Berlin. Wolfgang Schäuble hat seine erste Rede als Präsident des Bundestags gehalten. Wir zeigen seine Ansprache im Wortlaut laut Manuskript.

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(CDU) ist der neue Bundestagspräsident. In seiner Antrittsrede dankte er seinem Vorgänger Norbert Lammert (CDU). Vor dem Hintergrund eines größeren Bundestages und dem Einzug der rechtspopulistischen AfD ins Parlament mahnt der ehemalige Finanzminister zu mehr Besonnenheit.

Das war die komplette Rede Schäubles laut Redemanuskript der Bundestagsverwaltung:

Zunächst habe ich zu danken. Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir mit der Wahl zum Bundestagspräsidenten entgegenbringen. Ich danke Hermann Otto Solms. Mit seiner langen parlamentarischen Erfahrung hat er die von mir übernommene Aufgabe, diesen 19. Deutschen Bundestag als dienstältester Abgeordneter zu eröffnen, mit großer Umsicht wahrgenommen.

Und er hat die Herausforderungen für dieses Parlament klar umrissen. Danken möchte ich auch den vielen ausgeschiedenen Kolleginnen und Kollegen, die auf ein teils jahrzehntelanges parlamentarisches Wirken zurück schauen. Stellvertretend für alle Ausgeschiedenen danke ich dem Dienstältesten unter ihnen, Heinz Riesenhuber; er hat gleich zwei Mal als Alterspräsident dieses Parlament eröffnet.

Ich danke aus dem Präsidium des 18. Deutschen Bundestages den Vize-Präsidenten Edelgard Bulmahn und Johannes Singhammer. Und ich danke Norbert Lammert.

Die Bundestagspräsidenten seit 1949

Am 7. September 1949 wird Erich Köhler (2.v.l., CDU) zum ersten Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Seit 1949 haben bislang zehn Männer und zwei Frauen das Amt bekleidet. Wir stellen sie vor.
Am 7. September 1949 wird Erich Köhler (2.v.l., CDU) zum ersten Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Seit 1949 haben bislang zehn Männer und zwei Frauen das Amt bekleidet. Wir stellen sie vor. © Bundesarchiv | Vollrath
Erich Köhler war von 1949 bis 1950 Bundestagspräsident.
Erich Köhler war von 1949 bis 1950 Bundestagspräsident. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Heinrich Poellot
Dr. Hermann Ehlers (CDU/CSU) war von 1949 bis 1953 Amtsinhaber.
Dr. Hermann Ehlers (CDU/CSU) war von 1949 bis 1953 Amtsinhaber. © Getty Images | Keystone
Prof. Dr. Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU/CSU) war von 1954 bis 1969 mit einer Amtszeit von 14 Jahren, 2 Monaten und 15 Tagen der am längsten amtierende Bundestagspräsident.
Prof. Dr. Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU/CSU) war von 1954 bis 1969 mit einer Amtszeit von 14 Jahren, 2 Monaten und 15 Tagen der am längsten amtierende Bundestagspräsident. © akg-images GmbH
Kai-Uwe von Hassel (CDU/CSU) hatte das Amt von 1969 bis 1972 inne.
Kai-Uwe von Hassel (CDU/CSU) hatte das Amt von 1969 bis 1972 inne. © imago | Sven Simon
Dr. h.c. Annemarie Renger (SPD) war von 1972 bis 1976 die erste weibliche und sozialdemokratische Bundestagspräsidentin.
Dr. h.c. Annemarie Renger (SPD) war von 1972 bis 1976 die erste weibliche und sozialdemokratische Bundestagspräsidentin. © imago | ZUMA/Keystone
Prof. Dr. Karl Carstens (r., CDU/CSU) läutete die Fraktionsglocke von 1976 bis 1979. Diese Aufnahme zeigt ihn neben dem damaligen Kanzlerkandidaten Helmut Kohl.
Prof. Dr. Karl Carstens (r., CDU/CSU) läutete die Fraktionsglocke von 1976 bis 1979. Diese Aufnahme zeigt ihn neben dem damaligen Kanzlerkandidaten Helmut Kohl. © imago/photothek | Thomas Imo
Dr. h.c. Richard Stücklen führte das Amt vier Jahre lang aus – von 1979 bis 1983.
Dr. h.c. Richard Stücklen führte das Amt vier Jahre lang aus – von 1979 bis 1983. © imago | sepp spiegl
Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU) wird 1983 zum Bundestagspräsidenten gewählt. 1984 tritt er im Zusammenhang mit der „Flick-Affäre“ zurück. Später wird er voll rehabilitiert.
Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU) wird 1983 zum Bundestagspräsidenten gewählt. 1984 tritt er im Zusammenhang mit der „Flick-Affäre“ zurück. Später wird er voll rehabilitiert. © imago | Sommer
Dr. Philipp Jenninger (CDU) wird 1984 zum Bundestagspräsidenten gewählt. Im November 1988 tritt er von seinem Amt zurück. Anlass ist seine kontroverse Rede zum 50. Jahrestag der Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung im November 1938, der so genannten „Reichskristallnacht“.
Dr. Philipp Jenninger (CDU) wird 1984 zum Bundestagspräsidenten gewählt. Im November 1988 tritt er von seinem Amt zurück. Anlass ist seine kontroverse Rede zum 50. Jahrestag der Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung im November 1938, der so genannten „Reichskristallnacht“. © imago | Dieter Bauer
Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU) wird 1988 zur Bundestagspräsidentin gewählt.
Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU) wird 1988 zur Bundestagspräsidentin gewählt. © imago | bonn-sequenz
Fast zehn Jahre lang bleibt sie als erste weibliche Abgeordnete der CDU in diesem Amt.
Fast zehn Jahre lang bleibt sie als erste weibliche Abgeordnete der CDU in diesem Amt. © imago | sepp spiegl
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD) bekleidete das Amt von 1998 bis 2005.
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD) bekleidete das Amt von 1998 bis 2005. © imago | bonn-sequenz
Prof Dr. Norbert Lammert wurde im Oktober 2005 Präsident des Deutschen Bundestages. Er bekleidete das Amt zwölf Jahre.
Prof Dr. Norbert Lammert wurde im Oktober 2005 Präsident des Deutschen Bundestages. Er bekleidete das Amt zwölf Jahre. © imago | Martin Hoffmann
Nachfolger war der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble. Der bisherige Bundesfinanzminister (75) wurde von den Abgeordneten mit 501 Ja- und 173 Nein-Stimmen bei 30 Enthaltungen an die Spitze des Parlaments gewählt.
Nachfolger war der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble. Der bisherige Bundesfinanzminister (75) wurde von den Abgeordneten mit 501 Ja- und 173 Nein-Stimmen bei 30 Enthaltungen an die Spitze des Parlaments gewählt. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Bärbel Bas ist seit dem 26. Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Die Duisburgerin (Jahrgang 1968) ist SPD-Mitglied und gehört dem Deutschen Bundestag seit 2009 an.
Bärbel Bas ist seit dem 26. Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Die Duisburgerin (Jahrgang 1968) ist SPD-Mitglied und gehört dem Deutschen Bundestag seit 2009 an. © dpa
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Er war 12 Jahre ein großartiger Bundestagspräsident mit seiner besonderen Begabung als Redner und mit seiner klaren Vorstellungen davon, was dieses Parlament leisten soll und was es leisten kann – wenn es das denn will. Ich freue mich auf die neue Aufgabe. Im Parlament schlägt das Herz unserer Demokratie. Und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diesem Haus dienen.

