Tunis. Vor allem junge Männer wollen ihrer nordafrikanischen Heimat entfliehen. Im September gelang 1400 Menschen die gefährliche Überfahrt.

Die Bewohner auf Sizilien nennen sie „Geisterboote“. Fast jeden Morgen finden sich an den Stränden neue Kähne, deren Insassen bei Nacht heimlich an Land geschlichen sind. Die allermeisten sind Tunesier. Nur ein Bruchteil von ihnen lässt sich offiziell registrieren, weil sie in Europa keine Chancen auf Asyl haben. Die meisten dagegen tauchen sofort unter und versuchen sich als Illegale durchzuschlagen.

Unter diesen Verschwundenen aber könnten, so befürchten die italienischen Behörden, auch tunesische IS-Rückkehrer sein sowie Straftäter und abgelehnte Asylbewerber, die zuvor unter großem bürokratischen Aufwand aus Europa abgeschoben worden waren.

In Libyen dagegen gehen in letzter Zeit deutlich weniger Migranten auf die Boote, weil Milizen in Sabratha, die der Zentralregierung in Tripolis gehorchen, gegen die Schmugglerbanden vorgehen. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl der Überfahrten nach Italien um 25 Prozent zurück, bilanzierte diese Woche die Internationale Organisation für Migration (IOM). Kamen bis Mitte Oktober 2016 noch 144.400 Migranten, waren es im gleichen Zeitraum 2017 nur noch etwa 107.000.

Große Zahl entzieht sich der Polizei

Dafür steigen nun die Überfahrten an anderen Stellen des Mittelmeers – vor allem von Tunesien und von Marokko aus. Die Zahl der Neuankömmlinge in Spanien verdoppelte sich in den vergangenen neun Monaten im Vergleich zum Vorjahr von 5400 auf 12.300. Parallel dazu stiegen im September die Überfahrten von Tunesien nach Sizilien und Lampedusa sprunghaft an.

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    Nach Angaben des IOM-Sprechers in Rom, Flavio Di Giacomo, kamen von Januar bis August 2017 rund 1350 Tunesier nach Italien. Im September ließen sich mit einem Schlag 1400 Tunesier registrieren. Einer beträchtlich höheren Zahl gelang es, sich der Polizei zu entziehen. Das sei ein neuer Trend, der nichts mit der „blockierten“ Lage in Libyen zu tun habe, erklärte Di Giacomo. Denn in den Tunesien-Kuttern sitzen keine Westafrikaner, sondern Einheimische.

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