Berlin. Grünen-Chefin Simone Peter im Gespräch über die Neuaufstellung ihrer Partei, den Umgang mit Macht und das Ende der Jamaika-Gespräche.

Cem Özdemir tritt als Grünen-Chef ab, Simone Peter will auf dem Parteitag Ende Januar ihren Platz in der Doppelspitze verteidigen. Im Interview warnt sie die Grünen davor, linke Positionen aufzugeben.

Frau Peter, wie erleichtert sind Sie, dass Jamaika nicht zustande gekommen ist?

Simone Peter: Mit Erleichterung hat das wenig zu tun, denn die FDP hat die Sondierungen noch vor ihrem Abschluss verlassen. Daher kann ich gar nicht beurteilen, ob es uns Grünen möglich gewesen wäre, in eine Jamaika-Regierung einzusteigen. Einerseits hatten wir Zweifel, ob mit Union und FDP ein stabiles Bündnis zu schmieden ist, andererseits haben wir einige wichtige Punkte rausverhandelt: vom Klimaschutz über Verbesserungen bei der Pflege bis zum Stopp der Vorratsdatenspeicherung.

Die Grünen haben in den Sondierungen zentrale Positionen geräumt – selbst beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Wie wollten Sie das Ihrer Basis erklären?

Peter: Einspruch. Wir haben unsere Positionen in der Asylpolitik verteidigt: Mit uns gibt es keine Obergrenze für Flüchtlinge. Und mit uns wird die Aussetzung des Familiennachzugs nicht verlängert.

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    Mit Verlaub: Die Grünen haben die Forderungen der CDU/CSU zur Begrenzung der Zuwanderung weitgehend akzeptiert.

    Peter: Nein. Trotz aller Kompromissangebote gab es bis zum Schluss keine Einigung in der Flüchtlingspolitik.

    Andere erinnern sich anders. Sind die Grünen noch eine linke Partei – oder auf dem Weg zur grün lackierten CDU?

    Peter: Wir haben gerade in den Jamaika-Sondierungen bewiesen, dass Grüne wie keine andere Partei für Umwelt- und Klimaschutz sowie Bürger- und Menschenrechte stehen und für mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen. Gestiegene Umfragewerte zeigen doch, dass die Wählerinnen und Wähler diese Haltung schätzen. Wir sind eine progressive, links verortete Kraft. Mir ist wichtig, dass wir das auch bleiben.

    Zur Bundestagswahl sind Sie mit der Realo-Doppelspitze Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir angetreten, und bald könnte das Realo-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck die Grünen führen. Eine linke Partei stellt sich anders auf.

    Peter: Die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl sind aus einer Urwahl hervorgegangen. Bei der Wahl des Bundesvorstands auf dem Parteitag sollten wir uns so aufstellen, dass unterschiedliche Strömungen repräsentiert werden. Sonst drohen Ungleichgewichte, die unserer Partei nicht guttun. Es sind überwiegend Parteilinke, die Themen wie Verteilungsgerechtigkeit oder den Kampf gegen Machtwirtschaft in den Fokus rücken. Daraus resultierten beispielsweise der grüne Gerechtigkeitskongress und die Gerechtigkeitsdebatte auf dem Parteitag 2016.

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      Habeck und Baerbock würden solche Themen vernachlässigen?

      Peter: Es mag ein hehres Anliegen von Robert Habeck und Annalena Baerbock sein, die Flügel einbinden zu wollen, aber beide gehen zum gleichen Flügeltreffen. Damit entgeht ihnen ein Teil der innerparteilichen Diskussion. Ich werbe daher für Ausgewogenheit an der Spitze …

      ... und für sich selbst in der Parteiführung. Ist der Grünen-Proporz, wonach verschiedene Strömungen und Geschlechter in der Spitze repräsentiert sein müssen, noch zeitgemäß?

      Peter: Dieser Proporz ist zeitgemäßer denn je. Auch im 21. Jahrhundert gibt es bei der Gleichberechtigung erheblichen Nachholbedarf. Frauen verdienen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer, bleiben bei der Karriere häufig an der gläsernen Decke hängen – und die aktuelle „#MeToo“-Debatte macht darauf aufmerksam, dass Belästigungen bis hin zu sexuellen Übergriffen nach wie vor zum Alltag von Frauen gehören. Eine Doppelspitze aus Mann und Frau ist gelebte Macht- und Aufgabenteilung. Die Aufteilung nach Strömungen demonstriert innerparteiliche Demokratie. Ich möchte, dass wir auch weiterhin Macht teilen – und daher auch die Trennung von Amt und Mandat beibehalten.

      Sie sprechen von dem Hashtag „#MeToo“, unter dem sexistisches Verhalten im Internet geteilt wird. Haben Sie selbst unangenehme Erfahrungen gemacht?

      Peter: Glücklicherweise nicht, eher die üblichen Klischees erlebt.

      Was meinen Sie?

      Peter: Manche Bemerkungen, die ich zu hören bekomme, würden gegenüber Männern sicher so nicht erfolgen. Es gab beispielsweise Interviews, in denen ich nach Empfindsamkeit oder Emotionen gefragt wurde.

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        Das empfinden Sie als diskriminierend?

        Peter: Ja, weil Männer solche Fragen eher nicht gestellt bekommen. Genauso wie die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da wurde ich mal gefragt, wie oft ich zu Hause bei meinem Kind sei. Das sind geschlechtsspezifische Fragen. Damit muss endlich Schluss sein.

        Bei den Grünen gibt es so was nicht?

        Peter: Nein. Wir Frauen sind in unserer Partei mit Frauenquote und Doppelspitzen gut repräsentiert. Das beugt schon systematisch einer Männerdominanz vor.

        Wie planen Sie die nächsten Monate? Bereiten sich die Grünen auf ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Union und SPD vor?

        Peter: Ich gehe von der Fortsetzung der großen Koalition aus, auch wenn es an der SPD-Basis große Widerstände gibt. Aber Union und SPD haben noch gar nicht mit den Sondierungen begonnen. Sollte auch dieser Versuch der Regierungsbildung scheitern, bleiben wir Grünen jedenfalls gesprächsbereit.

        Welche Entwicklung wünschen Sie sich persönlich: Neuwahlen und dann Rot-Rot-Grün?

        Peter: Neuwahlen sollten der allerletzte Schritt sein. Ich wünsche mir, dass es eine stabile und verlässliche Regierung gibt – am liebsten natürlich mit grüner Beteiligung. Von Rot-Rot-Grün sind wir nach den Wahlen weiter entfernt als in den vergangenen Jahren. Es gibt keine rechnerische Mehrheit mehr.

        Halten Sie die Linkspartei denn für regierungsfähig?

        Peter: In der Linkspartei gibt es relevante Akteure wie Sahra Wagenknecht, die mich mit ihren Aussagen zur Flüchtlingspolitik und zu Europa befremdet haben. Aber bei Union und FDP waren diese Themen in den Sondierungen für uns auch dicke Brocken.

        Wagenknecht war Spitzenkandidatin der Linken, Sie wollten die Grünen nicht in den Bundestagswahlkampf führen. Im Rückblick ein Fehler?

        Peter: Damals dachte ich nach gut zwei Jahren Amtszeit, jetzt kommen erst einmal andere zum Zug. Das war allerdings nicht als Absage für alle Zeiten gedacht.