Berlin. SPD-Parteichef Martin Schulz will in der Opposition bleiben und verweigert sich einer großen Koalition. Er hofft auf eine Neuwahl.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles war sich sicher: „Ich gehe davon aus, dass Jamaika am Ende klappt“, hatte sie noch am Sonnabend im Interview mit dieser Redaktion gesagt. Union, FDP und Grüne müssten sich nur „auf den Hosenboden setzen“ und fertig werden. Dass es dann anders kam und auch anders als erhofft, das hatte Nahles nicht erwartet. „Aus der Traumkoalition ist ein Alptraum geworden“, sagte sie am Tag danach. Nun seien alle Parteien in einer „schwierigen Lage“.

Die SPD hat das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen kalt erwischt, das wurde am Montag deutlich. Seit 9.00 Uhr früh saß SPD-Chef Martin Schulz mit der engsten Parteiführung zusammen, ein angekündigter Auftritt vor der Presse musste ausfallen. Schulz schickte seinen Generalsekretär Hubertus Heil, um zu verkünden, dass die Jamaika-Verhandler Deutschland in eine „schwierige Lage“ gebracht hätten. Eigentlich hätte er hinzufügen müssen: Sie haben die SPD in Schwierigkeiten gebracht.

Kann Schulz noch einmal als Kanzlerkandidat antreten?

Denn die Genossen müssen nun vor allem zwei Dinge klären. Erstens: Können sie sich auch jetzt noch immer weigern, mit der Union über eine neue große Koalition zu verhandeln? Zweitens: Wenn die SPD bei ihrer harten Linie bleibt und eine Neuwahl fordert, dann stellt sich die Frage des Kanzlerkandidaten: Kann Schulz es noch einmal machen?

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    Auf die erste Frage hatte Parteichef Schulz am frühen Nachmittag eine eindeutige Antwort: „Wir halten es für wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler die Lage neu bewerten können. Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht“, sagte Schulz und zitierte damit einen Beschluss des Parteivorstands. Die SPD stehe nicht für den Eintritt in eine große Koalition zur Verfügung. Das Wahlergebnis vom 24. September habe deutlich gezeigt, dass die große Koalition abgewählt sei.

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    Schulz machte klar, dass er auch dann nicht umzustimmen sei, wenn Angela Merkel ihren Platz an der Spitze der Unionsparteien und an der Spitze der Regierung räumen sollte. Diese Option hatte der ehemalige Fraktionschef Thomas Oppermann unmittelbar nach der Bundestagswahl bei einem Talkshow-Auftritt ins Gespräch gebracht. „Das wäre in der Tat eine neue Situation“, hatte Oppermann damals gesagt. Auch Schulz hatte Spielraum für Interpretationen gelassen. Bisher hatte er nur gesagt, „nicht in eine Regierung unter Angela Merkel“ einzutreten.

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      Nun wurde er deutlicher. Merkel sei die Spitzenkandidatin der Union gewesen, nur sie habe den Wählerauftrag zur Regierungsbildung bekommen. CDU und CSU könnten sie jetzt nicht durch irgendein Parteigremium auswechseln lassen. „So funktioniert die parlamentarische Demokratie nicht“, sagte Schulz.

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      Mehrfach bekräftigte er, dass die Wähler „neu entscheiden sollten“. Den klaren Satz, dass er eine Neuwahl fordere, sagte Schulz nicht. Seine Linie aber ist: „Die Wähler sollen entscheiden, nicht Parteigremien.“ Der SPD-Chef sagte, er sei bereit, sich mit Vertretern anderer Parteien zu treffen, aber auch dies diene nur „dem Ziel, dass die Bürger bewerten sollen, was von den Jamaika-Parteien angerichtet worden ist.“

      Als Schulz das sagte, hatte er schon kurz mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert. Beide vereinbarten, sich am Mittwoch zu treffen. Den Aufruf von Steinmeier, in dem er alle Parteien dazu aufrief, Gesprächsbereitschaft und politische Verantwortung zu zeigen, kannte Schulz zu dem Zeitpunkt noch nicht. Die SPD hatte die Pressekonferenz ihres Vorsitzenden vor die des Staatsoberhaupts gelegt. Einem Gespräch mit Steinmeier - der seine SPD-Mitgliedschaft ruhen lässt - verweigere er sich natürlich nicht, sagte Schulz.

