Berlin. Mit den Sozialdemokraten könnte die Kanzlerin nach dem Jamaika-Aus Neuwahlen noch verhindern. Die Frage ist: Bleibt die SPD standhaft?

In den kommenden Stunden und Tagen sollte Martin Schulz sein Handy griffbereit haben. Wichtige Anrufer dürften bald in der Leitung des SPD-Chefs sein. Die Kanzlerin zum Beispiel, oder der Bundespräsident, Genosse Frank-Walter Steinmeier.

Die Sozialdemokraten wurden erst vor acht Wochen von den Wählern mit 20,5 Prozent gedemütigt. Nun sind sie plötzlich wieder wichtig, könnten mit einem Schlag zurück im Geschäft sein – wenn sie es denn wollten.

Wahlergebnis hätte für Schwarz-Rot gereicht

Nach dem Knaller vom Sonntagabend, dem Aus der Jamaika-Sondierungen auf Betreiben der FDP, ist die SPD für

Auch interessant

neben einer – unwahrscheinlichen – Minderheitsregierung der einzige Ausweg, eine drohende Neuwahl abzuwenden.

Die Wahlergebnisse von Union und SPD hätten trotz Verlusten für eine große Koalition gereicht. Doch die SPD zögerte am Wahlabend keine Sekunde, um dem aus ihrer Sicht verpönten Bündnis unter der Knute der Kanzlerin den Rücken zu kehren.

SPD will nach historischer Wahlpleite in die Opposition gehen

weitere Videos

    Lässt sich die SPD von Merkel breitschlagen?

    Aber jetzt hat sich die Lage dramatisch geändert. In Niedersachsen war die große Koalition unter Führung der Sozialdemokraten in 14 Tagen unter Dach und Fach. Lässt sich die SPD von Merkel breitschlagen?

    Parteivize Ralf Stegner hält das für Träumerei. „Die Ausgangslage für die SPD hat sich nicht verändert. Wir haben kein Mandat für eine erneute große Koalition“, sagt Stegner der dpa. Er könne sich nicht vorstellen, dass seine Partei ihre Entscheidung überdenken könnte.

    Empfohlener externer Inhalt
    An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
    Externer Inhalt
    Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

    In der Tat hat jeder, der am 24. September im Willy-Brandt-Haus Zeuge war, noch den erlösenden Schrei der anwesenden Genossen in den Ohren, als Schulz die Loslösung von der Union verkündete.

    Viel Beifall für das Nein zur Großen Koalition

    Bei allen Regionalkonferenzen im Land, auf denen die Sozialdemokraten gerade den Absturz aufarbeiten, bekommen Schulz und die Mitglieder der Parteispitze von SPD-Mitgliedern viel Beifall für ihr Nein zur GroKo. Zu tief sitzt der Frust, in den vergangenen vier Jahren zwar bei Schwarz-Rot etliche eigene Projekte wie Mindestlohn, Rente mit 63, Tarifeinheit oder mehr Frauenrechte durchgesetzt zu haben, am Ende aber von Merkel und den Wählern plattgemacht worden zu sein.

    Aber knickt die SPD ein, falls die Union Merkel abserviert?

    Dieses Szenario hatte der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann nur fünf Tage nach der Bundestagswahl im Fernsehen ausgebreitet. Im Talkshow-Sessel von „Markus Lanz“ wurde der Niedersachse, der im neuen Bundestag mittlerweile einer der Vizepräsidenten ist, gefragt, ob die SPD im Fall eines Rückzugs von Merkel vielleicht doch zu einer großen Koalition bereit wäre. „Das wäre

    Auch interessant

    “, sagte er damals.

