Berlin. Trump, Brexit, Euro-Reform: Die Politik ist zurzeit im Chaos-Modus. Deutschland braucht deshalb eine stabile Regierung – und zwar bald.

Verkehrte Welt in Deutschland: Die Wirtschaft brummt. Die Auftragsbücher der Firmen sind voll, die Beschäftigung befindet sich auf Rekord-Niveau. Im Gegensatz dazu ist die Politik in den Chaos-Modus gewechselt. Nach dem spektakulären Ende der Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition macht sich in Berlin ein großer Wirrwarr breit. Neuwahlen? Minderheitsregierung? Große Koalition?

Im Ausland reibt man sich verwundert die Augen. Deutschland galt jahrzehntelang als ein Hort der politischen Stabilität. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern bringt die nervöse Stimmung auf den Punkt: „Deutschland ist eines der ganz wesentlichen Führungsländer. Wir wünschen uns alle, dass es rasch zu einer Regierungsbildung kommt.“

Blick aufs große Ganze verloren

Der Appell ist berechtigt. Die Jamaika-Gespräche glichen gelegentlich Therapie-Sitzungen, in denen Selbstverliebtheit, Profilierungshunger oder rhetorische Kirmes-Boxeinlagen im Vordergrund standen. In der Berliner Binnensicht ging der Blick auf das große Ganze verloren.

In Zeiten, in denen die USA unter Präsident Donald Trump auf einen wirtschaftsnationalistischen Kurs abdriften, Russland aufrüstet, China eisern seine ökonomischen Weltmacht-Ambitionen umsetzt und der Nahe Osten ein neues Pulverfass zu werden droht, muss Europa mit kühlem Kopf gegensteuern. Das geht aber nur mit einem entscheidungsfähigen Deutschland, das die Initiative ergreift. Daher: Schluss mit der Nabelschau!

Was darf eine geschäftsführende Regierung?

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    Gedankenspiele bis zum Tellerrand reichen nicht

    Allein in der EU besteht dringender Handlungsbedarf. Der diplomatische Marathon um den Brexit befindet sich in einer wichtigen Phase – ohne Input aus Deutschland droht Stillstand. Das Gleiche trifft auf den Brüsseler Gipfel Mitte Dezember zu, in dem die Beschlüsse für eine Reform der Eurozone gefasst werden sollen. Weitere Etappen: ein neuer Rahmen für den nächsten EU-Haushalt oder die Umwandlung des Rettungsschirms ESM in einen Währungsfonds zur Unterstützung von Krisenländern.

    Angesichts dieser Herausforderungen führen Gedankenspiele, die nur bis zum Tellerrand reichen, nicht weiter. Eine geduldete Minderheitsregierung, die sich für jedes Thema eine Mehrheit suchen muss, würde die Bundespolitik durch die globale Brille betrachtet in einen Provinzbasar verwandeln. Auch Neuwahlen sind keine Alternative. Man kann die Bürger nicht so lange an die Urnen bitten, bis einem das Resultat passt.

    In unruhigen Zeiten ist Stabilität ein Wert an sich

    Es ist das Verdienst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der parteipolitischen Kleingeisterei Grenzen zu setzen. Die Akteure haben die Pflicht, das Wahlergebnis vom 24. September zu respektieren, Kompromisse zu schmieden und eine Regierung zu bilden. Steinmeiers Treffen mit den Chefs von CDU, CSU und SPD in der kommenden Woche darf als klares Signal für eine Neuauflage der großen Koalition gewertet werden.

    In einer Demokratie sind große Koalitionen in Serie keine Ideallösungen – gewiss. Es besteht die Gefahr, dass vor allem die Ränder davon profitieren. In unruhigen Zeiten wie diesen ist jedoch Stabilität ein Wert an sich. Die SPD hat sich bislang geziert.

    Aber eine große Koalition hätte für sie zwei Vorteile: Als Teil der Bundesregierung könnten die Sozialdemokraten zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel das deutsch-französische Tandem stärken und Europa mitgestalten. Im Kabinett hätten sie einen Hebel wie lange nicht. Obwohl die Genossen das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 eingefahren haben, könnten sie der „Groko“ ihre maximale Handschrift aufdrücken. Merkel ist auf sie angewiesen, auf Gedeih und Verderb.