Berlin. GroKo oder nicht? Auf dem Parteitag streitet die SPD um ihren Kurs. Eine ganz spezielle Botschaft schickte Andrea Nahles an die Union.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen starten Union und SPD einen neuen Anlauf zu einer Regierungsbildung. Die SPD machte am Donnerstag auf einem Parteitag in Berlin nach stundenlanger kontroverser Debatte

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den Weg für „ergebnisoffene Gespräche“ frei, die nächste Woche beginnen sollen.

Schulz winkt nach seiner Wiederwahl den Delegierten zu.
Schulz winkt nach seiner Wiederwahl den Delegierten zu. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH

SPD-Chef Martin Schulz hatte zuvor versichert, es gebe in möglichen Gesprächen mit der Union keinen Automatismus für eine neue große Koalition: „Dafür gebe ich meine Garantie.“ Er sagte: „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen“. Schulz betonte: „Dafür wollen wir ergebnisoffen reden und schauen, zu was für inhaltlichen Lösungen wir kommen können.“

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. „Nach allem, was hinter uns liegt, bin ich Euch dankbar für diesen Vertrauensbeweis“, sagte er. Bei der letzten Wahl im März 2017 hatte Schulz 100 Prozent der Stimmen bekommen. Das beste Ergebnis bei der Wahl der sechs Stellvertreter holte Malu Dreyer mit97,5 Prozent, Olaf Scholz wurde mit 59,2 Prozent abgestraft.

SPD: Das sind die sechs Schulz-Vertreter

Malu Dreyer: Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, die 2016 nach Riesenrückstand die Landtagswahl noch triumphal für die SPD gewann, wird in der Partei erstmals Bundesvize und damit noch wichtiger. Sie holt das beste Resultat aller Vizes mit 97,5 Prozent. Dreyer will keine „GroKo“, sondern wirbt dafür, nur eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dulden. Sie ist in der Partei beliebt, fördert viele Frauen.
Malu Dreyer: Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, die 2016 nach Riesenrückstand die Landtagswahl noch triumphal für die SPD gewann, wird in der Partei erstmals Bundesvize und damit noch wichtiger. Sie holt das beste Resultat aller Vizes mit 97,5 Prozent. Dreyer will keine „GroKo“, sondern wirbt dafür, nur eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dulden. Sie ist in der Partei beliebt, fördert viele Frauen. © dpa | Michael Kappeler
Manuela Schwesig: War als Bundesfamilienministerin ein Aktivposten in der großen Koalition, machte für die SPD bei Frauen und Familie einige Punkte. Wechselte im Sommer als Ministerpräsidentin in ihre Heimat Mecklenburg-Vorpommern, nachdem sich Erwin Sellering schwer erkrankt aus der Politik zurückzog. Dort will sich die zweifache Mutter auf höhere Aufgaben vorbereiten. Ihr Top-Ergebnis von 2015 (92,2 Prozent) kann sie nicht halten – jetzt sind es 86 Prozent.
Manuela Schwesig: War als Bundesfamilienministerin ein Aktivposten in der großen Koalition, machte für die SPD bei Frauen und Familie einige Punkte. Wechselte im Sommer als Ministerpräsidentin in ihre Heimat Mecklenburg-Vorpommern, nachdem sich Erwin Sellering schwer erkrankt aus der Politik zurückzog. Dort will sich die zweifache Mutter auf höhere Aufgaben vorbereiten. Ihr Top-Ergebnis von 2015 (92,2 Prozent) kann sie nicht halten – jetzt sind es 86 Prozent. © dpa | Michael Kappeler
Die Landeschefin aus Bayern steigt ebenfalls zu einer Stellvertreterin auf. Im nächsten Herbst muss sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl versuchen, die Genossen im Freistaat angesichts der CSU-Umfrageschwäche aus dem Keller zu führen. Der Parteitag schickt die Wahlkämpferin mit den blonden Locken aber nur mit 80,1 Prozent ins Rennen.
Die Landeschefin aus Bayern steigt ebenfalls zu einer Stellvertreterin auf. Im nächsten Herbst muss sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl versuchen, die Genossen im Freistaat angesichts der CSU-Umfrageschwäche aus dem Keller zu führen. Der Parteitag schickt die Wahlkämpferin mit den blonden Locken aber nur mit 80,1 Prozent ins Rennen. © dpa | Michael Kappeler
Thorsten Schäfer-Gümbel: Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, der im dritten Anlauf bei der Landtagswahl im Herbst 2018 endlich Ministerpräsident werden will. Ist seit 2013 Vize. Der Parteilinke arbeitete federführend das Steuerkonzept für das Wahlprogramm aus. Jetzt trommelt er für ein neues Grundsatzprogramm der SPD. „TSG“ ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Von den Delegierten bekommt er aber bei der Wiederwahl nur eine mäßige Note – 78,3 Prozent (2015: 88 Prozent).
Thorsten Schäfer-Gümbel: Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, der im dritten Anlauf bei der Landtagswahl im Herbst 2018 endlich Ministerpräsident werden will. Ist seit 2013 Vize. Der Parteilinke arbeitete federführend das Steuerkonzept für das Wahlprogramm aus. Jetzt trommelt er für ein neues Grundsatzprogramm der SPD. „TSG“ ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Von den Delegierten bekommt er aber bei der Wiederwahl nur eine mäßige Note – 78,3 Prozent (2015: 88 Prozent). © dpa | Michael Kappeler
Ralf Stegner: Die Allzweckwaffe vom linken Flügel - über den es in der SPD spöttisch heißt, er twittere schneller als sein Schatten. In Schleswig-Holstein gab es laute Rufe nach einer Ablösung des Landesvorsitzenden nach dem Machtverlust in Kiel. Stegner aber ist ein Überlebenskünstler - und einer der wenigen in der Führung, der fest zu Schulz hält. Stegner verteidigt seinen Vize-Posten mit Ach und Krach. Es werden 61,6 Prozent.
Ralf Stegner: Die Allzweckwaffe vom linken Flügel - über den es in der SPD spöttisch heißt, er twittere schneller als sein Schatten. In Schleswig-Holstein gab es laute Rufe nach einer Ablösung des Landesvorsitzenden nach dem Machtverlust in Kiel. Stegner aber ist ein Überlebenskünstler - und einer der wenigen in der Führung, der fest zu Schulz hält. Stegner verteidigt seinen Vize-Posten mit Ach und Krach. Es werden 61,6 Prozent. © dpa | Michael Kappeler
Olaf Scholz: Gilt seit Jahren vor allem in den Medien als Reserve-Parteichef. Nach der verlorenen Wahl machte er Stimmung gegen die Schulz-Kampagne. Scholz, kluger Verhandler bei den Bund-Länder-Finanzen, kriegt jetzt (nicht zum ersten Mal) die Quittung: Schlusslicht mit 59,2 Prozent. Vor zwei Jahren waren es noch 80,2 Prozent. Zuvor bekam sein Macher-Image als Bürgermeister Kratzer, weil er den Hamburgern den G20-Gipfel als friedlichen Hafengeburtstag ankündigte – dann brannte das Schanzenviertel. Für Verhandlungen mit der Union gilt er dennoch als unverzichtbar.
Olaf Scholz: Gilt seit Jahren vor allem in den Medien als Reserve-Parteichef. Nach der verlorenen Wahl machte er Stimmung gegen die Schulz-Kampagne. Scholz, kluger Verhandler bei den Bund-Länder-Finanzen, kriegt jetzt (nicht zum ersten Mal) die Quittung: Schlusslicht mit 59,2 Prozent. Vor zwei Jahren waren es noch 80,2 Prozent. Zuvor bekam sein Macher-Image als Bürgermeister Kratzer, weil er den Hamburgern den G20-Gipfel als friedlichen Hafengeburtstag ankündigte – dann brannte das Schanzenviertel. Für Verhandlungen mit der Union gilt er dennoch als unverzichtbar. © dpa | Michael Kappeler
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„So ein Jahr steckt in den Knochen“