Ich bin Parlamentarier aus Leidenschaft. Meine Abgeordnetentätigkeit habe ich immer als hohe Verantwortung und das Mandat als meine demokratische Legitimation verstanden. Ich habe im Deutschen Bundestag beides erlebt: Abgeordneter zu sein in der Opposition wie in einer Regierungsfraktion. Zehn Jahre war ich zunächst in der Opposition. Als ich 1972 zum ersten Mal als Abgeordneter im Bundestag saß, wurde um die Ostverträge gestritten, mit leidenschaftlichen Debatten, damals in Bonn.

Die Stimmung war aufgeladen, und überhaupt prägte seinerzeit eine extrem spannungsvolle Atmosphäre das Land. Seit Mitte der 60er Jahre hatte die Gesellschaft der Bundesrepublik sich in einem bis dahin nicht gekannten Maße politisiert, mobilisiert und polarisiert. Geschadet hat es ihr nicht – genauso wenig wie die Erregung Anfang der 80er Jahre. Da war ich Abgeordneter in der großen Regierungsfraktion, als es etwa um den Nato-Doppelbeschluss ging. Sieben Jahre später fiel die Mauer.

Die Karriere von Wolfgang Schäuble

Er sitzt schon so lange im Bundestag wie kein anderer.  Seine große Zeit begann 1989 als Bundesinnenminister, hier 1989 bei einem CDU-Parteitag.
Er sitzt schon so lange im Bundestag wie kein anderer. Seine große Zeit begann 1989 als Bundesinnenminister, hier 1989 bei einem CDU-Parteitag. © dpa | Harry Melchert
1984 legte Wolfgang Schäuble vor dem Bundestag den Amtseid als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ab.
1984 legte Wolfgang Schäuble vor dem Bundestag den Amtseid als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ab. © imago | Sven Simon
Gemeinsam mit dem damaligen DDR-Innenminister Peter Michael Diestel (r.) unterzeichnete Wolfgang Schäuble (M.) am 1. Juli 1990 das „Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen
Gemeinsam mit dem damaligen DDR-Innenminister Peter Michael Diestel (r.) unterzeichnete Wolfgang Schäuble (M.) am 1. Juli 1990 das „Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen". Dieser Sonntag gilt als kaum weniger historisch als der Mauerfall selbst. © © epd-bild / Heidi Losansky | Losansky, Heidi
Ein enges Verhältnis verband Wolfgang Schäuble über lange Jahre mit Helmut Kohl. Später wurden beide erbitterte Gegner.
Ein enges Verhältnis verband Wolfgang Schäuble über lange Jahre mit Helmut Kohl. Später wurden beide erbitterte Gegner. © dpa | Franz-Peter Tschauner
Eigentlich wollte Kohl seinen Mitstreiter zu seinem Nachfolger als Kanzler machen – doch daraus wurde nichts. Kohl wollte nicht von der Macht lassen.
Eigentlich wollte Kohl seinen Mitstreiter zu seinem Nachfolger als Kanzler machen – doch daraus wurde nichts. Kohl wollte nicht von der Macht lassen. © REUTERS / Juergen Schwarz
Am 12. Oktober 1990 wurde der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis in Oppenau/Mittelbaden von dem 37jährigen Attentäter durch zwei Schüsse aus einem Revolver schwer verletzt. Schäuble kämpfte sich zurück ins politische Leben und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen.
Am 12. Oktober 1990 wurde der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis in Oppenau/Mittelbaden von dem 37jährigen Attentäter durch zwei Schüsse aus einem Revolver schwer verletzt. Schäuble kämpfte sich zurück ins politische Leben und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen. © dpa | Norbert Försterling
Auch das Verhältnis Schäubles zu Angela Merkel war nicht immer störungsfrei. Im Laufe der Jahre wurde Schäuble jedoch zu einem der engsten und wichtigsten Vertrauten der Bundeskanzlerin.
Auch das Verhältnis Schäubles zu Angela Merkel war nicht immer störungsfrei. Im Laufe der Jahre wurde Schäuble jedoch zu einem der engsten und wichtigsten Vertrauten der Bundeskanzlerin. © REUTERS | REUTERS / Fabrizio Bensch
Als Innenminister und später als Finanzminister war Schäuble über Jahre hinweg eine Stütze der Kanzlerin im Kabinett Merkels.
Als Innenminister und später als Finanzminister war Schäuble über Jahre hinweg eine Stütze der Kanzlerin im Kabinett Merkels. © Getty Images | Sean Gallup
Am 22. November 2005 leistete Wolfgang Schäuble vor Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Amtseid als Innenminister.
Am 22. November 2005 leistete Wolfgang Schäuble vor Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Amtseid als Innenminister. © imago | Fabian Matzerath
Schäuble pflegte als Minister meist einen unaufgeregten Ton, war in der Sache jedoch knallhart.
Schäuble pflegte als Minister meist einen unaufgeregten Ton, war in der Sache jedoch knallhart. © dpa | Christina Sabrowsky
Auf der Regierungsbank im Bundestag war Wolfgang Schäuble in verschiedenen Rollen viele Jahre präsent.
Auf der Regierungsbank im Bundestag war Wolfgang Schäuble in verschiedenen Rollen viele Jahre präsent. © Getty Images | Andreas Rentz
Seine politische Lebensleistung brachte Wolfgang Schäuble 2005 sogar den Bambi ein.
Seine politische Lebensleistung brachte Wolfgang Schäuble 2005 sogar den Bambi ein. © Getty Images | Andreas Rentz
Seine Urlaube verbringt Schäuble gern mit Ehefrau Ingeborg auf Sylt.
Seine Urlaube verbringt Schäuble gern mit Ehefrau Ingeborg auf Sylt. © dpa | Jens Kalaene
Zwei, die sich nicht so gut verstanden: Wolfgang Schäuble und der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis lieferten sich während der Griechenland-Euro-Krise so manche Verhandlungsschlacht.
Zwei, die sich nicht so gut verstanden: Wolfgang Schäuble und der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis lieferten sich während der Griechenland-Euro-Krise so manche Verhandlungsschlacht. © Getty Images | Carsten Koall
Mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, verbindet Wolfgang Schäuble eine verlässliche politische Partnerschaft.
Mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, verbindet Wolfgang Schäuble eine verlässliche politische Partnerschaft. © dpa | Christina Sabrowsky
Das Verhältnis Schäubles zur Presse war nicht immer einfach. Hier ein Schnappschuss von einem Hintergrundgespräch Schäubles mit Journalisten auf einem Flug nach Washington. Es war im Oktober 2017 seine letzte Reise als Finanzminister. Später fungierte er als Bundestagspräsident, seit 2021 auch als Alterspräsident.
Das Verhältnis Schäubles zur Presse war nicht immer einfach. Hier ein Schnappschuss von einem Hintergrundgespräch Schäubles mit Journalisten auf einem Flug nach Washington. Es war im Oktober 2017 seine letzte Reise als Finanzminister. Später fungierte er als Bundestagspräsident, seit 2021 auch als Alterspräsident. © imago | Thomas Koehler/photothek.net
Heute kann Wolfgang Schäuble auf 50 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag zurückblicken.
Heute kann Wolfgang Schäuble auf 50 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag zurückblicken. © Getty Images | Sean Gallup
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Veränderung war also immer, und vieles wird in der Rückschau anders bewertet als mitten im Streit. Auch deshalb – weil ich also aus eigenem Erleben weiß, dass Erregung und Krisengefühle so neu nicht sind – sehe ich mit Gelassenheit den Auseinandersetzungen entgegen, die wir in den kommenden Jahren führen werden und die wir im Parlament zu führen haben, stellvertretend für die Gesellschaft, aus der heraus wir gewählt sind, die wir nicht nur in ihrem Grundkonsens, sondern eben auch in ihrer Vielheit und Verschiedenheit repräsentieren.

