Berlin. Nach Einigung der Union in der Einwanderungspolitik sollen Gespräche mit FDP und Grünen beginnen. Die Zeichen stehen nicht schlecht.

Von Liebe wollen sie nicht sprechen, eher von einem „geschwisterlichen Verhältnis“: Die CDU-Vorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, und CSU-Chef Horst Seehofer erläutern am Montag die

Auch interessant

Den ganzen Sonntag lang hatten die beiden Vorsitzenden mit Unterhändlern über die in der Union seit 2015

Auch interessant

für Flüchtlinge verhandelt. Die Zeit drängte, eine Einigung war die Voraussetzung für Sondierungen mit der FDP und den Grünen für ein Jamaika-Bündnis. Am 18. Oktober will die Union nun zunächst mit Liberalen und Grünen getrennt sprechen, zwei Tage später ist ein gemeinsames Treffen geplant.

Merkel nennt die Einigung mit der CSU einen „klassischen Kompromiss“. Sie seien aufeinander zugegangen, „wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht“. Der bayerische Ministerpräsident Seehofer steht neben ihr, hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt und spricht von einem „schlüssigen Regelwerk“ für die Flüchtlingspolitik der kommenden Jahre. Was besagt der Kompromiss im Einzelnen? Ein Überblick:

Gibt es nun die von Seehofer geforderte Obergrenze, oder nicht?

Nein, das Wort „Obergrenze“, das monatelang von der CSU gefordert wurde, taucht in dem Papier nicht mehr auf. Die Parteien einigten sich vielmehr auf eine Formulierung, nach der die Nettozuwanderung aus humanitären Gründen im Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen betragen soll. Diese Gesamtsumme soll aus ankommenden und ausreisenden Personen berechnet werden und beinhaltet auch den Familiennachzug von Flüchtlingen. Aber, und das hebt Merkel am Montag deutlich hervor, die Einigung bekennt sich ganz klar zum Recht auf Asyl im Grundgesetz.

Das bedeutet, auch der 200.001. Flüchtling würde an der Grenze nicht zurückgewiesen. Hier hat sich Merkel durchgesetzt, Seehofer kann aber darauf verweisen, dass die Zahl 200.000 in das Papier Eingang gefunden hat. Beide Parteichefs betonen, dass Regierung und Parlament die Regelung ändern könnten, wenn sich die nationale oder internationale Lage ändere, etwa durch steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland oder durch einen Krieg. Dann könne die Zielgröße „nach unten oder oben“ korrigiert werden. Es ist die Hintertür, die sich beide lassen. Und es bedeutet vor allem eins: Der Streit um eine Obergrenze ist nicht auf alle Zeit gelöst, sondern kann schnell wieder aufflammen.

Ob die Zahl 200.000 in den Gesprächen mit den kleineren Parteien Bestand hat,

Auch interessant

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte, die Unionseinigung zur Obergrenze werde „eine kurze Halbwertszeit haben“. Grünen-Parteichef Cem Özdemir sieht es ähnlich: „Das ist ein Formelkompromiss, der maximal zwischen CDU und CSU trägt. In einen möglichen Koalitionsvertrag wird er so jedenfalls nicht kommen“, sagte Özdemir dieser Redaktion.

Cem Özdemir: Eine Obergrenze kann es nicht geben

weitere Videos


    Was sind „Entscheidungs- und Rückführungszentren“?

    Diese Zentren sind ein Punkt, der der CSU sehr wichtig ist. In den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg gibt es solche oder ähnliche Zentren bereits. Ankommende Asylbewerber sollen dort bleiben, bis ihre Anträge vor Ort geprüft wurden. Im Falle einer Ablehnung sollen die Menschen von dort aus wieder „zurückgeführt“ werden.

    So soll das Asylverfahren geordneter und zentraler ablaufen, auch soll verhindert werden, dass Menschen in den Kommunen untertauchen. Nicht nur in der CDU, auch in der FDP gibt es für diese Idee Sympathien – und vorsichtige Zustimmung sogar bei den Grünen: Mit Blick auf das Heidelberger Modell sagte Parteichef Özdemir: „Den Weg würden wir zur Nachahmung empfehlen.“

    Werden Marokko, Algerien und Tunesien sichere Herkunftsstaaten?

