Istanbul/Berlin. Seit Februar sitzt Deniz Yücel in türkischer Haft. In einem „taz“-Interview erhebt der Journalist nun schwere Vorwürfe gegen Ankara.

Nach neun Monaten Haft ohne Anklage in der Türkei hat der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel (44) der türkischen Justiz eine „Verschleppungstaktik“ vorgeworfen. Yücel forderte in der „taz am wochenende“ (Samstag): „Ich will einen fairen Prozess. Und den am besten gleich morgen.“

Der deutsch-türkische Journalist, der seit Februar in Einzelhaft sitzt, sagte weiter: „Isolationshaft ist Folter. Auch wenn ich eigentlich guter Dinge bin, kann ich nicht absehen, welche langfristigen Folgen das haben wird.“

Erdogan nennt Yücel Terrorist und Spion

Yücel wurde am 14. Februar in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen, am 27. Februar wurde gegen ihn U-Haft verhängt. Das Gericht begründete das mit dem Verdacht der Terrorpropaganda und der Volksverhetzung. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte Yücel außerdem öffentlich, ein Terrorist und Spion zu sein, ohne dafür Belege zu präsentieren. Eine Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft immer noch nicht vorgelegt.

Deutsche Diplomaten erhalten erstmals Zugang zu Journalist Yücel

weitere Videos

    Yücel forderte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg auf, zügig über seine Untersuchungshaft zu entscheiden. „Und danach werde ich gespannt sein, ob die türkische Regierung ein Urteil aus Straßburg zur Haftentlassung befolgen wird.“

    Gerichtshof prüft, ob Yücels Grundrechte verletzt sind

    Der EGMR hatte der türkischen Regierung kürzlich eine letzte Fristverlängerung zur Abgabe einer Stellungnahme im Fall Yücel eingeräumt. Die ursprünglich am 24. Oktober abgelaufene Frist wurde auf Ersuchen Ankaras bis zum 28. November verlängert.

    Diese Deutschen waren in türkischer Haft

    Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation.
    Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation. © dpa | Soeren Stache
    Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte.
    Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte. © REUTERS | HANDOUT
    #FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels.
    #FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance /
    Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.
    Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. © dpa | Lefteris Pitarakis
    Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt.
    Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. © Facebook/Mesale Tolu | Facebook/Mesale Tolu
    Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben.
    Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben. © dpa | Linda Say
    Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen.
    Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. © dpa | Emrah Gurel
    Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“
    Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ © REUTERS | OSMAN ORSAL
    Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden.
    Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. © dpa | Privat
    Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören.
    Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. © privat | privat
    1/10

    Der Gerichtshof entscheidet auf Antrag Yücels, ob dessen Grundrechte durch die seit Februar andauernde Inhaftierung verletzt sind. In diesem Fall wäre die Türkei als Europaratsmitglied nach Angaben von Yücels Anwälten verpflichtet, ihn aus der U-Haft zu entlassen.

    Schriftliches Interview über Yücels Anwälte

    Die Türkei zählt allerdings zu den Staaten mit den meisten Verurteilungen durch den EGMR und den schlechtesten Umsetzungsbilanzen. Gegen die Türkei sind bisher etwa 2800 Urteile ergangen. Gut die Hälfte davon war 2016 noch nicht umgesetzt.

    Merkel fordert Freilassung von Deniz Yücel

    weitere Videos

      Yücel bedankte sich in dem Interview für die Anteilnahme in Deutschland. „Obwohl noch immer keine Anklageschrift vorliegt, weiß ich ja, weshalb ich eingesperrt bin: Weil ich, so meine ich mir einbilden zu können, meinen Job als Journalist ordentlich gemacht habe. Und obwohl ich in Einzelhaft sitze, weiß ich, dank der vielen Menschen, die sich für mich und für meine inhaftierten Kollegen einsetzen, dass ich nicht alleine bin. Das hilft mir sehr.“ Die „taz am wochenende“ führte das Interview schriftlich über Yücels Anwälte.

