Berlin. Im Interview spricht CDU-Politikerin Ursula von der Leyen über ihre Zeit als Verteidigungsministerin. Und die Chancen für eine GroKo.

Zwölf Wochen nach der Bundestagswahl ist eine neue Regierung immer noch nicht in Sicht, sehr zum Leidwesen der geschäftsführenden Verteidigungsministerin. Denn wichtige Entscheidungen stehen bevor. Ursula von der Leyen, in der CDU eine Stellvertreterin von Angela Merkel, hofft auf Bewegung bei den Sozialdemokraten.

Frau von der Leyen, würden Sie darauf wetten, dass eine weitere große Koalition zustande kommt?

Ursula von der Leyen: Jamaika habe ich auch für sehr wahrscheinlich gehalten. Die Union ist grundsätzlich bereit, Verantwortung zu tragen. Die SPD muss ihre Meinung erst bilden, ob sie überhaupt Koalitionsgespräche führen möchte. Schwierige Wette.

Was wäre Ihr Einsatz?

Fragen Sie mich nicht danach! (lacht)

Wenn Sie verlieren, bekommen Sie Neuwahlen. Oder eine Minderheitsregierung.

Wir würden in Verhandlungen ernsthaft eine stabile große Koalition anstreben. Alles andere liegt in den Händen des Bundespräsidenten.

Was sind die Knackpunkte für eine Neuauflage von Schwarz-Rot?

Unserem Land geht es ausgesprochen gut. Es ist wirtschaftlich stark und hat politisches Gewicht. Damit das auch in zehn Jahren noch so ist, müssen wir heute die Weichen richtig stellen. Die Welt um uns herum dreht sich rasant weiter. Die drei Megathemen für die nächsten zehn Jahre sind die Stärkung Europas, innere wie äußere Sicherheit, vor allem aber die konsequente Digitalisierung unseres gesamten Landes.

Worauf kommt es Ihnen dabei an?

Die Interviewer mit von der Leyen in ihrem Büro.
Die Interviewer mit von der Leyen in ihrem Büro. © Anikka Bauer | Anikka Bauer

Digitalisierung findet weltweit statt. Wir müssen uns so aufstellen, dass Deutschland zu den Gewinnern und nicht zu den Verlierern der Digitalisierung gehört. Beispiel Gesundheitswesen: Die SPD fordert die Umstellung auf eine Einheitskasse. Das ist für die Union nicht das richtige Thema. Eine Bürgerversicherung verbessert nicht die medizinischen Strukturen. Eine aufwendige Umstellung unseres Systems, das immerhin zu den besten der Welt gehört, würde über Jahre enorm viel Geld, Zeit und Kraft kosten, die wir viel besser in die Digitalisierung des Gesundheitswesens investieren sollten. Darin liegen enorme Chancen, den Service für die Patienten zu beschleunigen und beste medizinische Versorgung auch in entlegene Regionen zu bringen.

Warum ist in der CDU der Widerstand gegen eine Minderheitsregierung so groß? Weil sie der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel wäre?

Die erste Option ist immer eine Regierung mit stabiler Mehrheit im Parlament. Ich bedauere sehr, dass die Jamaika-Verhandlungen nicht zum Erfolg geführt haben. Das große Thema wäre Nachhaltigkeit gewesen. Der Bundespräsident pocht nun zu Recht auf die Reihenfolge. Wir wollen die große Koalition in aller Ernsthaftigkeit verhandeln. Dazu gehört, nicht vor dem Start lauter Seitentüren aufzumachen.

„Jede Generation in Deutschland hat einen Kanzler. Aus meiner Generation ist das Angela Merkel.“ Gilt dieser Satz von Ihnen noch?

Ja, der gilt.

So manche Generation hat mehr als einen Kanzler ...

Die Menschen haben ein ganz sicheres Gespür dafür, wem sie ihr Land nach wie vor anvertrauen wollen. Alle Umfragen zeigen: Das ist Angela Merkel.

Fürs Protokoll: Eine Kanzlerin von der Leyen wird es nicht geben?

Eine absurde Frage! Meine Kanzlerin heißt Angela Merkel.

Wollen Sie jetzt unbedingt Verteidigungsministerin bleiben – oder kämen auch andere Ressorts infrage?

Ich bin sehr gerne Verteidigungsministerin. Mir ist die Truppe ans Herz gewachsen. Aber das waren auch die härtesten vier Jahre meines Lebens. Es gibt immer noch einen gewaltigen Modernisierungsbedarf in der Bundeswehr. Wir haben Trendwenden eingeleitet und diskutieren über die Frage, wie wir uns für die Zukunft aufstellen. Dabei geht es nicht nur darum, wie wir bei Personal und Material wieder wachsen, sondern auch um den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion – und um die Frage, wie wir in der Truppe miteinander umgehen. Auch da haben wir in diesem Jahr etliche Prozesse angestoßen, die weitergehen müssen.

