Berlin. Warum Äpfel anders besteuert werden als Apfelsaft ist nur ein Zeichen des Mehrwertsteuer-Irrsinns. Dennoch gibt es die Steuer 50 Jahre.

Es waren Schnittblumen, die vor 15 Jahren fast eine Regierungskrise auslösten. Der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) musste ein großes Haushaltsloch stopfen und wollte unter anderem den Mehrwertsteuersatz für Blumen von sieben auf damals 16 Prozent erhöhen. Der Protest war gewaltig, Eichel musste klein beigeben. Die Schnittblumen wurden nicht teurer.

Die Mehrwertsteuer ist nicht nur die Steuer, der die Bürger am häufigsten begegnen, nämlich bei jedem Einkauf. Sie ist auch die Steuer, die dem Staat – nach der Lohnsteuer – am meisten Geld in die Kasse spült. Allein 2017 werden es 173,1 Milliarden Euro sein. Es ist genau deshalb auch die Steuer, die politisch am brisantesten ist.

Schon bei der Einführung gab es Proteste

Eine Erhöhung belastet alle, eine Senkung für wenige kann den politischen Tod bedeuten: Die FDP flog wegen der Steuerermäßigung für Hotelübernachtungen aus dem Bundestag. Am 1. Januar jährt sich nun ein ganz besonderer Tag: Die Mehrwertsteuer in ihrer heutigen Form wird 50 Jahre alt.

Schon bei ihrer Einführung in Westdeutschland zum 1. Januar 1968 gab es Proteste. Händler und Unternehmen nutzten sie für Preiserhöhungen. Der Liter Benzin kostete plötzlich zweieinhalb Pfennige mehr, das Glas Bier fünf Pfennige. Der Preis für eine

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stieg von 18 auf 19 D-Mark. Besonders dreiste Händler schlugen einfach den damals zur Einführung geltenden Satz von zehn Prozent auf ihre Waren auf.

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    Das aber war nicht der Sinn hinter der radikalen Steuerreform: Das Ziel war, jedes Produkt und jede Dienstleistung faktisch nur einmal mit einer Umsatzsteuer zu belegen. Bis 1968 wurde die Steuer nämlich bei jedem Verkauf von jeder Ware auf den Verkaufspreis aufgeschlagen.

    Händler nutzten die Reform 1968 für Preiserhöhungen

    Für Unternehmen bedeutete das: Wenn ein Produkt bis zur Fertigstellung mehrere Betriebe durchlief, musste die Steuer jedes Mal bezahlt werden. Das Fachwort dafür hieß entsprechend „Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer“. Das Verfahren begünstigte Konzerne, sie konnten alle Schritte unter einem Dach ausführen, die Steuer fiel dabei nur einmal an.

    Heute ist es egal, durch wie viele Unternehmen ein Produkt wandert, bis es fertig ist. Es wird immer nur die Wertsteigerung besteuert, die in der jeweiligen Firma entsteht. Genau deshalb heißt die Steuer „Mehrwertsteuer“. In der DDR gab es sie in dieser Form nicht. Dort wurden Produkte mit verschieden hohen Umsatzsteuern belegt, die aber selten klar erkennbar waren.

    Erste Regierung unter Merkel erhöhte Steuer zuletzt

    In den 50 Jahren wurde die Mehrwertsteuer mehrfach erhöht, das letzte Mal vor elf Jahren um ganze drei Punkte. Auf einen Schlag sollte das 24 Milliarden Euro mehr in die Staatskassen spülen. Damals, als die erste große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Erhöhung beschloss, waren sie leer.

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      Inzwischen ist jeder Mehrwertsteuerpunkt nicht mehr acht Milliarden Euro wert, sondern rund elf Milliarden. Entsprechend irreal ist daher die Forderung der AfD, die Mehrwertsteuer um sieben Punkte zu senken. Die dafür nötigen 77 Milliarden Euro pro Jahr könnte kein Finanzminister entbehren.

      Große Parteien haben Senkungspläne nicht aufgenommen

      Dennoch wird eine – geringere – Senkung von Wirtschaftswissenschaftlern ernsthaft diskutiert. Die Forscher vom Berliner DIW zum Beispiel schlagen eine Senkung um einen Punkt vor. Das sei eine Alternative zur Senkung der Einkommensteuer.

      Der Gedanke dahinter: Geringverdiener geben einen viel größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum aus als Gutverdiener. Ihnen würde eine Senkung der Mehrwertsteuer mehr nützen, denn viele Geringverdiener zahlen kaum Einkommensteuer. Weder die Union noch die SPD haben die Idee aber aufgegriffen. Zu groß ist die Befürchtung, dass die Unternehmen die Steuersenkung nicht an ihre Kunden weitergeben würden.

      Apfel und Apfelsaft werden unterschiedlich besteuert

      Dennoch ist es nicht so, dass es bei der Mehrwertsteuer keinen Handlungsbedarf gibt. Seit Jahren schon fordern Experten, den undurchsichtigen Dschungel von Ausnahmen zu lichten. Apfel und Apfelsaft, Maultiere und Esel, und selbst Bahnfahrten im Nah- und Fernverkehr werden verschieden besteuert. Die Politik aber zögert mit dem Aufräumen – Minister Eichels Schnittblumen-Trauma wirkt nach.

      „Die neue Bundesregierung muss dringend eine Reform anpacken“, fordert dennoch Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Die Liste der Waren und Dienstleistungen, für die der ermäßigte Satz gelte, müsse überarbeitet werden. „Diese Ausnahmen sind kaum nachzuvollziehen und nicht mehr zeitgemäß“, meint Holznagel. Es sei unverständlich, warum Strom oder Medikamente mit dem vollen Satz besteuert würden, obwohl beides zum täglichen Bedarf gehöre.

      Für mindestens ebenso wichtig hält Holznagel, den um sich greifenden Umsatzsteuerbetrug zu stoppen: „Wir brauchen europaweit geltende Regeln, die mit dem globalen Handel, etwa dem Online-Handel, und der Digitalisierung mithalten können.“ Es gebe zu viele Händler, die gar keine Umsatzsteuer mehr abführen. Bisher aber mühen sich Finanzpolitiker in Berlin und Brüssel vergeblich, diese Schlupflöcher zu stopfen.