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        „Der Druck entsteht auf alle Parteien“

        Nicht auflösen konnte der SPD-Vorsitzende am Montag den Widerspruch zwischen seiner Feststellung, dass alle Parteien „gut beraten sind, Koalitionsoptionen insgesamt nicht auszuschließen“ und der Weigerung seiner eigenen Partei, mit der Union erneut ein Bündnis zu bilden. Auch die demonstrative Gelassenheit, die Schulz und die Sozialdemokraten an den Tag legten, passte nicht ganz zu der Forderung, dass man „schnell eine handlungsfähige Regierung“ brauche. Außenminister Sigmar Gabriel hatte sich auf seiner Asien-Reise so geäußert; Schulz übernahm den Satz später.

        Fraktionschefin Nahles zeigte sich am Nachmittag bei der Frage nach einer Neuwahl weniger strikt als Schulz, jedenfalls stellte sie diese Option nicht in den Vordergrund. Sie betonte stattdessen, dass CDU-Chefin Merkel „gescheitert“ sei, aber noch immer in der Verantwortung stehe, eine Regierung zu bilden. Dieser Auftrag liege bei ihr.

        „Der Druck entsteht auf alle Parteien“, sagte Nahles, „insbesondere auf die, die sich als Traumkonstellation verkauft haben. Ich würde die nicht aus der Verantwortung entlassen.“ Damit wollte Nahles offenbar andeuten, dass sie sich einen zweiten Jamaika-Versuch vorstellen kann. Eine große Koalition werde es nicht geben. Die SPD spiele nicht den Lückenbüßer und sei keine „staatsmännische Reserve“, wenn die Union keinen anderen Koalitionspartner finde.

        Niedersachsens Ministerpräsident Weil ist gegen Neuwahl

        Nahles sagte, sie habe „keine guten Gründe“ gehört, weshalb die Jamaika-Koalition nicht zustande gekommen sei. Sie selbst konnte allerdings außer dem schlechten Wahlergebnis keine inhaltlichen Gründe dafür nennen, weshalb die SPD nicht mit der Union über eine Koalition verhandeln wolle. Wie schon Schulz betonte auch Nahles, dass es keinen Zeitdruck gebe. Die SPD-Minister in der Bundesregierung seien geschäftsführend im Amt. Sie würden auch nicht aus der Regierung abgezogen.

        Nicht alle in der SPD finden es gut, dass die Parteiführung auf eine Neuwahl zusteuert. „Wer jetzt die große Koalition ausschließt, könnte ihr schnell wieder begegnen“, soll beispielsweise Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil am Montag bei den parteiinternen Beratungen gemahnt haben. „Irgendwann braucht das Land ja eine stabile Regierung.“ Weil hat gerade erst eine große Koalition mit der CDU gebildet. Vor dem Hintergrund, dass die SPD sich aber auf eine Neuwahl festgelegt habe, sei es richtig, weiter den Kurs zu fahren, um glaubwürdig zu bleiben.

        Schulz will zunächst als Parteivorsitzender wiedergewählt werden

        Auch der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach sagte, man solle nach dem Scheitern von Jamaika neu nachdenken: Die Gründe gegen eine erneute große Koalition bestünden zwar fort. „Es wäre jedoch respektlos gegenüber dem Wähler, wenn wir die Lage nicht neu bewerten würden“, sagte Lauterbach.

        Und dann ist da noch die Frage, mit wem die SPD in einen neuen, kurzen Bundestagswahlkampf ziehen will. Parteichef Schulz griff am Montag zu einer Formulierung, mit der Sigmar Gabriel die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten lange hinausgezögert hatte: Als Parteivorsitzender habe er das Vorschlagsrecht und werde es „zu gegebener Zeit“ ausüben.

        Wann dieser Zeitpunkt kommen wird, ließ Schulz offen. In gut zwei Woche will er erst einmal auf einem Parteitag als Vorsitzender wiedergewählt werden. Der Vorsitzende des mächtigsten Landesverbands NRW, Michael Groschek, sagte, die SPD müsse für den Fall einer Neuwahl „mit der bestmöglichen Mannschaft“ ins Rennen gehen. Ob Martin Schulz Spitzenmann dieser Mannschaft sein werde, ließ Groschek offen.