Wir dürfen das Eine nicht gegen das Andere ausspielen. In einem demokratischen Gemeinweisen ist kein Thema es wert, über den Streit das Gemeinsame in Vergessenheit geraten zu lassen. 289 Abgeordnete ziehen heute erstmals ins Parlament ein – das sind gut 40 Prozent aller Mitglieder dieses Hauses. Selten unterschied sich ein Bundestag so sehr von seinem Vorgänger wie dieser.

Sieben Parteien und sechs Fraktionen: So viele gab es seit 60 Jahren nicht mehr. Diese neue Konstellation hier im Haus spiegelt die Veränderungen wider, die unsere Gesellschaft erlebt: Verunsicherungen wachsen angesichts des raschen Wandels durch Globalisierung und Digitalisierung. Zusammenhänge lösen sich, Zugehörigkeiten brechen auf – neue entstehen.

Alte Gewissheiten und Identitäten werden in Frage gestellt. Neue, vermeintliche Gewissheiten werden in Stellung gebracht gegen zunehmende Sorgen und Zweifel. Das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit in vertrauten Lebensräumen trifft auf eine als zunehmend ungemütlich empfundene Welt voller Konflikte, Krisen, Kriege und medial präsentem Schrecken. Vor diesem Hintergrund verschärft sich die Tonlage der gesellschaftlichen Debatten. All das können wir vielerorts in Europa beobachten.

