Athen/Istanbul. Seit Mittwoch stehen der Deutsche Peter Steudtner und zehn Mitstreiter in der Türkei vor Gericht. Sie weisen die Anklage zurück.

Der in der Türkei inhaftierte deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner hat vor Gericht alle Terrorvorwürfe zurückgewiesen und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft gefordert.

„Ich plädiere in allen Anklagepunkten auf nicht schuldig und bitte um meine sofortige und bedingungslose Freilassung“, sagte er am Mittwoch in seiner rund 40-minütigen Verteidigung vor dem Istanbuler Gericht. „Ich habe nie in meinem Leben irgendeine militante oder terroristische Organisation unterstützt“.

Steudtner machte gefassten Eindruck

Die von der Anklage präsentierten Beweise „haben in keiner Weise Verbindungen zu den Anklagepunkten oder den erwähnten Terrororganisationen“, sagte er. Steudtner verteidigte sich auf Englisch, eine Übersetzerin übertrug die Aussagen ins Türkische. Er machte einen gefassten Eindruck.

Steudtner und andere Aktivisten waren im Juli nach einer Razzia auf einer der Prinzeninseln bei Istanbul festgenommen worden. Die türkische Justiz wirft ihnen unter anderem die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Dafür drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft.

Steudtner wollte angeblich „soziales Chaos“ stiften

Dem Menschenrechtler Peter Steudtner drohen in der Türkei bis zu 15 Jahre Haft.
Dem Menschenrechtler Peter Steudtner drohen in der Türkei bis zu 15 Jahre Haft. © dpa | ---

Steudtner betonte weiter, seine Arbeit als Menschenrechtstrainer sei in den vergangenen 20 Jahren stets auf Menschenrechte, Gewaltfreiheit und Friedensbildung ausgerichtet gewesen. Sein Fokus habe zudem auf afrikanischen Ländern gelegen. Er habe in den vergangenen fünf Jahren in Mosambik, Angola, Kenia, Palästina, Nepal und Myanmar gearbeitet. „Ich habe mich nie auf türkische Organisationen konzentriert oder mit ihnen gearbeitet“, sagte er. Steudtner bedankte sich zudem beim Gericht, dass er die Möglichkeit dazu habe, sich zu verteidigen. Er betonte seine Bereitschaft zur Mitarbeit bei dem juristischen Prozess, wie er es bisher getan habe.

Festnahme bei einem Workshop

Steudtner, sein schwedischer Kollege Ali Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Workshop auf einer Insel bei Istanbul unter Terrorverdacht festgenommen worden. Die beiden Ausländer waren als Referenten zu dem Seminar eingeladen gewesen, bei dem es laut Amnesty International um digitale Sicherheit und die Bewältigung von Stresssituationen ging.

Am 18. Juli verhängte ein Gericht in Istanbul daraufhin Untersuchungshaft gegen Steudtner und Gharavi und mehrere andere Beschuldigte.

Sie werden beschuldigt, „soziales Chaos“ wie zu Zeiten der Proteste um den Gezi-Park in Istanbul 2013 anstiften zu wollen. Dafür stünden sie im Kontakt zu Terrororganisationen wie der islamistischen Gülen-Bewegung, der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der kommunistischen DHKP/C, so die Vorwürfe.

Amnesty nennt Anschuldigungen „falsch und diffamierend“

Die Anklage gegen Steudtner stützt sich auf zum Teil anonyme Zeugenaussagen. Er habe ein Training zu Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal und Wire gegeben, heißt es. Dabei sei auch über die App ByLock gesprochen worden, von der die türkische Regierung behauptet, sie werde von der Gülen-Bewegung für geheime Absprachen verwendet. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 geht die türkische Regierung mit massiven Repressionen gegen Kritiker vor.

Diese Deutschen waren in türkischer Haft

Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation. © dpa | Soeren Stache
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte.
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte. © REUTERS | HANDOUT
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels.
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance /
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. © dpa | Lefteris Pitarakis
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt.
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. © Facebook/Mesale Tolu | Facebook/Mesale Tolu
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben.
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben. © dpa | Linda Say
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen.
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. © dpa | Emrah Gurel
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ © REUTERS | OSMAN ORSAL
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden.
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. © dpa | Privat
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören.
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. © privat | privat
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Der Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Markus Beeko, bezeichnete die Vorwürfe der türkischen Staatsanwaltschaft als „falsch und diffamierend“. In den Anklageschriften werde eine reguläre Fortbildung für Menschenrechtler in ein konspiratives Geheimtreffen umgedeutet, friedliche Menschenrechtsarbeit werde als Unterstützung „terroristischer Organisationen“ bezeichnet, kritisierte Beeko.

Demonstration vor türkischer Botschaft in Berlin

In Berlin haben am Mittwochmorgen Aktivisten von Amnesty International vor der türkischen Botschaft in Berlin für die Freilassung der Inhaftierten demonstriert. Mehr als 30 Menschen bildeten in der Nähe der Botschaft mit überdimensionierten Buchstaben das Wort „Freiheit“.

Die Bundesregierung erklärte, sie hoffe auf ein rechtsstaatliches Verfahren. „Die Türkei verweist stets auf die Unabhängigkeit ihrer Justiz. Das respektieren wir“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Als Mitglied des Europarates sei die Türkei menschenrechtlichen Standards unterworfen. Für das Auswärtige Amt nimmt der deutsche Generalkonsul in der Türkei, Georg Birgelen, an dem Prozess teil.

Die Bundesregierung hat Freisprüche für die Angeklagten gefordert. Die amtierende Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Bärbel Kofler, sagte am Mittwoch im SWR, der relativ schnelle Prozessbeginn sei ein positives Zeichen.

Deutsche Journalistin Tolu bleibt in türkischer Haft

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    Entscheidend sei nun, „dass das Verfahren rechtsstaatlich, zügig und konkret ist und eben kein politisches Verfahren wird“. Da es aus Sicht der Bundesregierung keine haltbaren Vorwürfe einer juristischen Straftat Steudtners oder der Mitangeklagten gebe, könne am Ende eigentlich nur ein Freispruch stehen.

    Grünen-Politiker Mutlu: „Dann wird Berlin Tacheles reden“

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    Der Berliner Grünen-Politiker Özcan Mutlu sieht den Prozess als möglichen Wendepunkt für die deutsch-türkischen Beziehungen. Sollten die Angeklagten nicht freigesprochen werden, sei das eine „weitere Eskalationsstufe in den deutsch-türkischen Beziehungen“, sagte Mutlu am Mittwoch vor Prozessbeginn in Istanbul der Deutschen Presse-Agentur. „Und das wird nicht schön“, fügte er hinzu, zumal in Berlin jetzt eine neue Regierung gebildet werde, die eben nicht auf Wahlen oder ähnliches Rücksicht nehmen müsse. „Dann wird Berlin sicherlich Tacheles reden.“

    Schon jetzt seien die deutsch-türkischen Beziehungen am Boden. Deshalb sei es wichtig, dass alle etwas zur Normalisierung des Verhältnisses beitrügen, sagte Mutlu, der als Prozessbeobachter in Istanbul ist. „Und dieses Verfahren hier könnte ein ganz, ganz wichtiger Faktor dabei sein.“ Er hoffe aber weiter auf ein faires Verfahren. „Die Anklageschrift ist wie eine Ansammlung von Verschwörungstheorien“, so Mutlu. „In einem Rechtsstaat würde kein Richter das akzeptieren.“ (epd/dpa/rtr)