Merkel beim EU-Afrika-Treffen – Jenseits von Deutschland
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Lesezeit: 7 Minuten
Von Kerstin Münstermann
Abidjan. Kanzlerin Merkel müht sich beim EU-Afrika-Treffen um die Bekämpfung der Fluchtursachen. Die deutsche Regierungskrise ist mit im Gepäck.
Angela Merkel schüttelt die Hände zahlreicher Staatschefs, es gibt Gruppenfotos und Arbeitsessen: eigentlich Gipfelroutine für die langjährige Regierungschefin Deutschlands. Diesmal ist es ein EU-Afrika-Treffen in Abidjan, dem Regierungssitz der Elfenbeinküste. Knapp 7,5 Flugstunden und 5500 Kilometer von Berlin entfernt.
Doch die Kanzlerin hat die deutsche Regierungskrise mit im Gepäck. Auch mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl ist sie nur
und vertritt Deutschland aus einer geschwächten Position heraus. Dabei geht es auch um das Thema, das Merkel seit 2015 begleitet und sie letztlich immer noch das Amt kosten könnte: Flucht und Migration.
Terrorgruppen verdienen am Menschenhandel mit
So steht das sperrige Wort Fluchtursachenbekämpfung auf der Agenda der EU ganz oben. Auch deswegen tritt Merkel den 39-Stunden-Trip nach Westafrika an. Der EU ist daran gelegen, Migrations- und Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen Ländern abzuschließen.
Es geht um die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, aber auch um Sicherheitsfragen. Der staatliche Zerfall Libyens etwa zeigt, wie sehr sich im Chaos auch terroristische Gruppen ausbreiten – die dann am Menschenschmuggel mitverdienen.
Staaten haben Interesse an illegaler Migration
Mit Meldungen, dass Flüchtlinge und Migranten in dem Land wie Sklaven verkauft würden, habe das Thema „eine hohe emotionale Bedeutung bekommen“, sagt Merkel zu Beginn des Gipfels. „Daraus ergibt sich auch ein gemeinsames Interesse daran, die illegale Migration zu beenden und dafür legale Möglichkeiten zu bekommen für Menschen aus Afrika, die Ausbildung bekommen, die bei uns studieren können.“ An Merkels Seite in Afrika ist erstmals auch ihr neuer außenpolitischer Berater Jan Hecker. Der ehemalige Richter ist in Migrationsfragen versiert und verhandelte das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei entscheidend mit.
Besonderes Interesse haben die Industriestaaten an Rückführungen von Wirtschaftsmigranten, die kein Anrecht auf Asyl in Europa haben. Laut dem Afrikabeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, gibt es bereits seit Langem einen völkerrechtlichen Vertrag, der die Verpflichtung jedes Landes festschreibt, die eigenen Leute wieder zurückzunehmen. Diesen Paragrafen in das Gipfeldokument zu übertragen, gestaltet sich jedoch auch wegen des Widerstands einiger afrikanischer Länder schwierig.
Biometrische Erfassung der Passdaten
Viele Staaten haben durchaus Interesse an einer illegalen Migration, weil die Zahlungen von Migranten aus Europa an ihre Familien in den Heimatländern oft zur Linderung der Not beitragen, ja, teils höher sind als die offizielle Entwicklungshilfe. Hier braucht es vor allem Gesprächstalent und Ausdauer. Die Elfenbeinküste etwa will künftig die Passdaten ihrer Bevölkerung biometrisch erfassen und bittet hierbei um die Hilfe Deutschlands. Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Offiziell steht beim fünften Gipfel der EU und der Afrikanischen Union (AU) die Jugend Afrikas und deren Perspektive auf dem eigenen Kontinent im Fokus.
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Die Probleme sind riesig: Derzeit kommen zehn bis zwölf Millionen junge Afrikaner im Jahr neu auf den Arbeitsmarkt, es entstehen jedoch nur 3,5 Millionen zusätzliche Jobs im Jahr. Zollfreiheit, Freihandel, Freizügigkeit der Mobilität sind die Stichworte. Genauso wie transnationale Verkehrswege oder die Energieversorgung. Welcher europäische Unternehmer investiert schon in Ländern, in denen es jeden Tag stundenlange Stromausfälle gibt.