    Das ist offen: CDU und CSU bestehen darauf, die drei nordafrikanischen Länder in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufzunehmen. Ziel ist es, Asylanträge von Menschen aus diesen drei Ländern schneller zu bearbeiten und leichter abzulehnen. Die Anerkennungsquote liegt hier derzeit bei weniger als drei Prozent.

    Auch interessant

    Während die Liberalen die drei Länder ebenfalls umgehend zu sicheren Herkunftsländern erklären wollen, müssten die Grünen hier eine dicke Kröte schlucken – und kämen im Bundesrat in Konflikt mit ihren eigenen Parteifreunden. Grünen-Chef Özdemir nannte eine Ausweitung der Staatenliste „Symbolpolitik“. Wichtiger seien Rücknahmeabkommen mit diesen Ländern.

    Bekommt Deutschland ein Einwanderungsgesetz?

    Das ist gut möglich. CDU und CSU wollen ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte einführen. „Kein Arbeitsplatz soll unbesetzt bleiben, weil es an Fachkräften fehlt“, heißt es im Unionspapier. Das lässt aufhorchen, denn: Aktive Einwanderungspolitik gehörte bislang nicht zu den Kernanliegen der Union – einen Vorschlag der SPD zu einem Einwanderungsgesetz ließen die Schwesterparteien noch im Herbst des vergangenen Jahres ins Leere laufen.

    In ihrem gemeinsamen Wahlprogramm sprachen CDU und CSU dann von einem „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ – ein Plan, den sie am Sonntag bekräftigten: Das Gesetz soll die bereits bestehenden Regelungen zusammenfassen, und, wo nötig, einfacher gestalten. Voraussetzung für eine Einwanderungserlaubnis sollen demnach der Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes und die Sicherung des Lebensunterhalts sein. Die Hoffnung dahinter: Mit einer klug gesteuerten Einwanderungspolitik für Fachkräfte könne man auch die illegale Zuwanderung eindämmen.

    Union ist bereit zu Jamaika-Verhandlungen

    weitere Videos

      Weil sich FDP und Grüne seit langem für ein Einwanderungsgesetz stark machen, wird die Einigung der Jamaika-Parteien in diesem Punkt voraussichtlich nicht so schwer sein. Und genau das dürfte Merkel und Seehofer dazu gebracht haben, diesen unionsintern gar nicht mehr strittigen Punkt ausdrücklich in ihr Ergebnispapier aufzunehmen: Sie setzen damit ein Wohlfühlsignal für die kommenden Verhandlungen.

      Streit im Detail wird es dennoch geben – etwa bei der Frage, welche Voraussetzungen für künftige Zuwanderer gelten sollen. Die FDP etwa hält es für falsch, dass qualifizierte Zuwanderer bereits ein konkretes Jobangebot nachweisen müssen. Die Liberalen wollen lieber ein Punktesystem einführen, das sich unter anderem am Bedarf am Arbeitsmarkt orientiert: Die serbische Altenpflegerin mit guten Deutschkenntnissen, die noch keinen Vertrag in der Tasche hat, könnte demnach genauso leicht einwandern, wie eine russische Ärztin, die bereits eine Stelle im Kreiskrankenhaus sicher hat.

      FDP und Grüne wollen zudem einen Spurwechsel zwischen Asyl- und Einwanderungsrecht ermöglichen: Wer gut integriert ist, soll aus dem Asylverfahren ins reguläre Einwanderungsverfahren wechseln dürfen. Unklar ist jedoch, ob die Union hier mitziehen würde. Aber, wie sagt Seehofer: „Ich bin ja auch gelegentlich jemand, der gerne mal in der Öffentlichkeit so etwas wie eine rote Linie definiert. Jetzt ist aber die Zeit, ergebnisoffen zu reden.“

      Was sagen SPD, Linke und AfD zur Einigung der Unionsparteien?

      Linke-Innenexpertin Ulla Jelpke sprach von einer „menschenrechtlichen Bankrotterklärung“. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte, die Einigung der Union sei „Augenwischerei, da trotzdem niemand an der Grenze zurückgeschickt werden soll“. Einen „Formelkompromiss“ nannte SPD-Parteivize Manuela Schwesig die Einigung der Unionsparteien zur Zuwanderung.

      „So wenig Union gab es zwischen CDU und CSU noch nie“, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern dieser Redaktion. Schwesig nannte es zudem „verantwortungslos, dass es nach der Bundestagswahl fast vier Wochen dauert, bis es erste Gespräche zur Bildung der neuen Bundesregierung geben wird“.