Berlin. Volle Kirchen werden zu Weihnachten nicht die Regel sein. Viele Gläubige lassen den Gottesdienst aus. Das hat ganz weltliche Gründe.

Es reiche nicht, einfach nur „ein guter Mensch zu sein“, mahnte Papst Franziskus kürzlich zum Advent. „Wir Christen müssen an der Sonntagsmesse teilnehmen“, forderte der Pontifex. Ohne den sonntäglichen Kirchgang seien die Gläubigen „dazu verdammt, von der Müdigkeit des Alltags beherrscht zu werden“.

Ob der Appell zum Kirchgang fruchtet, darf bezweifelt werden. Eben erst ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild“-Zeitung: Egal ob Katholiken oder Protestanten – die meisten Kirchenmitglieder planen nicht einmal an Weihnachten einen Gottesdienstbesuch ein. Nur 36 Prozent der katholischen und 31 Prozent der evangelischen Christen in Deutschland wollen demnach zum Fest der Geburt Jesu in die Kirche gehen.

Sonntagspflicht bei den Katholiken

Dabei herrscht in der Katholischen Kirche sogar eine Gottesdienstpflicht: Nach Kirchenrecht sind die Gläubigen am Sonntag und an den anderen Feiertagen zur Teilnahme an der Eucharistie, also an der heiligen Kommunion, verpflichtet. Die Protestanten dagegen kennen keine Pflicht, dort ist der Gottesdienstbesuch mehr ein Angebot an die Gemeindemitglieder.

Ob Pflicht oder nicht – ein Blick in die Gotteshäuser an Sonntagen reicht um zu erkennen, dass die Kirchen mit ihren Gottesdiensten nur noch einen Bruchteil der Gläubigen erreichen. „Der Gottesdienstbesuch am Sonntag wird von durchschnittlich 10,2 Prozent der Katholiken wahrgenommen“, heißt in der Bilanz der Deutschen Bischofskonferenz für das Jahr 2016. Bei den Protestanten liegt die Quote offiziellen Angaben zufolge sogar nur im einstelligen Bereich.

Bischof: Keiner braucht noch die Kirche

Die Vision vom „Gott ohne Volk“, die der Passauer Bischof Stefan Oster 2016 in seinem gleichnamigen Buch beschrieb – sie scheint immer mehr Realität zu werden. Osters ernüchterndes Urteil: „Die Entfremdung der jungen Generation nimmt zu, die Älteren sterben weg. Keiner braucht noch die Kirche.“

Die Gründe für das Desinteresse an Liturgie und Predigt liegen auf der Hand: Eine Gesellschaft, die sich immer weiter vom Glauben entfernt, findet auch immer seltener den Weg in die Kirche. Und das gilt inzwischen auch fürs Parlament. „Noch nie waren so wenige Christen im Bundestag“, überschrieb die Katholische Nachrichtenagentur dieser Tage einen Bericht über die Abgeordneten und ihre Religionszugehörigkeit.

Nie so wenige Christen im Bundestag

Tatsächlich gehört nur noch gut jeder zweite (53,9 Prozent) Mandatsträger nach eigenen Angaben einer christlichen Kirche an, wie aus der Statistik des Bundestags hervorgeht. Jeder Dritte machte erst gar keine Angaben zur Religionszugehörigkeit. Michael Feldkamp, Chefhistoriker des Bundestags, folgerte daraus, „dass sich immer weniger Menschen in Deutschland zu ihrem Glauben bekennen“. Christsein ist uncool.

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    In der katholische Kirche ist diese Entwicklung gleichsam offiziell. So steht im 2013 neu aufgelegten „Gotteslob“, dem Gebetbuch für die Gläubigen, zu lesen: „In der Welt von heute gerät der Sonntag leicht in den Sog ausufernder Betriebsamkeit und wirtschaftlicher Interessen oder wird ausschließlich als Freiraum für Entspannung beansprucht.“ Ausschlafen statt Abendmahl.

    Der Abendsegen in der Eckkneipe

    Auch die Protestanten kennen das. So heißt es in den „Leitlinien des kirchlichen Lebens“ der lutherischen Kirchen Deutschlands beinahe achselzuckend: „Für viele Kirchenmitglieder hat der sonntägliche Gottesdienst keine erkennbare Bedeutung.“ Das klingt schon sehr nach Resignation.

    An – teilweise rührenden – Versuchen, den Kirchenbesuch für Gläubige wieder attraktiver zu machen, hat es in der Vergangenheit nicht gefehlt: Jazz- und Pop-Messen, Open-Air-Gottesdienste für Motorradfahrer, der Abendsegen in der Eckkneipe, ein Dankgebet im Supermarkt.

    Andere versuchen es mit Anbiederung: In Bersenbrück bei Osnabrück etwa feierten Protestanten kürzlich einen „Gothic-Gottesdienst“, bei dem der Pfarrer verkündete: „Gothic ist ganz klar auch eine Form von Religiosität.“

    Gottesdienst an einem Werktag?

    Eine ganz andere Idee hatte bereits 2015 die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und heutige Vize- EKD-Vorsitzende Annette Kurschus. „Wir müssen über den Sonntagmorgen neu nachdenken“, forderte sie seinerzeit – und brachte eine Verschiebung des Gottesdienstes auf den Nachmittag ins Spiel. Damit könne man „auch jüngere Leute besser ansprechen“, so Kurschus. Man müsse sogar darüber nachdenken, vom Sonntag als traditionellem Tag für den Gottesdienst abzurücken.

    Es blieb bisher allerdings bei der Idee. Der Sonntag ohne Gottesdienst – das wäre für die Kirche dann wohl doch zuviel gewesen. Für viele Gläubige dagegen ist er längst gelebte Realität.

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