Der Auftakt zum 19. Bundestag in Bildern

Am Dienstag ist der Bundestag in die 19. Legislaturperiode gestartet. Unter besonderer Beobachtung standen dabei die Abgeordneten der AfD. Am Vormittag versammelten sich die Abgeordneten zum ersten Mal im Plenarsaal des Reichstags in Berlin.
Am Dienstag ist der Bundestag in die 19. Legislaturperiode gestartet. Unter besonderer Beobachtung standen dabei die Abgeordneten der AfD. Am Vormittag versammelten sich die Abgeordneten zum ersten Mal im Plenarsaal des Reichstags in Berlin. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Selfie mit der Fraktionsvorsitzenden: Die Grünen-Abgeordneten Lisa Badum (li.) und Claudia Müller (re.) lächeln fürs Foto mit Katrin Göring-Eckardt.
Selfie mit der Fraktionsvorsitzenden: Die Grünen-Abgeordneten Lisa Badum (li.) und Claudia Müller (re.) lächeln fürs Foto mit Katrin Göring-Eckardt. © dpa | Ralf Hirschberger
Der gerade gewählte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) an seinem neuen Arbeitsplatz.
Der gerade gewählte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) an seinem neuen Arbeitsplatz. © dpa | Wolfgang Kumm
Kanzlerin Merkel gratuliert Wolfgang Schäuble zu seinem neuen Amt.
Kanzlerin Merkel gratuliert Wolfgang Schäuble zu seinem neuen Amt. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland (re.) verneigt sich bei seiner Gratulation vor Wolfgang Schäuble.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland (re.) verneigt sich bei seiner Gratulation vor Wolfgang Schäuble. © dpa | Ralf Hirschberger
Applaus für Wolfgang Schäuble: Der langjährige Finanzminister wurde gerade eben zum neuen Bundestagspräsidenten gewählt.
Applaus für Wolfgang Schäuble: Der langjährige Finanzminister wurde gerade eben zum neuen Bundestagspräsidenten gewählt. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die fraktionslose Abgeordnete Frauke Petry gibt ihre Stimme bei der Wahl des Bundestagspräsidenten ab.
Die fraktionslose Abgeordnete Frauke Petry gibt ihre Stimme bei der Wahl des Bundestagspräsidenten ab. © dpa | Ralf Hirschberger
An seiner Personalie hat sich die erste Kontroverse im neuen Bundestag entzündet: Die AfD will ihren Abgeordneten Albrecht Glaser zum Vize-Präsidenten des Bundestags wählen lassen. Der 75-Jährige fiel aber in den ersten drei Wahlgängen durch.
An seiner Personalie hat sich die erste Kontroverse im neuen Bundestag entzündet: Die AfD will ihren Abgeordneten Albrecht Glaser zum Vize-Präsidenten des Bundestags wählen lassen. Der 75-Jährige fiel aber in den ersten drei Wahlgängen durch. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel (v. li. n. r.) und Alexander Gauland sprechen nach dem dritten Wahlgang mit dem wegen seiner Äußerungen zum Islam umstrittenen Abgeordneten Albrecht Glaser.
Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel (v. li. n. r.) und Alexander Gauland sprechen nach dem dritten Wahlgang mit dem wegen seiner Äußerungen zum Islam umstrittenen Abgeordneten Albrecht Glaser. © dpa | Kay Nietfeld
Die FDP-Abgeordneten hatten derweil schon Wolfgang Kubicki gratuliert. Anders als Glaser verlief seiner Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten glatt.
Die FDP-Abgeordneten hatten derweil schon Wolfgang Kubicki gratuliert. Anders als Glaser verlief seiner Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten glatt. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Auch Claudia Roth (Grüne) wurde zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt. Amzskollege Kubicki (FDP) gratulierte mit einem Blumenstrauß.
Auch Claudia Roth (Grüne) wurde zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt. Amzskollege Kubicki (FDP) gratulierte mit einem Blumenstrauß. © dpa | Kay Nietfeld
Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht (li.) durfte ihrer Parteikollegin Petra Pau zu ihrer Wahl zur Bundestagsvizepräsidentin gratulieren.
Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht (li.) durfte ihrer Parteikollegin Petra Pau zu ihrer Wahl zur Bundestagsvizepräsidentin gratulieren. © dpa | Wolfgang Kumm
Aus der CSU wurde Hans-Peter Friedrich zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gratulierte mit einer Umarmung.
Aus der CSU wurde Hans-Peter Friedrich zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gratulierte mit einer Umarmung. © dpa | Ralf Hirschberger
Umarmungen gab es auch für Thomas Oppermann: Der Sozialdemokrat wurde nach der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten unter anderem von der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles geherzt.
Umarmungen gab es auch für Thomas Oppermann: Der Sozialdemokrat wurde nach der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten unter anderem von der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles geherzt. © dpa | Wolfgang Kumm