    Jamaika gescheitert – Bilder der Nacht

    Der Schock kam kurz vor Mitternacht: Die FDP hat am späten Sonntagabend die Jamaika-Sondierungen mit CDU, CSU und Grünen abgebrochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte den Schritt.
    Der Schock kam kurz vor Mitternacht: Die FDP hat am späten Sonntagabend die Jamaika-Sondierungen mit CDU, CSU und Grünen abgebrochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte den Schritt. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    In der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin trat sie mit Horst Seehofer (hinten l.) zu einem Statement vor das Mikrofon.
    In der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin trat sie mit Horst Seehofer (hinten l.) zu einem Statement vor das Mikrofon. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    „Ich glaube, ich kann für CDU und CSU sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben, um doch eine Lösung zu finden“, sagte Merkel. Sie selbst werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin alles tun, „dass das Land auch durch diese schweren Wochen gut geführt wird“.
    „Ich glaube, ich kann für CDU und CSU sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben, um doch eine Lösung zu finden“, sagte Merkel. Sie selbst werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin alles tun, „dass das Land auch durch diese schweren Wochen gut geführt wird“. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Ihre Parteikollegen, wie hier Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, stärkten Merkel bei ihrer Ansprache den Rücken.
    Ihre Parteikollegen, wie hier Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, stärkten Merkel bei ihrer Ansprache den Rücken. © dpa | Michael Kappeler
    Knapp sechs Stunden später als angekündigt war die Entscheidung über Wohl und Wehe einer Jamaika-Koalition gefallen. Bei ihrem Abgang machte Merkel gute Miene zum bösen Spiel.
    Knapp sechs Stunden später als angekündigt war die Entscheidung über Wohl und Wehe einer Jamaika-Koalition gefallen. Bei ihrem Abgang machte Merkel gute Miene zum bösen Spiel. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner zeigte sich zerknirscht. Den Abbruch der Sondierungsgespräche begründete er damit, dass es in den gut vier Wochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen.
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner zeigte sich zerknirscht. Den Abbruch der Sondierungsgespräche begründete er damit, dass es in den gut vier Wochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen. © dpa | Michael Kappeler
    „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte Lindner.
    „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte Lindner. © dpa | Michael Kappeler
    Statt gemeinsam mit Union und Grünen trat Lindner nach dem Jamaika-Aus allein mit seiner Mannschaft vor die Presse.
    Statt gemeinsam mit Union und Grünen trat Lindner nach dem Jamaika-Aus allein mit seiner Mannschaft vor die Presse. © dpa | Michael Kappeler
    Lindner nach dem Statement in seinem Auto. Union und Grüne kritisierten im Anschluss, der Abbruch durch die FDP sei schon länger geplant gewesen.
    Lindner nach dem Statement in seinem Auto. Union und Grüne kritisierten im Anschluss, der Abbruch durch die FDP sei schon länger geplant gewesen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    „Wir waren zu dieser Verständigung bis zur letzten Sekunde bereit“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Die FDP sei es nicht gewesen.
    „Wir waren zu dieser Verständigung bis zur letzten Sekunde bereit“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Die FDP sei es nicht gewesen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Grünen-Chefunterhändlerin Katrin Göring-Eckardt ergänzte, das Bündnis hätte zustande kommen können. Dies wäre auch ein Signal gewesen für ein Land, das so gespalten sei, sagte sie.
    Grünen-Chefunterhändlerin Katrin Göring-Eckardt ergänzte, das Bündnis hätte zustande kommen können. Dies wäre auch ein Signal gewesen für ein Land, das so gespalten sei, sagte sie. © dpa | Michael Kappeler
    1/11

    Sigmar Gabriel liebäugelt mit Großer Koalition

    Stegner hält die Ära Merkel für beendet: „Sie ist definitiv gescheitert.“ Aber auch ohne Merkel werde die SPD keine große Koalition eingehen. Oppermann breitete allerdings kurz nach der Wahl noch ein zweites Szenario aus. Sollte es einen „Staatsnotstand“ geben, müsse die SPD neu überlegen.

    Kein Geheimnis ist, dass Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel liebend gerne im Amt und in einer GroKo bleiben würde.

    Nun hat FDP-Chef Christian Lindner mit dem kühlen Schnitt bei Jamaika ohne Frage ein Berliner Beben ausgelöst – aber die staatliche Ordnung dürfte nach Lindners waghalsigem Manöver erst einmal nicht in Gefahr sein.

    Druck könnte auch von Bundespräsident Steinmeier kommen

    Die Kanzlerin regiert geschäftsführend, übrigens weiterhin mit den alten SPD-Ministern an ihrer Seite. Dennoch könnte Bundespräsident Steinmeier durchaus sanften Druck auf seine alten Parteifreunde ausüben, sich das mit der Groko noch mal durch den Kopf gehen zu lassen.

    Schulz selbst war bei einem kurzen Auftritt am Freitag in der Parteizentrale klar. „Das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl war eindeutig. Die große Koalition hat 14 Prozentpunkte der Wählerstimmen verloren, sie ist abgewählt worden.“ Merkel habe einen Anti-GroKo-Wahlkampf geführt. Bei einem Scheitern der „schwarzen Ampel“, wie es nun eingetreten ist, „müssen die Wähler ihr Urteil abgeben“, sagte Schulz.

    Neuwahlen würden SPD kalt erwischen

    Auch interessant

    Aber die muss die SPD genauso fürchten wie die zerstrittene Union mit der AfD im Nacken. Die Partei befindet sich acht Wochen nach der Wahl im Zustand der Lähmung. Schulz kämpft nach einer verkorksten und wehleidigen Kampagne sowie teils unglücklicher Personalentscheidungen um seine Autorität. Viele Papiere wurden geschrieben, aber der auf zwei Jahre angelegte Erneuerungsprozess hat gerade erst begonnen.

    Wenn Jamaika scheitert: So werden Neuwahlen ausgelöst

    weitere Videos

      Eine Neuwahl würde die SPD kalt erwischen. Das Verhältnis zur Linken ist ungeklärt, zu den Grünen abgekühlt. Und was wäre, wenn die SPD wieder auf nur 20 Prozent kommt - und dann plötzlich über eine Groko verhandelt?

      Wäre Martin Schulz erneut Kanzlerkandidat?

      In gut zwei Wochen findet der Parteitag in Berlin statt. Schulz konnte zuletzt auf seine Wiederwahl hoffen, weil Konkurrenten wie Olaf Scholz, Andrea Nahles und Manuela Schwesig abwarten. Nun könnten die Karten neu gemischt werden. Die SPD muss sich rasend schnell Gedanken machen, ob sie Schulz erneut als Kanzlerkandidat ins Rennen schicken würde.

      Für Linken-Frontfrau und Lafontaine-Gattin Sahra Wagenknecht ist das gar keine Frage. Neuwahlen würden nur dann die Chance auf neue Mehrheiten bringen, meldete sie sich noch in der Nacht zu Wort, wenn die SPD als großkoalitionäre Verliererin der letzten Wahl „sich personell und inhaltlich neu aufstellt“. (dpa)