Zwischen Jamaika, großer Koalition oder Neuwahl
Und genau um diese privaten Investitionen geht es den Europäern. Also hat die EU ihre Anreize erhöht: Vor Kurzem wurde mit dem europäischen Außeninvestitionsplan ein Instrument gegründet, das private Investitionen in Afrika bis zu einem Gesamtinvestitionsvolumen von 40 Milliarden Euro anschieben soll.
An diesem Vorgehen der EU gibt es auch Kritik: Entwicklungsorganisationen bemängeln, dass die EU nur auf Marktöffnung, Privatisierung und den Abbau des öffentlichen Sektors setze. Nooke gibt sich ebenfalls keinen Illusionen hin: „Die afrikanische Herausforderung wird uns Jahrzehnte begleiten. Wir reden über Millionen Menschen, die nach Europa emigrieren wollen. Da brauchen wir einen langen Atem“, sagt er dieser Redaktion. Es ist schon eine seltsame Zeit für Merkels Afrikareise. Irgendwo zwischen Jamaika, großer Koalition oder Neuwahl. Der Gipfel macht das Dilemma der geschäftsführenden Kanzlerin besonders deutlich.
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Minderheitsregierung will im Merkel/Seehofer-Lager niemand
Als Merkels Maschine am Dienstag gegen 16 Uhr abhob, hatte sie kurz zuvor ihren Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) öffentlich abmahnen müssen. Dieser hatte für die weitere Zulassung des Unkrautgifts Glyphosat gestimmt, während SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks dagegen war. Es ist ein Krach in der geschäftsführenden Regierung, der Auswirkungen auch auf mögliche Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD hat. Ein unglücklicher Zeitpunkt für Merkel, die sich mit ganzer Kraft darauf konzentriert, erneut eine große Koalition zu schmieden – mithilfe des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.
Neuwahlen sind für die Union nur der allerletzte Weg. Aber auch eine Minderheitsregierung will im Merkel/Seehofer-Lager niemand. Könnte man wirklich auf die Unterstützung von SPD, Grünen und FDP zählen? Die Mehrheiten im Parlament wären fragil. Nun tobt während Merkels Abwesenheit die SPD, CSU-Chef Horst Seehofer macht deutlich, dass er hinter seinem Minister steht. Merkel weiß auch im fernen Afrika genau, dass der Vorfall ihr in möglichen Verhandlungen mit der SPD schaden könnte, sie ein Stück weit inhaltlich erpressbar macht.
Empfang mit rotem Teppich auf dem Flughafen
Fragen zum Gespräch um 20 Uhr am Donnerstagabend beantwortet die CDU-Chefin in Abidjan deswegen gar nicht – atmosphärische Störungen vor dem Treffen mit Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz im Schloss Bellevue gab es schon genug. Auch außenpolitisch ist die Lage heikel. Merkel wurde in der Nacht zum Mittwoch mit rotem Teppich auf dem Flughafen vom Präsidenten der Elfenbeinküste, Alassane Ouattara, herzlich empfangen. Soldaten mit Säbeln säumten den Weg.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der französische Präsident Emmanuel Macron in Burkina Faso bereits eine viel beachtete Rede zu Frankreichs Afrika-Engagement gehalten. Merkel darf während des Mittagessens am Mittwoch vor allem Fragen der afrikanischen Staatschefs nach dem deutschen Wahlsystem beantworten. Die Unzufriedenheit mit der Situation ist Merkel manchmal anzumerken. Die Welt dreht sich weiter, Deutschland befindet sich im Wartestand. Ein Albtraum für eine Politikerin, die ihre vierte Amtszeit zu einem Erfolg führen wollte – und stattdessen zumindest im Moment die Erosion ihrer Macht erlebt.