Zwischndurch suchte Jürgen Trittin einen Plausch mit der Bundeskanzlerin.
Zwischndurch suchte Jürgen Trittin einen Plausch mit der Bundeskanzlerin. © ddp images / Henning Schacht | Henning Schacht
Der FDP-Abgeordnete Hermann Otto Solms eröffnete die konstituierende Sitzung als Alterpräsident.
Der FDP-Abgeordnete Hermann Otto Solms eröffnete die konstituierende Sitzung als Alterpräsident. © dpa | Wolfgang Kumm
Angela Merkel, CDU-Vorsitzende und geschäftsführende Bundeskanzlerin.
Angela Merkel, CDU-Vorsitzende und geschäftsführende Bundeskanzlerin. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz.
Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Wolfgang Schäuble (CDU) vor seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten. Der scheidende Bundesfinanzminister wurde wenig später in das zweithöchste Amt im Staat nach dem Bundespräsidenten gewählt.
Wolfgang Schäuble (CDU) vor seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten. Der scheidende Bundesfinanzminister wurde wenig später in das zweithöchste Amt im Staat nach dem Bundespräsidenten gewählt. © dpa | Kay Nietfeld
Kanzerlin und ihr (Noch-)Vize: Angela Merkel (CDU) im Austausch mit Sigmar Gabriel (SPD).
Kanzerlin und ihr (Noch-)Vize: Angela Merkel (CDU) im Austausch mit Sigmar Gabriel (SPD). © dpa | Bernd von Jutrczenka
Der CDU-Abgeordnete und Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Der CDU-Abgeordnete und Bundesinnenminister Thomas de Maizière. © dpa | Bernd von Jutrczenka
AfD-Spitzenköpfe unter sich: Alexander Gauland and Beatrix von Storch.
AfD-Spitzenköpfe unter sich: Alexander Gauland and Beatrix von Storch. © Getty Images | Sean Gallup
FDP-Chef Christian Lindner (re.) und sein Parteikollege Wolfgang Kubicki (FDP).
FDP-Chef Christian Lindner (re.) und sein Parteikollege Wolfgang Kubicki (FDP). © dpa | Ralf Hirschberger
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Fraktionsvorsitzenden der Linken.
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Fraktionsvorsitzenden der Linken. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel (r.) posiert für ein Selfie mit der AfD-Abgeordneten Mariana Iris Harder-Kühnel.
Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel (r.) posiert für ein Selfie mit der AfD-Abgeordneten Mariana Iris Harder-Kühnel. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
FDP-Chef Christian Lindner (li.) und AfD-Fraktionschef Alexander Gauland geben sich die Hand.
FDP-Chef Christian Lindner (li.) und AfD-Fraktionschef Alexander Gauland geben sich die Hand. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry hatte kurz nach der Wahl angekündigt, die Fraktion und die Partei zu verlassen. Sie wird dem Bundestag als Fraktionslose angehören.
Die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry hatte kurz nach der Wahl angekündigt, die Fraktion und die Partei zu verlassen. Sie wird dem Bundestag als Fraktionslose angehören. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die CDU-Abgeordnete Michaela Noll begrüßt den SPD-Abgeordneten Karamba Diaby.
Die CDU-Abgeordnete Michaela Noll begrüßt den SPD-Abgeordneten Karamba Diaby. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Auf der Besuchertribüne (v. li. n. r.): der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), die Frau des scheidenden Bundesfinanzministers Schäuble, Ingeborg Schäuble, und der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD).
Auf der Besuchertribüne (v. li. n. r.): der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), die Frau des scheidenden Bundesfinanzministers Schäuble, Ingeborg Schäuble, und der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). © dpa | Kay Nietfeld
Vor dem Reichstag demonstrierten auch am Dienstag wieder Menschen gegen Hass und Rassismus im Parlament. Am Sonntag waren an gleicher Stelle mehr als 12.000 Menschen zu einem Protestzug gegen die AfD zusammengekommen.
Vor dem Reichstag demonstrierten auch am Dienstag wieder Menschen gegen Hass und Rassismus im Parlament. Am Sonntag waren an gleicher Stelle mehr als 12.000 Menschen zu einem Protestzug gegen die AfD zusammengekommen. © REUTERS | CHRISTIAN MANG
Die konstituierende Sitzung des Bundestags findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Die konstituierende Sitzung des Bundestags findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. © dpa | Paul Zinken
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Mit dem ungeheuer schnellen gesellschaftlichen Wandel, den wir erleben, geht eine Fragmentierung unserer Debatten und Aufmerksamkeiten einher, die die politische Ordnung, die demokratischen Institutionen und Verfahren vor große Herausforderungen stellt. Jedem scheint etwas anderes wichtig.

