Barcelona. Die EU-Kommission fordert nach dem Katalonien-Referendum Mäßigung von allen Seiten. Rund 900 Menschen waren am Sonntag verletzt worden.

  • Auch im Ausland gilt das Referendum der Regionalregierung als illegal
  • Die EU und die Bundesregierung rufen aber dennoch zu einem Dialog auf
  • Die Regionalregierung wertet die Abstimmung als Erfolg

Die EU-Kommission ruft im Streit über das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zur Mäßigung auf. Gewalt könne nie ein Element der Politik sein, sagte ein Kommissionssprecher am Montag in Brüssel. Nun müssten beide Seiten in einen Dialog treten.

Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker werde noch am Montag mit dem spanischen Ministerpräsident Mariano Rajoy sprechen. Darüber hinaus sei das Referendum ein innenpolitisches Thema in Spanien und laut der Verfassung des Landes illegal. Bundeaußenminister Sigmar Gabriel (

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) teilte über Twitter mit: „Ich rufe daher dringend zu Gesprächen auf – Gespräche zwischen beiden Seiten, um zu einer politisch tragfähigen Lösung zu kommen“.

90 Prozent der Wähler stimmten mit Ja

Nach einem von Polizeigewalt überschatteten und umstrittenen Referendum über die Abspaltung von Spanien ist in Katalonien die Ausrufung eines unabhängigen Staates deutlich näher gerückt. Für die Unabhängigkeit hätten sich gut 90 Prozent der Wähler ausgesprochen, teilte der Sprecher der separatistischen Regionalregierung, Jordi Turull, in der Nacht zum Montag mit.

An der Befragung hätten gut 2,26 Millionen der insgesamt 5,3 Millionen Wahlberechtigten teilgenommen, sagte er.

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Rajoy nennt Abstimmung Inszenierung

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sprach dem vom Verfassungsgericht in Madrid untersagten Referendum am Sonntagabend jede Gültigkeit ab. Er nannte die Abstimmung eine Inszenierung. „Es hat in Katalonien kein Referendum gegeben“, so der konservative Politiker.

Wie diese Frau haben 90 Prozent der Katalanen, die sich an dem Referendum beteiligt haben, für die Unabhängigkeit gestimmt.
Wie diese Frau haben 90 Prozent der Katalanen, die sich an dem Referendum beteiligt haben, für die Unabhängigkeit gestimmt. © dpa | Matthias Oesterle

Nach dem vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedeten „Abspaltungsgesetz“ könnte die Regionalregierung derweil schon innerhalb der nächsten 48 Stunden die Unabhängigkeit ausrufen. Vor Bekanntgabe der offiziellen Resultate hatte der regionale Regierungschef Puigdemont erklärt, er werde die Ergebnisse des Referendums dem katalanischen Parlament zuleiten.

