geben.

Kaum war das Gesetz zum Jahreswechsel voll in Kraft getreten – da ging der Ärger auch schon los: gesperrte Twitteraccounts, gelöschte Tweets, hundertfach eingereichte Klagen wegen Volksverhetzung. Zweimal standen Tweets von AfD-Politikern im Fokus: der verbale Rundumschlag von Partei-Vize Beatrix von Storch gegen „muslimische Männerhorden“ sowie der rassistische Kommentar des Bundestagsabgeordneten Jens Maier über Boris Beckers Sohn Noah.

Das Regelwerk mit dem sperrigen Namen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, das Hass, Hetze und Fake News in den sozialen Medien ausbremsen soll, sorgte für Schlagzeilen – und vor allem für reichlich Verwirrung.

Viele Kritiker des NetzDG hatten genau dies kommen sehen. Doch was genau steht in dem Gesetz und was nicht? Und wie realistisch ist es, dass das NetzDG die Hetzer und Hater bei Facebook, Twitter und Co. wirklich stoppen kann? Hier ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten zu einer aufgeregten Debatte.

• Die Idee hinter dem NetzDG

Als im vergangenen Jahr Fake News und wüste Beschimpfungen in den sozialen Medien immer öfter für Ärger sorgten, geriet die Politik unter Druck. Weil Internet-Konzerne wie Twitter und Facebook wenig Interesse zeigten, gegen die entsprechenden Accounts vorzugehen, wollte Justizminister Heiko Maas (SPD) sie per Gesetz dazu zwingen, strafrechtlich relevante Inhalt schnell wieder zu entfernen.

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    Eine juristisch schwierige Materie – doch das NetzDG sollte Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit der Regierung demonstrieren. Der Blogger und Internet-Experte Sascha Lobo dagegen nennt das Gesetz „juristisch schlampig, technisch uninformiert und wahlkämpferisch schnellgeschossen“. Und Lobo steht mit seinem Urteil nicht allein. Viele Kritiker fürchten, das NetzDG schränke mit willkürlichen Löschungen die Meinungsfreiheit ein.

    • Was das NetzDG vorsieht

    Das Gesetz gilt seit dem 1. Januar in vollem Umfang. Onlinenetzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern wie etwa Facebook, Twitter und YouTube müssen nunmehr dafür sorgen, dass Beschwerden über strafbare Inhalte unkomplizierter eingereicht werden können und schneller bearbeitet werden.

    Das Regelwerk verpflichtet die Plattformbetreiber, von Nutzern gemeldete Beiträge mit „offensichtlich rechtswidrigem“ Inhalt binnen 24 Stunden zu löschen. Für „rechtswidrige“ Inhalte gilt eine Frist von sieben Tagen. Komplexere Fälle können die Unternehmen einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle übergeben.

    Bei Verstößen gegen die neuen Regelungen kann das Bundesamt für Justiz Bußgeldverfahren gegen die Plattformbetreiber einleiten – im Extremfall drohen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro.

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      • Der „Fall“ Beatrix von Storch

      Das NetzDG sieht dagegen nicht vor, dass Accounts etwa bei Twitter oder Facebook gesperrt werden sollen. Genau dies geschah aber mit dem Account der AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

      Sie hatte auf einen Tweet der Kölner Polizei, die Neujahrsgrüße in arabischer Sprache verschickt hatte, ebenfalls bei Twitter geschrieben: „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf Arabisch. Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“

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      Darauf gingen Hunderte Anzeigen gegen die AfD-Politikerin wegen Volksverhetzung ein. Der Tweet stelle einen Verstoß gegen „unsere Regeln über Hass-Inhalte“ dar, ließ auch Twitter wissen – und deaktivierte das Konto der AfD-Vizechefin für zwölf Stunden. Danach war der Tweet verschwunden. Auf welcher Grundlage die Sperrung des Accounts erfolgte, ist unklar.

      Später teilte von Storch mit, dass auch Facebook ihre Nachricht mit dem dort noch einmal verbreiteten Ursprungsinhalt gesperrt habe. Sie zeigte einen Screenshot der Begründung: „Wir haben den Zugang zu dem Inhalt aus folgendem Grund gesperrt: Volksverhetzung (Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuchs).“

      • Wer entscheidet, was gelöscht wird?

      Facebook arbeitet mit zwei „Löschzentren“, in Essen und in Berlin. Hunderte Mitarbeiter sichten dort Posts und Kommentare und entscheiden, ob gelöscht wird oder nicht. Wie bei Twitter die entsprechenden Entscheidungen fallen, ist unklar. Der Konzern schloss im vergangenen Jahr sein Deutschland-Büro, die Kommunikation mit dem Unternehmen ist seitdem höchst schwierig.

      Ob eine Botschaft „rechtswidrig“ ist oder nicht, und ob womöglich der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist, das ist in vielen Fällen selbst unter Juristen umstritten – nun sollen die Netzwerbetreiber binnen 24 Stunden darüber entscheiden. „Da löscht man im Zweifel lieber mal ein bisschen mehr“, ätzt Netz-Experte Lobo.

      Kritiker sprechen von einer willkürlichen „Meinungspolizei“. Und genau diese Befürchtung scheint sich nur wenige Tage nach Inkrafttreten des NetzDG zu bewahrheiten.

      • Der Fall „Titanic“

      Denn die Zeitschrift „Titanic“ nahm den Fall Beatrix von Storch zum Anlass für eine ihrer Satire-Aktionen. In einem Tweet hieß es: „Weshalb verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch nicht 110, wen die Barbarenhorden mich vergewaltigen wollen! (bvs)“ Das Kürzel „bvs“ ist ein Hinweis auf die AfD-Frau von Storch als angebliche Autorin.

      Kurz nach Veröffentlichung ließ sich der Tweet in Deutschland nicht mehr aufrufen. Stattdessen stand dort die holprige Formulierung zu lesen: „Dieser Tweet von @titanic wurde aufgrund der Gesetze vor Ort zurückgezogen in Deutschland. Mehr erfahren“. Wohl gemerkt – bei dem Tweet der Zeitschrift geht es ganz offensichtlich um Satire, nicht um Hatespeech.

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      Später wurde der Twitteraccount des „endgültigen Satiremagazins“ („Derzeit twittert als Gast: Beatrix von Storch (Kürzel: bvs)“) ganz geblockt. „Die Sperrung dürfte eine Folge des neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sein“, vermutete die Redaktion in einer Mitteilung. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall kritisierte das Verhalten von Twitter als „vorauseilenden Gehorsam, um mögliche Geldstrafen nach dem NetzDG zu verhindern“.

      • Minister Maas sieht sich bestärkt

      Gelöschte Tweets, gesperrte Twitter-Accounts. Justizminister Maas scheint mit den ersten Tagen des neuen Gesetzes zufrieden. Der „Bild“ sagte er am Donnerstag unter anderem: „Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen. Wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet, muss von der Justiz konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.“

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      Und weiter: Facebook, Twitter und Co. sollten kein Interesse daran haben, dass ihre Plattformen für Straftaten missbraucht werden. Soziale Netzwerke müssen sich wie jeder andere auch an unser Recht halten. Wem am Schutz der Meinungsfreiheit gelegen ist, der darf nicht tatenlos zusehen, wie der offene Meinungsaustausch durch strafbare Hetze und Bedrohung unterbunden wird.“

      Für seinen Standpunkt erntet Maas bei Twitter und Facebook vor allem zweierlei: Beleidigungen und Hass-Kommentare.