Jeder scheint gelegentlich nur noch seine eigenen Probleme wahrzunehmen. Es gibt nicht mehr das eine Thema. Das Überhandnehmen von Möglichkeiten und Optionen kann auch überfordern. Über dieses „Unbehagen im Kapitalismus“ hat Uwe Jean Heuser schon 2000 geschrieben. Wie alles ist auch Freiheit durch Übermaß gefährdet. Deswegen müssen wir immer wieder die richtige Balance auch im Umgang mit Freiheit lernen. Hinzu kommt der Wandel der Medien und ihrer Nutzung durch die Veränderungen in der Informationstechnologie.

Die Zersplitterung in viele Teil-Öffentlichkeiten führt dazu, dass uns eine erkennbar gemeinsame Sicht auf politische Prioritäten verlorengeht. Das Parlament hingegen kann ein Ort der Bündelung, der Fokussierung, der Konzentration auf die wichtigen Fragen unserer gesellschaftlichen Zukunft in Deutschland wie in Europa sein.

Wir Abgeordnete sind für die Mitbürger im Wahlkreis manchmal wie eine Art Ombudsmann. Mit unserer Arbeit und unseren Begegnungen vor Ort vermitteln wir diese Wirklichkeit auf die Ebene der Bundespolitik.Und unsere Vielzahl an Erfahrungen und Qualifikationen aus beruflicher, sozialer, ehrenamtlicher Tätigkeit bildet eine Menge Expertise. Vielleicht wissen und fühlen wir Abgeordnete durch unsere Verwurzelung bei den Menschen manchmal besser als alle Forschungsinstitute, was die Menschen bewegt.