„Es ist nicht leicht hier zu stehen nach so einem Jahr“, erklärte Schulz zu Beginn seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag. „So ein Jahr steckt einem in den Knochen.“ Die Niederlage bei der Bundestagswahl sei „bitter“ gewesen. „Ich bitte für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung“, so Schulz. Er forderte: „Wir müssen schonungslos die letzten 20 Jahre aufarbeiten.“

Juso-Chef strikt gegen GroKo-Gespräche

Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert.
Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH

Kontra erhielt Schulz in Berlin wie erwartet von den Jusos. Deren Bundesvorsitzender Kevin Kühnert sprach sich klar gegen Gespräche über eine große Koalition aus. Die SPD brauche eine Erneuerung. „Aber die Zeit für die Erneuerung der SPD wird außerhalb einer GroKo sein oder sie wird nicht sein“, so Kühnert. Die Absage an eine Regierungsbeteiligung der SPD am Wahlabend sei richtig gewesen. „Ich sehe die veränderte Situation nicht“, so Kühnert. Für die SPD gebe es eine Verantwortung, „dass noch etwas übrigbleibt von diesem Laden“.

Die Skepsis in der SPD gegen eine erneute schwarz-rote Regierung ist groß, zumal die SPD nach dem letzten Bündnis mit der Union auf 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl im September abgestürzt war. In einem Änderungsantrag der Jusos hieß es etwa, die große Koalition sei „kein denkbares Ergebnis der Gespräche“.