      Fall Yücel belastet Beziehungen zwischen Ankara und Berlin

      Die Bundesregierung fordert die Freilassung Yücels und von mindestens acht weiteren deutschen Staatsbürgern, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind. Der Fall belastet die Beziehungen zwischen Ankara und Berlin seit Monaten schwer. Yücel hat neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft. Er sitzt im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul. (dpa)

      Bundesweite Demos für Deniz Yücel

      Demonstranten halten am Dienstag vor der Türkischen Botschaft in Berlin Schilder mit der Aufschrift
      Demonstranten halten am Dienstag vor der Türkischen Botschaft in Berlin Schilder mit der Aufschrift "#FreeDeniz" für die Freilassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel in die Höhe. Yücel war seit dem 13. Februar in türkischer Polizeigewahrsam. Am Montag verhängte ein Richter Untersuchungshaft für den „Welt“-Korrespondenten. © dpa | Gregor Fischer
      In Deutschland ist die Empörung über die Verhaftung des Yücels in der Türkei groß.
      In Deutschland ist die Empörung über die Verhaftung des Yücels in der Türkei groß. © dpa | Kay Nietfeld
      Mit einem Autokorso demonstrieren Berliner am Dienstag für seine  Freilassung.
      Mit einem Autokorso demonstrieren Berliner am Dienstag für seine Freilassung. © dpa | Kay Nietfeld
      Die gegen Yücel in der Türkei verhängte Untersuchungshaft hat bei Regierung, Parteien und Journalistenverbänden Unverständnis und Empörung ausgelöst. Auch der Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte am Montag vor der Türkischen Botschaft in Berlin Solidarität mit dem Journalisten.
      Die gegen Yücel in der Türkei verhängte Untersuchungshaft hat bei Regierung, Parteien und Journalistenverbänden Unverständnis und Empörung ausgelöst. Auch der Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte am Montag vor der Türkischen Botschaft in Berlin Solidarität mit dem Journalisten. © dpa | Gregor Fischer
      In zahlreichen Städten forderten Demonstranten mit Autokorsos eine Freilassung Yücels und anderer inhaftierter Journalisten. Auch Fahrrad- und Motorradfahrer nahmen an dem Protest teil.
      In zahlreichen Städten forderten Demonstranten mit Autokorsos eine Freilassung Yücels und anderer inhaftierter Journalisten. Auch Fahrrad- und Motorradfahrer nahmen an dem Protest teil. © dpa | Kay Nietfeld
      In Berlin beteiligten sich laut Polizei rund 300 Menschen mit etwa 100 Autos an der Aktion.
      In Berlin beteiligten sich laut Polizei rund 300 Menschen mit etwa 100 Autos an der Aktion. © dpa | Kay Nietfeld
      #FreeDeniz -Schilder waren auch an Bussen im niedersächsischen Hannover zu sehen.
      #FreeDeniz -Schilder waren auch an Bussen im niedersächsischen Hannover zu sehen. © dpa | Ole Spata
      "Pressefreiheit - überall auf der Welt!" © dpa | Ole Spata
      Plakate mit dem Porträtfoto des „Welt“-Korrespondenten wurden im Fenster des Cafés der Tageszeitung „taz“ aufgehängt.
      Plakate mit dem Porträtfoto des „Welt“-Korrespondenten wurden im Fenster des Cafés der Tageszeitung „taz“ aufgehängt. © dpa | Kay Nietfeld
      Auch in Hamburg gingen zahlreiche Menschen auf die Straße und demonstrierten für die Freilassung des Journalisten.
      Auch in Hamburg gingen zahlreiche Menschen auf die Straße und demonstrierten für die Freilassung des Journalisten. © dpa | Axel Heimken
      Ähnliche Aktionen gab es auch in der bayerischen Landeshauptstadt München: Hier wehte unter anderem ein Luftballon mit der Aufschrift
      Ähnliche Aktionen gab es auch in der bayerischen Landeshauptstadt München: Hier wehte unter anderem ein Luftballon mit der Aufschrift "Free Deniz" an der Scheibe eines Autos in einem Autokorso. © dpa | Matthias Balk
      In mehreren Tageszeitungen wurde am Dienstag für Yücels Freilassung plädiert.
      In mehreren Tageszeitungen wurde am Dienstag für Yücels Freilassung plädiert. © dpa | Michael Kappeler
      #FREEDENIZ stand in großen Lettern am Dach des Axel Springer-Hochhauses, dem Redaktionssitz der „Welt“.
      #FREEDENIZ stand in großen Lettern am Dach des Axel Springer-Hochhauses, dem Redaktionssitz der „Welt“. © dpa | Kay Nietfeld
      1/13