Zugleich sind wir alle, wie Artikel 38 GG sagt, Abgeordnete des ganzen Volkes. Und dazu müssen wir die Vielzahl von Interessen, Meinungen, Befindlichkeiten mit den Begrenztheiten und der Endlichkeit der Realität zusammenbringen. Das zwingt zu Kompromissen und zu Entscheidungen durch Mehrheit. Je besser das gelingt, umso weniger fühlen sich Menschen in der demokratischen Wirklichkeit zurückgelassen.

Immanuel Kant, dem wir so viele Grundgedanken von Rechtsstaat und Republik verdanken, hat gesagt, ich drücke es halb mit meinen Worten aus: Handle stets so, dass das Prinzip Deiner Handlung immer auch das Prinzip der Handlungen aller Anderen sein könnte; dass es immer auch allgemeines Gesetz sein könnte. Also: Handle so, dass menschliches Miteinander nicht zusammenbräche, wenn Alle so handelten wie Du selbst.

Das gilt gerade auch für Parlamentsabgeordnete; das ist eine gute Maxime für das repräsentative System. Die Vertretung partikularer Interessen darf – wie alles – nicht exzessiv werden; andere Demokratien in der Welt sind da schon weit auf die abschüssige Bahn geraten. Was aber sehr wohl sein darf, und sein muss, ist, dass der parlamentarische Prozess hier im Haus sichtbar macht, wie schwierig sowohl die Durchsetzung als auch der Ausgleich von Interessen in einer liberalen Demokratie sind.

Da darf Streit nicht nur sein; das geht nur über Streit. Den müssen wir führen. Das müssen wir aushalten, ertragen. Demokratischer Streit ist notwendig. Aber es ist Streit nach Regeln. Und es ist mit der Bereitschaft verbunden, die demokratischen Verfahren zu achten und die dann damit zustande gekommenen Mehrheitsentscheidungen nicht als illegitim oder „verräterisch“ oder sonst wie zu denunzieren, sondern die Beschlüsse der Mehrheit zu akzeptieren.

Das ist parlamentarische Kultur. Da kommt es sehr auf den Stil an, in dem wir uns hier streiten – und in dem wir füreinander Respekt signalisieren. Es gab in den vergangenen Monaten in unserem Land Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung. Das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander. Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land will ein zivilisiertes Miteinander.

In aufgewühlten Zeiten wie diesen wächst das Bedürfnis nach Formen des Verhaltens, über die man lange nicht mehr geredet hat, weil man sie als selbstverständlich ansah. Über „Anstand“ wird wieder gesprochen und geschrieben, und über die Frage, wie wir in der Gesellschaft Miteinander umgehen sollen: Respekt füreinander haben.

Nicht jeden persönlichen Spielraum maximal ausnutzen. Ein offenes Ohr haben für die Argumente des Anderen. Ihn anerkennen mit seiner anderen Meinung. Es geht um Fairness. Hundertprozentige Gerechtigkeit gibt es nicht, aber Fairness ist möglich in dem Sinne, dass sich möglichst alle angesprochen fühlen und nicht ausgeschlossen bleiben. Die Art, wie wir hier miteinander reden, kann vorbildlich sein für die gesellschaftliche Debatte.

Prügeln sollten wir uns hier nicht, wie es auch in Europa in anderen Parlamenten bisweilen geschieht. Auch nicht verbal sollten wir es tun. Wir können hier vielmehr zeigen, dass man sich streiten kann, ohne dass es unanständig wird. Und dazu müssen wir zeigen, dass auch ein Bundestag mit sechs Fraktionen schafft, wozu er da ist: Entscheidungen herbeizuführen, die als legitim empfunden werden. Das Parlament besteht aus Abgeordneten, die nicht „abgehoben“ sind, wie so gern oberflächlich dahingesagt wird.

Wir sind aus der Mitte der Bürgerinnen und Bürger gewählt. Niemand aber, niemand vertritt alleine „das“ Volk. So etwas wie „Volkswille“ entsteht überhaupt erst in und mit unseren parlamentarischen Entscheidungen. Wir haben die Pflicht, diesen Ort wert zu halten, als Ort des nachvollziehbaren sachlichen, auch emotionalen Streits – ja, Gefühle gehören dazu.