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Scholz: „Nicht einfach davonstehlen“

Anders sah es Olaf Scholz, Hamburger Bürgermeister und Partei-Vize. Er betonte zwar auch, die SPD habe richtig gehandelt, als sie am 24. September eine Regierungsbeteiligung ausschloss. „Aber wir können uns aus dieser Geschichte nicht einfach davonstehlen“, mahnte Scholz. Deshalb müsse die SPD nun „alle Alternativen sorgfältig ausloten und sehen, was dann rauskommt“.

Michael Groschek, Chef der nordrhein-westfälischen SPD, forderte in Berlin einen „dritten Weg“. Der sähe dann so aus: Nicht ein kleinerer Parteikonvent, sondern ein Sonderparteitag der SPD solle nach Sondierungen mit der Union darüber entscheiden, ob letztlich Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.

Nahles: Angst ist kein Maßstab

„Die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur. Und das wird ganz schön teuer. Bätschi, sage ich dazu nur.“ Diese Warnung schickte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles auf dem Parteitag schon mal an die Union. Zugleich bat Nahles die Delegierten um Vertrauen, dass sie zusammen mit Schulz ergebnisoffen in Gespräche gehen werde. Angst könne kein Maßstab für eine Entscheidung sein. Es sei auch nicht unehrlich, das eigene Programm in Realpolitik für die Menschen umzusetzen.

Schulz präsentierte den Delegierten einen neuen Plan für Europa: Schulz will die Europäische Union bis 2025 in die Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umwandeln. Die EU-Mitglieder, die dieser föderalen Verfassung nicht zustimmen, müssten dann automatisch die EU verlassen, sagte Schulz in Berlin.

Schulz: „Leitkultur ist historischer Unsinn“

Scharf attackierte Schulz die AfD. Deren Parteitag in der vergangenen Woche habe gezeigt: „Sie sind Rechtsradikale, Hetzer von rechts. Und sie sind bejammernswerte Deutschnationale mit ihrer völkischen Rhetorik, auch wenn sie mit Adelstiteln daherkommen.“ Schulz weiter: „Die Leitkulturdebatte ist historischer Unsinn.“

„Basis und Parteispitze müssen wieder viel näher zusammenrücken als das bisher der Fall war“, sagte Schulz in seiner Rede. „Wir müssen die Distanz von oben nach unten überbrücken, in der Gesellschaft, aber auch in der Partei.“ Und weiter: „In den Wochen nach der Wahl haben wir ein denkbar schlechtes Bild abgegeben. Öffentlich wurde bei uns mehr über Personalfragen als über Inhalte gestritten. Das darf uns so nie wieder passieren.“

Martin Schulz will Erneuerung der SPD

Die Erneuerung der SPD müsse „das Kernanliegen“ der nächsten Jahre sein, so Schulz. „Nicht um uns in rückwärtsgewandten Debatten zu verlieren, sondern um aus unseren Fehlern zu lernen.“ Es gelte eine Vision zu entwickeln, die die Menschen begeistere, einen Gesamtentwurf für das Land, zu zeigen, wofür die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert stehe.

Schäfer-Gümbel: „Hürden liegen hoch“

Vor allem die Linken in der SPD sind gegen ein Bündnis mit CDU und CSU. „Es gibt viele, die davon gar nichts halten“, sagte auch SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel unmittelbar vor dem Parteitag am Donnerstagmorgen im TV-Sender Phoenix. Auf dem Weg zu einer großen Koalition lägen „die Hürden ziemlich hoch“. Es gebe an der Basis „den klaren Wunsch, Alternativen auszutesten“, so Schäfer-Gümbel.

So sieht das auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die auf dem Parteitag zur SPD-Vizechefin gewählt werden soll. Sie war am Donnerstagmorgen noch mal für eine Minderheitsregierung: „Ich bin der Auffassung, wir müssen unbedingt alle Wege ausloten. Meine Präferenz ist eine Minderheitsregierung.“

NRW-SPD für Minderheitsregierung

Auch der größte SPD-Landesverband NRW hat für den Bundesparteitag einen Antrag eingebracht, der statt einer großen Koalition eine Minderheitsregierung favorisiert. In einem Änderungsantrag für den Vorstandsvorschlag, „ergebnisoffene Gespräche“ mit der Union zu führen, wird gefordert, „das Modell einer Minderheitsregierung wie auch Formen einer Kooperation auf die Tagesordnung der jetzt zu führenden Gespräche zu bringen“.

Mehrere Optionen liegen auf dem Tisch

Neben der Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union gelten deshalb auch eine Tolerierung einer Minderheitsregierung sowie Neuwahlen als mögliche Optionen. Stimmt der Parteitag dem Antrag der Parteispitze aber zu, will Martin Schulz schon nächste Woche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sprechen.

Die SPD hatte sich nach ihrem schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl im September dazu entschlossen, in die Opposition zu gehen. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung von Union, Grünen und FDP soll diese Entscheidung nun revidiert werden. (mit dpa)