Katalanen stimmen über Unabhängigkeit ab

In Katalonien haben viele Menschen am Sonntag über die Unabhängigkeit von Spanien abgestimmt.
In Katalonien haben viele Menschen am Sonntag über die Unabhängigkeit von Spanien abgestimmt. © REUTERS | YVES HERMAN
Es war ein emotionaler Moment für die Katalanen. Die Befürworter des Referendums haben mit der Beteiligung Zehntausender gerechnet.
Es war ein emotionaler Moment für die Katalanen. Die Befürworter des Referendums haben mit der Beteiligung Zehntausender gerechnet. © REUTERS | YVES HERMAN
Eine ältere Frau jubelt, nachdem sie ihre Stimme beim Referendum abgegeben hat.
Eine ältere Frau jubelt, nachdem sie ihre Stimme beim Referendum abgegeben hat. © dpa | Bob Edme
Schon am Sonntagmorgen strömten Tausende zu den Wahllokalen. An einigen Orten blockierten Wähler die Türen, um zu verhindern, dass sie von der Polizei abgeriegelt werden. Denn das Referendum wurde vom Verfassungsgericht für illegal erklärt.
Schon am Sonntagmorgen strömten Tausende zu den Wahllokalen. An einigen Orten blockierten Wähler die Türen, um zu verhindern, dass sie von der Polizei abgeriegelt werden. Denn das Referendum wurde vom Verfassungsgericht für illegal erklärt. © Getty Images | Chris McGrath
Die katalonische Regierung erklärte, Wähler könnten zu jedem offenen Wahllokal gehen, wenn das eigentlich vorgesehene abgeriegelt sei. Auch Stimmzettel, die zu Hause ausgedruckt wurden, wurden akzeptiert.
Die katalonische Regierung erklärte, Wähler könnten zu jedem offenen Wahllokal gehen, wenn das eigentlich vorgesehene abgeriegelt sei. Auch Stimmzettel, die zu Hause ausgedruckt wurden, wurden akzeptiert. © REUTERS | YVES HERMAN
Hunderte von Menschen bildeten in Barcelona eine Menschenkette, um auf die Wahlurnen für das Referendum zu warten.
Hunderte von Menschen bildeten in Barcelona eine Menschenkette, um auf die Wahlurnen für das Referendum zu warten. © dpa | Nicolas Carvalho Ochoa
Die Organisatoren der Abstimmung schmuggelten die Urnen in schwarzen Plastiksäcken zu den Wahllokalen.
Die Organisatoren der Abstimmung schmuggelten die Urnen in schwarzen Plastiksäcken zu den Wahllokalen. © REUTERS | YVES HERMAN
Auch diese Wahlhelfer trugen eine Wahlurne in einem Plastiksack zum Wahllokal.
Auch diese Wahlhelfer trugen eine Wahlurne in einem Plastiksack zum Wahllokal. © Getty Images | Chris McGrath
Zuvor hatte die spanische Zentralregierung Tausende Polizisten in die Region geschickt, die Stimmzettel beschlagnahmten und Wahllokale absperrten.
Zuvor hatte die spanische Zentralregierung Tausende Polizisten in die Region geschickt, die Stimmzettel beschlagnahmten und Wahllokale absperrten. © Getty Images | Chris McGrath
Einheiten der Guardia Civil, der spanischen Nationalpolizei, versuchten, Menschen daran zu hindern, ins Wahllokal zu gehen.
Einheiten der Guardia Civil, der spanischen Nationalpolizei, versuchten, Menschen daran zu hindern, ins Wahllokal zu gehen. © dpa | Emilio Morenatti
Die Lage war extrem angespannt.
Die Lage war extrem angespannt. © dpa | Emilio Morenatti
In den Wahllokalen gaben die Menschen ihre Stimmen ab – teilweise mit emotionalen Gesten.
In den Wahllokalen gaben die Menschen ihre Stimmen ab – teilweise mit emotionalen Gesten. © REUTERS | YVES HERMAN
Vor den Wahllokalen positionierten sich die Sicherheitskräfte.
Vor den Wahllokalen positionierten sich die Sicherheitskräfte. © dpa | Emilio Morenatti
Sogar Gummigeschosse wurden abgefeuert.
Sogar Gummigeschosse wurden abgefeuert. © dpa | Emilio Morenatti
Demonstranten wurden von der Straße entfernt.
Demonstranten wurden von der Straße entfernt. © REUTERS | SUSANA VERA
Szenen von Polizeigewalt überschatteten das Referendum.
Szenen von Polizeigewalt überschatteten das Referendum. © dpa | Francisco Seco
Hunderte Menschen seien verletzt worden, berichtete das katalonische Gesundheitsministerium.
Hunderte Menschen seien verletzt worden, berichtete das katalonische Gesundheitsministerium. © dpa | Emilio Morenatti
Auch der spanische Fußball bekam die Auswirkungen des Referendums zu spüren: Die Spieler des FC Barcelona trugen beim Aufwärmen und für das Mannschaftfoto Trikots in den Farben der katalanischen Flagge.
Auch der spanische Fußball bekam die Auswirkungen des Referendums zu spüren: Die Spieler des FC Barcelona trugen beim Aufwärmen und für das Mannschaftfoto Trikots in den Farben der katalanischen Flagge. © Getty Images | Alex Caparros
Das Liga-Spiel FC Barcelona gegen UD Las Palmas wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen.
Das Liga-Spiel FC Barcelona gegen UD Las Palmas wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen. © REUTERS | ALBERT GEA
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„Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben“, sagte er. Auf dem Platz Placa de Catalunya im Zentrum Barcelonas brachen Zehntausende von Menschen bei diesen Worten in Jubel aus. Sie sangen auch die katalanische Hymne „Els Segadors“.