Stellvertretend für die Mitbürgerinnen und Mitbürger die Dinge, die alle angehen, argumentativ gegeneinander oder miteinander auszumachen und dann mit Mehrheit zu entscheiden. Wir müssen das Vertrauen in das repräsentative Prinzip wieder stärken. Das ist auch keine nur nationale Frage. Die europäischen oder westlichen Werte, die Grundlage unserer verfassungsmäßigen Ordnung sind, wirken vielerorts fragil und erfreuen sich doch auch zugleich weltweit großer Attraktivität.

Der Schutz der Würde jedes Menschen, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit.Ohne Parlamentarismus geht das nicht. Nach ernsthaften Streit der Meinungen stellvertretend für alle Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen zu treffen: Die befriedende Wirkung, die das hat, wenn es gelingt, die brauchen wir überall in der Welt, wo immer mehr Menschen über die wirtschaftliche Teilhabe hinaus auch den Anspruch auf politische Mitsprache erheben.

In Zeiten zunehmender Globalisierung heißt das auch, die Kompliziertheit unserer Welt auszuhalten. Und zugleich haben wir die Chance, der Welt, die sich uns nähert, zu zeigen, dass der Parlamentarismus etwas taugt, dass er funktioniert, dass er zu Lösungen für die Probleme und Herausforderungen fähig ist.

Norbert Lammert hat immer sehr elegant die Tage, an denen er sprach, danach befragt, was an ihnen in vergangenen Jahren und Jahrhunderten geschah – und an was uns das erinnern sollte. Ich werde das heute noch einmal tun im Sinne einer kleinen Hommage. Also, um es chronologisch rückwärts zu machen: der 24. Oktober ist der Tag der Vereinten Nationen – 1945 trat an dem Tag die Charta der Vereinten Nationen in Kraft; am 24. Oktober 1929 wiederum endete am „Schwarzen Donnerstag“ die jahrelange Hausse der New Yorker Börse und begann die Weltwirtschaftskrise mit all ihren Folgen; und am 24. Oktober 1648 wurde der Westfälische Friede zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges unterzeichnet – ein Krieg, an dessen Beginn wir uns kommendes Jahr erinnern und dem Herfried Münkler gerade ein Opus Magnum gewidmet hat, in dem er zeigt, dass dieser bis heute längste Krieg auf deutschem Boden, zugleich der erste im vollen Sinne europäische Krieg, uns besser als alle späteren Konflikte die Kriege unserer Gegenwart verstehen lässt.

All das erinnert uns an den Charakter der Aufgaben, die vor uns liegen – und daran, dass wir die Entscheidungen, die wir hier treffen, in weltpolitische Zusammenhänge einzubetten haben. Europa, die Globalisierung, das ist heute der Rahmen für das, was wir hier debattieren und entscheiden.

Das hat nichts mit einem Aufgeben nationaler Selbstbestimmung zu tun, und schon gar nichts mit einem Aufgeben des Anspruchs, dass dies hier der Ort ist, an dem immer neu die Souveränität des deutschen Volkes greifbar und wirklich wird. Sondern das beschreibt die Aufgabe, der wir gerecht werden müssen: den Weg einer selbstbewussten Einordnung in immer weitere Zusammenhänge zu finden, mit dem Ziel, dazu beizutragen, in dieser Welt unsere Zukunft zu gestalten.

Dass wir uns in solcher Öffnung und Einordnung noch selbst erkennen; dass wir bleiben, was wir doch fühlen, das wir sind – im Guten, wie zum Beispiel unserer parlamentarischen Ordnung, wie im Schlechten, das wir als nationale Schicksalsgemeinschaft nicht werden abstreifen können und aus dem wir immer wieder neues Gutes zu entwickeln uns bemühen; dass wir das alles bleiben, ohne uns abzuschotten und uns bequem rauszuhalten – darum geht es. In der Präambel unseres Grundgesetzes, die wir 1990 im wiedervereinten Deutschland fortgeschrieben haben, heißt es:

„Von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Das hier ist der Ort, an dem wir diesem Willen Gestalt geben. Dafür hat uns eine heute wieder gewachsene Zahl von Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Der Trend zur höheren Wahlbeteiligung bei den letzten Landtagswahlen hat sich im Bund fortgesetzt.

Ich denke, das zeigt auch, dass Erwartungen gestiegen sind – und wenn wir sie einigermaßen erfüllen, werden wir unserem Land einen großen Dienst erweisen. Steigende Erwartungen sind also eine Chance – auch wenn es zur Wahrheit gehört, dass in dieser Welt immer neuer Akteure und immer dichterer Verflechtungen die Realität komplizierter wird und unsere Handlungsspielräume nicht eben wachsen. Zwischen Beidem müssen wir als Parlament unseren Weg finden. Ich freue mich auf unsere Arbeit hier in den kommenden vier Jahren!