Berlin. Die Grüne stimmen auf ihrem kleinen Parteitag geschlossen für Sondierungen mit Union und FDP. Der linke Parteiflügel bleibt skeptisch.

Er will. Das spürt man. Er spricht lauter als die anderen Redner, wacher, euphorischer, manchmal wird er schrill. Er sagt: „Klar ist, wir brauchen jetzt einfach eine verlässliche Regierung.“ Man müsse mit Respekt annehmen, was die Wähler sich da „so zusammengewählt“ hätten. „Es ist unsere Aufgabe, diese Schwierigkeiten zu überwinden.“

Winfried Kretschmann, knorriger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ist an diesem Samstag auf dem kleinen Parteitag der Grünen in den Uferstudios in Berlin der entschiedenste Jamaika-Befürworter.

Kretschmann würde offenbar am liebsten sofort loslegen

Er erzählt die Geschichte von Grün-Schwarz. Nach der Landtagswahl im Südwesten vor eineinhalb Jahren hat es nicht für die grün-rote Wunschkoalition gereicht. Die Ampel hat nicht geklappt, weil die FDP nicht wollte. Also musste man sich mit der CDU zusammensetzen. „Obwohl wir uns nicht gesucht haben, mussten wir uns finden“, sagt Kretschmann. Man spürt: Der Mann möchte am liebsten sofort loslegen.

Grüne wollen Chancen für Jamaika-Koalition ausloten

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    Doch die Partei wirkt weniger euphorisch. Die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir haben sich in den vergangenen Wochen verausgabt. Jetzt ist das Wahlkampfadrenalin weg. Und sie müssen mit dem Ergebnis umgehen.

    Die Grünen wirken auf einmal gut sortiert

    Die Grünen stecken in einer schwierigen Situation. Sie haben am Wahlsonntag 8,9 Prozent geholt. Das sind 0,5 Prozentpunkte mehr als 2013. Sie wollten zweistellig werden – dieses Ziel haben sie nicht erreicht. Aber eine Aussprache über den Wahlkampf gibt es nicht auf diesem kleinen Parteitag. Die Partei will regieren – aber es bleibt nur Jamaika, weil die SPD keine große Koalition mehr will. Schwarz-Gelb-Grün. Eine Koalition, die sich keiner der Beteiligten gewünscht hat. Jetzt muss man sich zusammensetzen.

    Göring-Eckardt und Özdemir werben für Sondierungen. „Wir werden diese Gespräche verantwortungsvoll führen“, verspricht der Spitzenkandidat und Parteichef. Auch wenn es kompliziert werde. Özdemir findet ein Bild, mit dem jeder etwas anfangen kann: Jamaika sei so ähnlich, als würden Schalke und Borussia Dortmund zusammen ein Stadion bauen. „Viel einfacher wird’s auch nicht.“

    Göring-Eckardt demonstriert Selbstbewusstsein

    Göring-Eckardt, übrigens Anhängerin von Schalke, versucht, Selbstbewusstsein zu demonstrieren. „Ich habe keine Angst davor, in harte Verhandlungen zu gehen“, sagt die Spitzenkandidatin und Fraktionschefin.

    Es gibt eine Klammer, ein Bindemittel, die die Ökopartei zusammenhält: Das starke Ergebnis der AfD, die hinter Union und SPD die drittstärkste Fraktion im neuen Bundestag ist, hat die weltoffenen Grünen geschockt. In dieser Situation haben wir eine besondere Verantwortung, heißt es auf diesem Parteitag immer wieder. Es ist das Lied, dass die Grünen schon seit dem Wahlabend singen.

    Die Grünen demonstrieren Geschlossenheit

    Diese Verantwortung bewirkt einen gewisse Geschlossenheit:

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    . So viel Einigkeit gibt es bei den Grünen sonst selten. Die Partei agiert weiter geschlossen – wie im Wahlkampf.

    Ein großer Vorteil der Grünen: Die CDU muss sich nach der herben Niederlage erst sortieren. Die angeschlagene CSU wirkt desorientiert. Die Schwesterparteien wollen sich am 8. Oktober über ihren Kurs verständigen. Erst danach wollen sie mit den anderen Parteien reden. Die Grünen, die Erben der 68-Revolte, wirken auf einmal gut sortiert.

    Linker Partei-Flügel bleibt auffällig brav

    Der linke Flügel ist natürlich skeptisch, aber auffällig brav. Jürgen Trittin, früher Bundesumweltminister, redet gar nicht. Fraktionschef Anton Hofreiter tritt wie immer derb auf, aber diesmal wenig rebellisch. Er wirbt für die Sondierungsgespräche: „Ja, selbstverständlich wollen wir regieren.“ Am kritischsten ist Parteichefin Simone Peter. Sie attackiert ein bisschen die Liberalen: Für sie sei es „noch lange nicht ausgemacht, dass ein Christian Lindner Finanzminister wird.“ In Verhandlungen werde man sich nicht mit Plattitüden und Absichtserklärungen abspeisen lassen.

    Jamaika: An diesen drei Streitpunkten könnte eine Koalition scheitern

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      Claudia Roth, die frühere Parteichefin, eine Ikone der linken Grünen, spricht überhaupt nicht über Jamaika, sondern nur über die AfD. Dabei hat sie in ihrem Leben oft über CDU, CSU und FDP ausgelassen, meist kritisch. Man würde gern wissen, was Roth in ihrem tiefsten Innern über eine Jamaika-Koalition denkt.

      Nächster Parteitag könnte im November stattfinden

      Kann das klappen, mit der CSU, die eine Obergrenze für Flüchtlinge will? Mit der FDP, die eine ganz andere Euro- und Griechenland-Politik plant? Es gibt viele Themen, bei denen die Grünen weit von ihren möglichen Partnern entfernt sind. Wie kompliziert die Situation ist, zeigt auch die große, genau austarierte Sondierungsgruppe. Sieben Grüne aus dem linken Lager, sieben vom bürgerlichen Flügel.

      Reden kann man ja mal. Sondierungsgespräche tun noch keinem weh. Doch was passiert auf dem nächsten Parteitag, der nach Sondierungen irgendwann im November stattfinden könnte? Die Grünen brauchen echte Erfolge, schon in den Sondierungsgesprächen. Etwa die Abschaltung der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke, wie in ihrem Zehn-Punkte-Plan gefordert. Nur dann können sie auf eine Mehrheit für Koalitionsgespräche hoffen. Am Ende sollen die Mitglieder online über den Koalitionsvertrag abstimmen. Es werden aufreibende Wochen für die Ökopartei.

      Katrin Göring-Eckardt hat am Ende noch ein kleines Rätsel für die Delegierten: Wer weiß, wer Omar McLeod ist? Schweigen. Der weltbeste Hürdenläufer. „Und wo kommt der her?“, fragt Göring-Eckardt weiter. „Aus Jamaika.“