Brüssel. Weniger als die Hälfte der Asylbewerber wird in erster Instanz anerkannt. Aber die Asylspolitik bleibt in Europa eine Großbaustelle.

Es ist eine deutliche Wende in der Flüchtlingspolitik Europas: Die Zahl der Asylbewerber in der EU ist innerhalb eines Jahres um rund die Hälfte gesunken. Das ergibt sich aus Zahlen der Europäischen Statistikbehörde (Eurostat) für das Jahr 2017, die dieser Zeitung vorliegen. Die aktuellen Daten beinhalten zwar noch nicht das vierte Quartal, aber der Trend ist eindeutig: Von Januar bis Ende September 2017 registrierten die 28 EU-Staaten insgesamt 479.650 Asylerstanträge – ein Rückgang um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (959.530). Im gesamten Jahr 2016 hatten in der EU noch 1,2 Millionen Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt, 2015 waren es rund 1,25 Millionen.

Deutschland bleibt weiter das wichtigste Zielland, fast ein Drittel der Flüchtlinge bat hier um Asyl: Von Januar bis September 2017 wurden 137.385 Erstanträge gezählt, 103.560 waren es in Italien, das an zweiter Stelle der Statistik rangiert. Beide Länder zusammen nehmen damit die Hälfte der neuen Asylbewerber in der EU auf. Griechenland meldete 41.735 Asylanträge, Polen dagegen nur 2515 und Ungarn 2445 Erstanträge.

Zusammenarbeit mit Türkei und Libyen zahlt sich aus

Bemerkenswert auch: Inzwischen wird europaweit weniger als die Hälfte der Asylanträge in erster Instanz anerkannt. Die Quote der positiven Entscheidungen hatte im zweiten Halbjahr 2016 noch bei 62 Prozent gelegen, im ersten Halbjahr 2017 sank sie auf 48 Prozent – im dritten Quartal dieses Jahres betrug sie nur noch 43 Prozent. In Deutschland wurden demnach zuletzt 48 Prozent der Asylanträge in erster Instanz anerkannt. Die rückläufigen Zahlen der Asylbewerber gehen vor allem auf den stärkeren Kampf der EU gegen Schleuser und auf die Zusammenarbeit mit Ländern wie der Türkei oder Libyen zurück.

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    Für die EU bedeuten die Zahlen auch politisch eine Entlastung. Die Einwanderung nach Europa macht den Bürgern mehrheitlich die größten Sorgen – noch vor Terrorismus, Arbeitslosigkeit oder Kriminalität. 39 Prozent der Befragten in den 28 Mitgliedstaaten sagen laut dem soeben veröffentlichten Eurobarometer, die EU müsse vor allem dieses Problem lösen – in Deutschland sind es sogar 47 Prozent, in vielen Staaten Osteuropas deutlich mehr als die Hälfte.

    Die EU-Kommission ist sich der Herausforderung bewusst: „Migration wird in den kommenden Jahren ganz oben auf der Agenda Europas und der Welt stehen“, erklärt der zuständige EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. Seine Bilanz der Flüchtlingspolitik 2017 ist indes positiv: Es seien an vielen Fronten erhebliche Fortschritte gemacht worden, sagte er unserer Redaktion.

    Legale Einreisewege sollen ausgebaut werden

    Insgesamt seien die irregulären Migrationsströme dank der gemeinsamen Anstrengungen um 63 Prozent zurückgegangen. Mit mehr als 32.000 Umsiedlungen von Asylbewerbern innerhalb der EU im Rahmen der Relocation und der Aufnahme von 25.000 Flüchtlingen aus Drittstaaten sei Solidarität innerhalb und außerhalb der EU gezeigt worden. In den nächsten zwei Jahren sei die Aufnahme von 50.000 weiteren Flüchtlingen geplant.

    e EU-Flüchtlingskommissar Dimitrios Avramopoulos.
    e EU-Flüchtlingskommissar Dimitrios Avramopoulos. © imago/Pacific Press Agency | Dimitrios Karvountzis

    „Aber es ist klar, dass unsere Arbeit noch nicht abgeschlossen ist – die Situation hat sich vielleicht etwas stabilisiert, aber unser Hauptziel ist es, dafür zu sorgen, dass es stabil bleibt“, sagte Avramopoulos. Man könne nicht sicher sein, was die Zukunft bereithalte. „Wir dürfen keine Region aus den Augen verlieren – wir müssen weiterhin Italien und Griechenland helfen, Libyen bei der Evakuierung von Flüchtlingen oder der Verbesserung der Bedingungen im Land unterstützen und die Rückführung jener verstärken, die kein Bleiberecht haben. Und wir müssen legale Einreisewege ausbauen.“

    Noch immer wird die Flucht über See für viele zur Todesfalle. Von Januar bis November starben im Mittelmeer 3033 Flüchtlinge. Als Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen gilt das Abkommen mit der Türkei, für das die EU bisher rund drei Milliarden Euro bereitgestellt hat, ebenso wie der EU-Treuhandfonds für Afrika, der bislang rund zwei Milliarden Euro umfasst. Mehr als 15.000 Migranten, darunter 10.000 aus Libyen, haben von der Möglichkeit einer von der EU unterstützten freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer Gebrauch gemacht. Als problematisch erweist sich indes die nur schleppende Rückführung abgelehnter Asylbewerber; Rücknahmeabkommen mit wichtigen Herkunftsländern wie Nigeria oder Tunesien stehen noch immer aus.