Was darf eine geschäftsführende Regierung?

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    Sie haben der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ attestiert und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Wie wollen Sie das Vertrauen der Truppe zurückgewinnen?

    Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass dieser Satz zu allgemein formuliert war. Ich habe mich auch dafür entschuldigt. Und da ist die Truppe eben auch klasse: zu seinen Fehlern stehen, sie klar benennen, breit darüber diskutieren und dann weiter nach vorne schauen. Die Truppe erkennt in hohem Maße die Modernisierungsschritte an, die wir eingeleitet haben. Sie weiß es zu schätzen, dass Deutschland in der Nato mehr Gewicht bekommt, dass der Etat wieder deutlich wächst.

    Harte Jahre waren es auch im Verhältnis der Unionsparteien. Die CSU steht nun vor einem Generationswechsel. Hat die CDU es mit Markus Söder leichter als mit Horst Seehofer?

    Der Riss, der bis in diesen Herbst hinein quer durch die Union ging, hat CDU und CSU viel Kraft gekostet. Wir hätten diese Kraft gebraucht, um der Bevölkerung bestimmte Entscheidungen zu erklären. Umso wichtiger ist es, dass wir uns jetzt auf ein gemeinsames Regelwerk zur Zuwanderung verständigt haben. Diese Position hätte auch deswegen in den Verhandlungen mit der SPD ein hohes Gewicht. Die CSU beeindruckt mich immer wieder. Sie hat mit Schwung und Kraft innerhalb weniger Tage die Dinge geordnet und eine tragfähige Lösung für die Zukunft gefunden.

    Ist das so?

    Ich spüre bei beiden – Horst Seehofer wie Markus Söder – den festen Willen, die gemeinsame Führungsaufgabe gut zu meistern. Beide sind Vollblutpolitiker und Profis zugleich ...

    ... aber sie sind sich spinnefeind. Wen rufen Sie an, wenn Sie ein Problem mit der CSU haben: Söder oder Seehofer?

    Das kommt auf die Art des Problems an. (lacht)

    Welches Signal soll vom CSU-Parteitag an diesem Wochenende in Nürnberg ausgehen?

    Geschlossenheit und Aufbruch.

    Selbst dann wird es mit der Regierungsbildung noch einige Monate dauern – und im März laufen Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Wie wollen Sie vorgehen?

    Wir haben eine Parlamentsarmee. Ich werde in einigen Wochen mit allen Fraktionen über die Verlängerung der Bundeswehreinsätze sprechen. Unsere Partner verlassen sich darauf, dass wir in diesen Einsätzen weiter zu ihnen stehen, und unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen brauchen eine klare Rechtsgrundlage. Ich würde es begrüßen, wenn wir die Einsätze im Frühjahr verlängern – und zwar nicht nur für drei Monate, sondern wieder im üblichen Rhythmus für ein Jahr.

    Merkel will keine Minderheitsregierung – darum ist das klug von der Kanzlerin

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      Ein umstrittener Einsatz findet im Nordirak statt: Militärhilfe für die kurdischen Peschmerga. Halten Sie auch daran fest?

      Wir werden in aller Breite darüber sprechen, welchen Anteil der Verantwortung wir bereit sind, innerhalb unserer Bündnisse und Allianzen zu tragen. Die großen, schweren Einsätze sind Afghanistan, Irak und Mali. In allen dreien stehen wir mit unseren Partnern im Kampf gegen den Terror. Wir tragen unseren Teil dazu bei, unsere Nachbarschaft zu stabilisieren. Trotzdem sind die Beiträge immer unterschiedlicher Natur.

      Ist der Krieg gegen die Terrormiliz IS im Irak nicht schon gewonnen?

      Die Mission im Irak ist erfolgreich. Wir haben die Peschmerga so ausgerüstet und ausgebildet, dass sie ihre Heimat freikämpfen konnten. Ich bedauere sehr, dass Präsident Barsani ein Referendum über einen unabhängigen Kurden-Staat auf den Weg gebracht hat – obwohl wir ihm alle davon abgeraten haben. Die Aufgabe, den IS zu bekämpfen und den Irak zu stabilisieren, ist noch nicht beendet.

      Ein heikles Thema in den Jamaika-Verhandlungen waren die amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden. Werden sich Union und SPD darauf verständigen, dass sie abgezogen werden?

      In der Nato trägt jeder Bündnispartner seinen Teil der Verantwortung – auch Deutschland. Ich gehe nicht davon aus, dass sich daran in einer neuen Regierung etwas ändert.

      Die Atomwaffen sollen bleiben?

      Im Grundsatz verfolgen wir das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Aber solange das in der Weltgemeinschaft kein Konsens ist, dürfen wir auf dem Weg dahin die Verantwortung für die gemeinsame Sicherheit nicht auf andere abwälzen.