Für den Montagvormittag hat Puigdemont eine Sondersitzung der Regierung einberufen. Das Treffen solle um 10.30 Uhr hinter verschlossenen Türen stattfinden, berichteten spanische Medien.

Grundgesetz sieht keine solchen Referenden vor

Das Verfassungsgericht hatte die Abstimmung für illegal erklärt, da das spanische Grundgesetz keine solche Unabhängigkeits-Referenden vorsieht. Barcelona setzte sich jedoch über das Urteil hinweg und rief die Bürger auch gegen den Willen der Zentralregierung zum Votum auf. Madrid entsandte daraufhin tausende Polizisten, um die Menschen am Abstimmen zu hindern. Rund 900 Bürger wurden verletzt, nachdem Polizisten Schlagstöcke und Gummigeschosse eingesetzt hatten. Auch 33 Beamte trugen Verletzungen davon.

Polizisten und Unabhängigkeitsbefürworter sind vielerorts aneinander geraten.
Polizisten und Unabhängigkeitsbefürworter sind vielerorts aneinander geraten. © dpa | Manu Fernandez

Die Frage auf den Stimmzetteln lautete: „Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?“ Da die Gegner einer Abspaltung überwiegend nicht zur Wahl gehen wollten, war eine klare Mehrheit für die Loslösung erwartet worden. Bei einer Abspaltung der von ausländischen Touristen meistbesuchten Region des Landes würde das EU-Land auf einen Schlag knapp 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verlieren.

Katalonien: Befürworter der Unabhängigkeit siegen

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    Politiker äußern Sorge und Unverständnis

    Viele Medienbeobachter und Politiker machen unterdessen sowohl Rajoy als auch Puigdemont für die explosive Lage verantwortlich. Beide hätten auf Konfrontation statt auf Dialog gesetzt, hieß es häufig. Die stärkste Oppositionskraft in Madrid, die sozialistische Partei (PSOE), sprach von „Schande und Traurigkeit“. PSOE-Chef Pedro Sánchez rief in erster Linie Rajoy zu Verhandlungen auf. „Er muss verhandeln, verhandeln und nochmal verhandeln und ein Abkommen (mit Katalonien) erzielen. Das ist seine Verantwortung.“

    Nach der Chaos-Abstimmung äußerten viele Politiker auch im Ausland Sorge und Unverständnis. „Ich will mich nicht in innenpolitische Angelegenheiten in Spanien einmischen, aber ich verurteile scharf, was heute in Katalonien passiert ist“, schrieb der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, auf Facebook. Es sei „höchste Zeit für eine Deeskalation.“ Die Grünen im Europa-Parlament verlangten, dass sich Brüssel in den Konflikt einschalte. Auch Puigdemont forderte die EU auf, nicht länger wegzuschauen.

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    Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Madrid zum Dialog auf. „Der massive Polizeieinsatz gegen die Menschen, die wählen wollen, ist ein Fehler. Dieses Vorgehen wird das politische Problem nur verschärfen“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur. Der Ball liege nun in Rajoys Feld. Özdemir sprach sich zudem dafür aus, dass die EU-Kommission diesen Gesprächsprozess unterstützt.

    Dutzende Razzien im Vorfeld der Abstimmung

    Trotz des harten Polizeieinsatzes wurde in Katalonien vielerorts abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der 3215 Wahllokale hätten am Sonntag normal funktioniert. Auch Fußballstar Gerard Piqué vom Topclub FC Barcelona gab seine Stimme ab. „Ich habe abgestimmt. Gemeinsam sind wir beim Schutz der Demokratie nicht zu stoppen“, twitterte der 30 Jahre alte Katalane, der mit Pop-Queen Shakira zwei Kinder hat.

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    Seit Wochen hatte Rajoy immer wieder versucht, die Befragung zu verhindern. Bei Dutzenden von Razzien wurden mindestens zwölf Millionen Wahlzettel sowie Millionen von Wahlplakaten und Broschüren beschlagnahmt. Viele Webseiten wurden gesperrt. Mehr als 4000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei wurden nach Katalonien entsandt. (dpa/rtr)